LOHAS – Selbstbestimmt in den Supermarkt

Lifestyle of Health and Sustainability, Corporate Social Responsibility, Cause-Related-Marketing – alles Trendbegriffe direkt aus den Wirtschaftsunis und Power-Point-Präsentationen dieser Welt. Im Interview mit Martin Pittner haben wir die Materie hinter den geschliffenen Anglizismen betrachtet.

Martin Pittner leitet den Bereich Marketing und Neue Medien an der FH Wien. Für seine Dissertationsarbeit hat der Kommunikationswissenschaftler sich mit Strategischer Kommunikation für LOHAS im österreichischen Lebensmittel-Einzelhandel beschäftigt.

BIORAMA: LOHAS sind nicht wirklich etwas Neues. Reformhäuser, Umweltbewusstsein, kritische Konsumenten, das gibt es alles schon seit langer Zeit. Gibt es erst jetzt die passenden Marketing-Tools oder haben die Unternehmen erst jetzt die Zielgruppe LOHAS erkannt?

Martin Pittner: Analysiert man Artikel und Bücher zum Thema LOHAS, zeigt sich, dass das Thema vor rund 14 Jahren seinen Ursprung hatte und mit dem Jahr 2007 einen „Hype“ erlebte, der noch immer andauert. Die Zielgruppe der umweltbewussten Käufer wurde schon vor rund 20 Jahren identifiziert, das zeigt z.B. die Rewe Bio-Eigenmarke Ja Natürlich. Der Nachhaltigkeitstrend ist mittlerweile im Lebensmitteleinzelhandel und bei den Verbrauchern angekommen. Grünes Marketing wird von den Konsumenten akzeptiert – sofern ein integres, nachhaltiges CSR-Engagement des Lebensmittelhändlers ausgemacht wird. Die Bewertung von CSR-Maßnahmen ist für den Durchschnittskonsumenten aber sehr schwierig.

Und was unterscheidet LOHAS aus Marketing-Sicht von anderen Konsumenten?

LOHAS sind – was ihre Werte betrifft – selbstbestimmter und weniger macht- und sicherheitsorientiert, weniger konformistisch. Sie sind teils hedonistisch und zeigen eine ausgeprägte Wertschätzung gegenüber Menschen und Natur. Dass nachhaltiges Handeln und der Kauf von Bio- und Fairtrade-Produkten die Welt nicht von heute auf morgen ändert, schreckt sie nicht ab. Sie verfügen über ein positives Selbstkonzept eigener Fähigkeiten und können mit neuen, herausfordernden und mehrdeutigen Situationen gut umgehen. Damit treiben sie nachhaltiges Wirtschaften proaktiv voran. Sie sind auch eher bereit, einen höheren Preis für nachweislich nachhaltige Produkte zu bezahlen.

LOHAS ist vermutlich nicht gleich LOHAS. Gibt es in dieser Zielgruppe bestimmte Unterschiede?

Grün ist nicht gleich grün, das stimmt. Ich konnte in meiner Dissertation vier Gruppen an – übrigens vorwiegend weiblichen – Käuferinnen und Käufern identifizieren, die häufig oder ausschließlich Bio konsumieren: die Identitätsstifter, die Selbstaufwerter, die Bewahrer und die Idealisten. Das Motiv, ökologisch und sozial zu handeln, muss nicht immer „politisch korrekt“ begründet sein. Daher sollte beispielsweise CSR-Kommunikation an Selbstaufwerter soziale Werte mit zielgruppenrelevanten Markenwerten verbinden, um diese Dialoggruppe für Nachhaltigkeit zu begeistern. Ist es falsch, design-affine Konsumenten mit Design und Nachhaltigkeit abzuholen?

Identitätsstifter, Selbstaufwärter, Bewahrer und Idealisten. Das klingt wie eine interessante LOHAS-Typologie. Könnten Sie vielleicht kurz beschreiben, was diese unterschiedlichen LOHAS idealtypisch unterscheidet?

Es zeigte sich, dass Identitätsstifter sich an Werten wie Stimulation und Selbstbestimmung, und Selbstaufwärter an Werten wie Leistung, Macht und Sicherheit orientieren. Bewahrer legen eher Wert auf Tradition und Konformität und Idealisten lehnen Macht und Hedonismus ab.

Selbstaufwerter haben eine im Durchschnitt positivere Einstellung zu Lebensmitteleinzelhändlern als Identitätsstifter. CSR wird von Identitätsstiftern als glaubwürdiger eingestuft als von Bewahrern. Die Identitätsstifter attestieren auch Zertifikaten von unabhängigen Organisationen eine höhere Glaubwürdigkeit als Selbstaufwerter und Bewahrer. Die Idealisten sind vor allem über Vorträge externer Experten und die Nachhaltigkeitsampel erreichbar. Gesamt gesehen scheinen Identitätsstifter und Idealisten sich schwieriger von Supermärkten „abholen“ zu lassen.

In Umfragen geben die meisten Leute an, umwelt- und gesundheitsbewusst zu leben. Sind in der Selbstdarstellung inzwischen fast alle Anhänger des LOHAS?

Nein. Ein grundsätzliches Interesse an ethischem Konsum, zum Beispiel Fairtrade, bringen allerdings rund 90 Prozent der deutschen Bevölkerung mit. Wenn es um die Vermeidung der Ausbeutung von Mensch und Tier geht, lassen sich rund 60 Prozent abholen. Gelegentlich ethische Produkte kaufen rund 40 Prozent. LOHAS machen je nach Studie 30 Prozent der Bevölkerung aus, der LOHAS-Kern umfasst rund 10 Prozent. Das Kernsegment zeigt klare Präferenzen bei Werten wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz, soziale Verantwortung und Gesundheit. Den Analysen zufolge sind LOHAS eher weiblich – zu zwei Drittel im Kernsegment, haben eine überdurchschnittliche Ausbildung und ein deutlich überdurchschnittliches Haushaltseinkommen. Im Vergleich zum Durchschnitt sind sie häufiger verheiratet und haben häufiger Kinder. Es gibt eine LOHAS-Ballung in der Altersgruppe zwischen 30 und 40 und rund um das 60. Lebensjahr.

Ist LOHAS das Phänomen einer bestimmten sozio-ökonomischen Gruppe oder finden sich LOHAS in allen Milieus?

Grundsätzlich haben die LOHAS ihre Werte-Basis in postmateriellen, etablierten und modernen Performer-Milieus. Gemäß den Studienergebnissen zieht sich der Kern der LOHAS von der gesellschaftlichen Mitte in oberschichtige Milieus zurück. Dabei besteht die Gefahr der fehlenden Anschlussfähigkeit an die „stimmungsbildende“ soziale Mitte. Die bürgerliche Mitte steht weltfremden Forderungen, hochpreisigen Öko-Produkten, technischen Gadgets und stilistischen Experimenten mit Skepsis gegenüber. Allerdings wird der LOHAS-Trend neue Normen in der Mitte der Gesellschaft verankern.

(Foto: RBS)

Dr. Martin Pittner. Bild: RBS

LOHAS schätzen klassischerweise die Konsumenten-Macht hoch ein. Ersetzt für sie der bewusste Konsum das klassische bürgerliche Engagement, oder wird bewusster Konsum als Ergänzung zu politischem Engagement gesehen?

LOHAS schätzen den Einfluss auf das nachhaltige Wirtschaften von Unternehmen durch strategischen Konsum als Gruppe hoch ein. Sie sehen vor allem die Macht des Kollektivs. Besonders sozial und ökologisch nachhaltigkeitsorientierte KonsumentInnen – sogenannte mission driven LOHAS – würden die eigene Macht als größer einstufen, als sogenannte Basic LOHAS, die durchschnittlich stark in das Thema involviert sind. Letztere versuchen z.B. zwar häufig Bio-Produkte zu kaufen, greifen jedoch genauso zu Discount-Artikeln. Grundsätzlich schätzen LOHAS Saison-, Bio- und Fairtrade-Produkte und den Boykott von unethischen Unternehmen, allerdings ersetzt dies für mission driven LOHAS nicht eine politische Grundhaltung und eine notwendige gesellschaftliche Solidarität. „Kaufen“ ersetzt für sie à la longue nicht, für ihre Werte auch zu „demonstrieren“.

Möchten LOHAS eher die Welt oder sich selbst verändern? Schließlich ist ein gewisses Bekenntnis zum Nachhaltigen mittlerweile auch sozial erwünscht.

Beides. Nachhaltiges, umweltbewusstes Handeln ist eine Frage der Persönlichkeit. Das konnte im Rahmen der Dissertation nachgewiesen werden. LOHAS können damit umgehen, dass eigene Initiativen in punkto Nachhaltigkeit, zum Beispiel Strom sparen oder das Auto öfter mal stehen zu lassen, erst in Jahrzehnten Früchte tragen. Und mit zunehmend „grüneren“ Orientierung steigt dann auch die Mundpropaganda, die als erfolgreichster Kanal zur Diffusion von nachhaltigen Botschaften eingestuft werden kann. Der Virus „Nachhaltigkeit“ ist in positivem Sinne ansteckend.

Kann ein Unternehmen auch LOHAS-gerecht kommunizieren, ohne ein entsprechendes Produkt-Angebot zu bieten? Anders gefragt: Könnten Ihre Untersuchungsergebnisse auch dazu dienen, Greenwashing fundierter zu betreiben?

Nein. CSR sollte grundsätzlich im Kerngeschäft des Unternehmens „angesiedelt“ sein. Als Basis fungiert die Wirtschaftsethik. Missbrauch der Tools und Botschaften ist immer möglich – führt aber mittel- bis langfristig nicht zu „nachhaltiger Reputation“.

Bei großen Einzelhändlern reicht die Bandbreite häufig von sozial und ökologisch sinnvollen über fragwürdige bis hin zu vollkommen unvertretbaren Produkten. Wird dieser Bandbreite in Zukunft weiter bestehen können oder leidet die Glaubwürdigkeit von Unternehmen zu sehr darunter?

Eine Hauptkritik von „grünen“ Experten und Expertinnen am österreichischen Lebensmitteleinzelhandel ist, dass die nachhaltige Produktschiene nur eine „Nische“ darstellt und der Großteil weniger nachhaltig „abläuft“. Eine Änderung dieses Tatbestandes würde für die Einzelhändler bedeuten, auch mit geringeren Renditen leben zu können. Für mission driven LOHAS führt an dieser „Mission“ kein Weg vorbei. Authentizität und Glaubwürdigkeit, Nachhaltigkeit als grundlegende Unternehmenskultur und nicht als Etikette sowie Ganzheitlichkeit sind ihre Forderungen. Ich schätze die Bandbreite wird noch eine Zeit bleiben – ob die Glaubwürdigkeit der Unternehmen bei der Durchschnittskonsumenten dadurch leiden wird, könnte ich nur mutmaßen.

Was würden Sie Unternehmen auf Grundlage ihrer Arbeit empfehlen? Gibt es so etwas wie Grundregeln, die man einhalten sollte, beim Umwerben von LOHAS als Zielgruppe?

Eine kurzfristige Imagepflege wird nicht goutiert, Greenwashing ist jedenfalls zu vermeiden. Initiativen für die eigenen Mitarbeiter weisen im Lebensmitteleinzelhandel das größte Reputationspotenzial auf, schließlich gilt der Lebensmitteleinzelhandel als medial kritisierte Branche in punkto gerechte Löhne, Mitarbeiterbehandlung und Datenschutz. Da „grüne“ Dialoggruppen die Motive, den Umfang, den Zeithorizont und die Empfänger von CSR-Aktivitäten streng hinterfragen, ist es wichtig, ein stringentes Nachhaltigkeitsmanagement und eine abgestimmte, unternehmerische Nachhaltigkeitskommunikation vorweisen zu können. Als zentrales Instrument der Green Communication dient die Dialogkommunikation. Es gilt, auch eigene Schwächen und Rückschläge anzusprechen und die Ausgestaltung der unternehmerischen Nachhaltigkeit mit allen Stakeholdern zu diskutieren. Hier bietet sich v.a. die Social-Media-Kommunikation an, um eine kritische Masse an Meinungsführern aufzubauen. Die Kommunikation sollte von der Unternehmensführung initiiert, auf Dialoggruppen zugeschnitten, transparent und innovativ sein sowie den Empfänger zum mitmachen auffordern.

LOHAS sind also Dialoggruppe und nicht Zielgruppe. Werden wir in Zukunft ganz neue Formen der Kommunikation zwischen KonsumentInnen und Unternehmen erleben, auch über Social Media hinaus?

Ich bezeichne LOHAS als Dialoggruppe, da sie eine proaktive Kommunikation mit Unternehmen schätzen. Das haben Unternehmen wie beispielsweise Rewe oder Spar mit eigenen Stakeholderforen erkannt. Diese face to face „Umweltintegration“ ist ein positives Zeichen der Wertschätzung. Maßnahmen bzw. Empfehlungen der KonsumentInnen müssen dann aber auch umgesetzt werden. Das ist ein irreversibler Prozess. Wichtig ist auch parallel die qualitätsvolle Ausgestaltung der internen Kommunikation, also die Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen „mitzunehmen“. Über weitere zukünftige Formen der nachhaltigen Kundenkommunikation könnte ich nur spekulieren.

Wie schneidet denn der untersuchte österreichische Lebensmittel-Einzelhandel bei den LOHAS-Konsumenten ab? Gehen die bisherigen Initiativen, Konzepte und Kampagnen auf?

Neben ökonomischem Erfolg, also der funktionale Reputation, werden Unternehmen auch daran gemessen, wie sie entsprechend gesellschaftlicher Normen und Werte handeln, anhand ihrer sozialen Reputation. Dies gilt auch für ihre Produkte. Hier ist Spar Vorreiterin: Dem Unternehmen werden eher die Unterstützung von gesellschaftlichen Anliegen, eine gerechte Bezahlung der in- und ausländischen Lebensmittelproduzenten und faires Verhalten gegenüber Mitarbeitern und Wettbewerbern zugeschrieben als Billa, Hofer und Merkur. Bei der sozialen Reputation der Marken sichert sich Ja Natürlich die Goldmedaille: Der Verzicht auf künstliche Pflanzenschutzmittel, artgerechte Tierhaltung und umweltfreundliche Verpackung werden vorrangig dieser Eigenmarke zugeschrieben. LOHAS schätzen Bio-Eigenmarken, sind aber gegenüber Nahversorgern – insbesondere Discountern – kritisch eingestellt. Einzelne Lebensmittelhändler könnten ihre soziale Reputation steigern, indem sie ihre Unternehmensmarke intensiver mit ihrer Bio-Eigenmarke verbinden.

Wird sich der harte Kern der LOHAS wieder in Reformhäuser und Hofläden zurückziehen, falls der Trend irgendwann abebbt, oder setzen LOHAS Standards, die nachhaltig Wirkung zeigen?

Ich hoffe, dass LOHAS Standards setzen, die nachhaltig Wirkung zeigen. Und ich hoffe, dass die Demokratisierung von Bio voranschreiten wird. Dazu tragen auch die Discounter bei. Da LOHAS sich segmentieren, wird es immer auch Konsumenten geben, die nur in Reformhäusern einkaufen und Discountern per se misstrauen. Grundsätzlich wächst die Zahl an Menschen, die einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Konsum und Nachhaltigkeit fordern: weg vom Gefühl der passiven Überforderung mit der Transformation in eine „nachhaltige Gesellschaft“ hin zur einer optimistischen Passion, die Welt zu verändern, ein Stück besser und lebenswerter zu machen. Kurzum: Sei selbst die Transformation, die du dir in der Welt wünschst.

 

Strategische Kommunikation für LOHAS – Nachhaltigkeitsorientierte Dialoggruppen im Lebensmitteleinzelhandel von Martin Pittner erscheint bei Springer.

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