Kaufst du noch oder kochst du schon?
Sie heißen »Dein Einkaufssackerl«, »Schlemmertüte« oder »Kochpost« und nehmen einem per Mausklick den Weg zum Supermarkt samt Rezeptsuche ab. Woher kommen die Lebensmittel-Lieferservices, was bringen sie und wie sehen die Menschen aus, die ihren Wocheneinkauf outsourcen?
Darf ich vorstellen: Familie Satt. Das wären Herr Satt und Frau Satt, beide berufstätig in leitenden Positionen, ihr Sohn, ein Teenager im Wachstum, und ihr sechsjähriges Nesthäkchen. Unter der Woche kommen Herr und Frau Satt gegen 19 Uhr von der Arbeit nach Hause und stellen sich geradewegs in die Küche, wo sie gemeinsam mit dem Nachwuchs ausgewogene Abendessen wie zum Beispiel gebratenes Forellenfilet aus heimischer Zucht auf saisonalem Gemüse mit Bio-Kartoffeln zubereiten. Geht es nach den Anbietern der aktuell boomenden Koch-Abos, werden solche Familien, die derzeit als Werbefiguren von den Webseiten grinsen, bald die Regel statt einer Ausnahme darstellen. Mit regelmäßig bis vor die Haustüre gelieferten Rezepten und frischen Zutaten wollen sie Berufstätigen zeitsparendes, gesundes und abwechslungsreiches Kochen im stressigen Alltag ermöglichen.
Friede, Freude, Abendessen
Seinen Ursprung hat das Konzept in Schweden, wo Firmen erstmals 2007 Haushalte mit Kochanleitungen und Zutaten belieferten. Dort greifen heute bereits 60.000 Menschen auf Lebensmittel-Abos zurück und bescheren den größten Anbietern einen Umsatz von mehreren Millionen Euro. 2010 konnte sich immerhin auch fast jeder zehnte Online-User in Deutschland vorstellen, in den nächsten sechs Monaten online Lebensmittel einzukaufen, so das Ergebnis einer Verbraucher-Umfrage*. Die schwedischen Lieferdienste »Middagsfrid« und »Linas Matkasse« haben dieses Potenzial erkannt und ihr Geschäftsmodell für ein friedliches Abendessen mit »KommtEssen« und »Schlemmertüte« nach Deutschland expandiert. Mittlerweile ist eine Vielzahl von Anbietern dem skandinavischen Vorbild gefolgt und arbeitet daran, das Konzept in anderen Ballungszentren Europas zu etablieren.
Das perfekte Dinner aus der Tüte
Wer ein Lebensmittel-Abo abschließt, bekommt seinen Wocheneinkauf entweder wöchentlich oder alle vierzehn Tage nach Hause geschickt. In den Tragetaschen und Boxen findet man Rezepte und Zutaten für drei bis fünf Gerichte. Laut Angaben der Anbieter handelt es sich hauptsächlich um heimische und saisonale Lebensmittel mit unterschiedlich hohem Bio-Anteil. Was bei Familie Satt und den übrigen Abonnenten auf den Tisch kommt, entscheidet ein Chefkoch für sie. Die einzelnen Mahlzeiten sind mit Diätologen abgestimmt und die Mengen so portioniert, dass möglichst keine Reste anfallen. »Wir möchten erreichen, dass Menschen, Familien und Freunde gesund essen und Spaß beim Kochen haben«, so Philipp Stangl, Mitgründer und Chief Operating Officer von »KochAbo«. Damit besagter Spaß nicht zu kurz kommt, dauert die Zubereitung der einzelnen Gerichte nicht länger als 30, maximal 45 Minuten. Die abwechslungsreichen Rezepte sollen außerdem dazu ermutigen, mit neuen Zutaten, Kombinationen und Zubereitungsarten zu experimentieren. Wenn Herr Satt dann bei einem Wochenendbesuch am Markt statt zu den obligatorischen Kartoffeln zu Topinambur oder einmal einem Granatapfel greift, hat der Lernprozess funktioniert. »Mit dem Kochen ist es, wie wenn man eine Sprache lernt«, so Carl-Johan Hedberg von »Dein Einkaufssackerl«, »damit man sie fließend sprechen kann, muss man viele Vokabel kennen und braucht Übung. Bei uns bekommt man die nötigen Tipps, Tricks und Handgriffe, die man zum Kochen braucht.« Für Zutaten wie Öle, Gewürze, Getreide und Teigwaren muss man in den meisten Fällen aber trotzdem einen Besuch im Supermarkt riskieren. Um eine Überladung der Vorratskammern zu vermeiden, werden die sogenannten Basiszutaten entweder gar nicht, oder nur jedes dritte bis vierte Mal mitgesendet.
Essen auf Rädern 2.0
»Ein stressiger Alltag und lange Arbeitszeiten hindern viele Menschen daran, sich gesund und ausgewogen zu ernähren. Sie greifen deshalb auf Take Away-Gerichte und Tiefkühlkost zurück, die allerdings häufig teurer und ungesünder sind als selbst gekochte Gerichte«, erklärt Dominik Richter, CEO von »Hello Fresh«. Er sieht die neue Art von Lieferdienst als Zeitgeistprodukt und möchte dieses neben Deutschland und Österreich auch nach England, Frankreich und Holland exportieren. Im Vereinigten Königreich gehört der Lebensmitteleinkauf im Internet trotz rund um die Uhr geöffneter Geschäfte längst zum Alltag. Laut Nielsen* kauften 2010 bereits 23 Prozent der englischen Haushalte und beinahe die Hälfte von jenen mit mindestens drei Kindern ihre Lebensmittel online, um dadurch Zeit und Geld zu sparen. In den Onlineshops der britischen Einzelhändler kann man sich im Gegensatz zu den Koch-Abos seine Gerichte aus tausenden Rezepten selbst aussuchen. Die Zutaten dafür lassen sich mit einem Klick in den virtuellen Einkaufskorb befördern. In der Schweiz sind Online-Shops von Einzelhandelsunternehmen ähnlich etabliert und haben Lieferdiensten wie »Kochpost« und »Laimadinner« den Weg geebnet. Bei »Cookits« und »Gourmet15Box« kommen die Zutaten bereits vorgeschnitten und zum Teil sogar vorgegart ins Haus. Weniger groß sind die Unterschiede zwischen den Koch-Abos in Österreich – noch, meint Hampus Nilzen von »Dein Einkaufssackerl«. »Es werden sich Nischen bilden, etwa für besonders kinderfreundliche, ausschließlich biologische oder sehr günstige Zutaten«, prognostiziert er.
Nachhaltige Rezepte schaffen Bewusstsein
In anderen Teilen Europas gibt es solche Nischen bereits. Die britische Plattform »Hubbub« arbeitet statt mit Großhändlern mit unabhängigen Lebensmittelläden zusammen. Unter dem Motto »Your local shops, delivered«, geben Kunden ihre Postleitzahl an und werden mit Produkten von unabhängigen Bäckern, Fleischern und Gemüsehändlern aus ihrer nächsten Umgebung beliefert. Guerson Meyer und Sammy Gebele verfolgen in Deutschland eine ähnliche Idee. In ihre biozertifizierte »Tasty Box« packen sie jeden Monat fünf handgefertigte Lebensmittel von Manufakturen und kleinen Produzenten und liefern neben einem Rezept auch die Geschichte der Produkte mit. Qualität und Nachhaltigkeit steht auf den Fahnen aller Anbieter. Stammen die Produkte nicht aus kontrolliert biologischem Anbau, werden besonders effiziente Lieferrouten und ein verkleinerter CO2-Fußabdruck ausgelobt. Fest steht: Am Markt bestehen wird nur, wer seine Versprechen auch halten kann. »Der Knackpunkt ist auf jeden Fall die Logistik«, so Michael Ströck. »Ein Lebensmittel ist schließlich kein Schuhkarton«, fügt der Geschäftsführer von »Kochabo«, der auf Erfahrung und Know-how aus fünf Jahren in der Geschäftsführung der Großbäckerei Ströck zurückgreifen kann, hinzu. Anders als bei Kleidung oder Technik, ist für die Frische und Qualität von Lebensmitteln eine ununterbrochene Kühlkette Voraussetzung. Die Kosten dafür schlagen sich auch im Preis der einzelnen Boxen und Tüten nieder. Diese fallen mit zunehmender Bestellmenge günstiger aus und werden umso teurer, je spezieller die gelieferten Produkte sind.
Koch-Abos mögen kein Allheilmittel gegen ungesundes Fastfood oder die Umweltverschmutzung und auch kein Service für jedermann sein, womöglich sind sie aber das Rezept dafür, dass Menschen ihre Leidenschaft fürs Kochen wiederentdecken. Menschen wie die Familie Satt.
Passt für mich ein Koch-Lieferservice?
Treffen drei oder mehr dieser Punkte zu, könnte die Devise bald »selbstgekocht statt selbstgekauft« lauten.
- berufstätig bzw. vielbeschäftigt
- wohnt urban mit Kindern, einem Partner oder in einer WG
- Omnivore oder Vegetarier
- legt Wert auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung
- frei von Allergien, Intoleranzen und Abneigungen
- empfindet Einkaufen als Last statt als Vergnügen
- zwischen 17.30 und 22.30 Uhr zuhause anzutreffen
- kocht gerne strikt nach Rezept
- muss »anschwitzen« nicht im Wörterbuch nachschlagen
- isst abends meist zuhause und tagsüber außer Haus
- lässt sich gerne überraschen, auch von seinem Abendessen
* Nielsen Global Online Survey: weltweite Online-Verbraucherbefragung durchgeführt zwischen 8. und 26. März 2010 mit 27.000 Verbrauchern in 55 Ländern auf der ganzen Welt.
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