Das Schnitzel, die »Heilige Kuh«: Chefkoch Karl Grübler tritt ab
33 Jahre lang leitete Karl Grübler die St.Pöltener Landhausküche, bekochte Landesbedienstete, PolitikerInnen, Prominente. Ganz nebenbei schraubte er dabei den Bioanteil in der Küche auf 70 Prozent hinauf. Wie geht das?
Karl Grübler, 61, Mostviertler und Marathonläufer, wuchs in einer kinderreichen Bergbauernfamilie auf und knüpfte früh Biokontakte. Auf seinem Lehrbetrieb, dem Hotel Tulbingerkogel, wurde vom Sohn des Hoteliers die Olivenölmanufaktur Mani gegründet. »Deren ganzheitlicher Ansatz hat mich inspiriert«, sagt Grübler. Seit 1985 ist er Landesbediensteter und seit 1987 leitet er die Küche im niederösterreichischen Landhaus – anfangs noch in der Wiener Herrengasse (im heutigen Palais Niederösterreich), dann im Regierungsviertel in St. Pölten. Sein Team besteht aus 35 Angestellten. 10 davon sind KöchInnen (»Bitte alles gendern! Meine Frau ist die Gleichbehandlungsbeauftragte bei der Landesregierung.«). Mitte Dezember 2020 trat er sein Sabbatical an. Danach geht er in Pension. »Ich geh seit meinem 15. Lebensjahr arbeiten, hab 47 Versicherungsjahre beisammen und will zu Hause gärtnern, in die Berge und aktiv in Pension gehen, nicht erst wenn ich alt und krank bin.«
BIORAMA: Die Landhausküche verköstigt Landesbedienstete, BeamtInnen und in der St. Pöltener Landespolitik Beschäftigte. Von welchen Mengen und Rationen sprechen wir denn da?
Karl Grübler: 2020 ist durch Homeoffice und das Wegfallen von Extraveranstaltungen alles anders geworden. Unter normalen Umständen sprechen wir im Schnitt von 1.500 Essen pro Tag. Von tonnenweise Rind- und Schweinefleisch, hunderttausenden Eiern. Um das genau sagen zu können, müsste ich im Warenwirtschaftsprogramm nachsehen. Da sind auch Rezepturen drin, alle Lieferanten und bis zur Finanzbuchhaltung hin ist alles erfasst. Das läuft weitgehend automatisiert. Ich gebe eine Rezeptur und die Personenanzahl ein und das Programm macht mir Bestellvorschläge. Aber ich stelle natürlich auch selbst Sortimente zusammen. Letztlich beruht bei uns alles rein auf Erfahrungswerten. Wieviele Personen essen kommen ist wetterabhängig, variiert in Wochen mit Fenstertagen oder wenn es Schulferien gibt.
Wer kommt denn aller zum Essen?
Überwiegend die Landesbediensteten, aber auch die im Regierungsviertel einquartierte Polizei, Beschäftigte von landesnahen Organisationen – etwa der NÖ Hypo, von Ecoplus, von der Fremdenverkehrswerbung, von der Landesgesundheitsagentur, von der Bildungsdirektion, wir beliefern auch den Bedienstetenkindergarten und ich hab’ sicher noch irgendjemanden vergessen. Ach ja, die PolitikerInnen essen natürlich auch bei uns.
Sie sind selbst begeisterter Koch. Wieviel kulinarischer Anspruch ist in einer Kantine möglich?
Ich glaub es ist ein relativ hoher Anspruch möglich. Aber du musst die Rezepte so adaptieren, dass sie großküchentauglich sind. Alles muss in Warmhaltecontainern transportierbar sein. Schaumige Mehlspeisen z. B. sind da schwer. Aber zuerst musst du natürlich überhaupt definieren, was du mit Anspruch meinst. Für mich ergibt sich der durch die Frage, welche Art von Lebensmitteln ich einsetze. Und da bedeutet Anspruch: Biologisch, frisch, regional. Theoretisch könnte man einen kulinarischen Anspruch ja auch über Fingerfood definieren und mit Tiefkühl-Ware arbeiten.
Gibt es keine Kompromisse, die man als Chefkoch einer Kantine eingehen muss?
Eine gewisse Hartnäckigkeit muss man natürlich an den Tag legen – etwa bei der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte weg von der Fleischlastigkeit hin zum mittlerweile selbstverständlich gewordenen vegetarischen Gericht. Man darf auch nix übertreiben und setzt besser immer wieder kleine Schritte. Ich zum Beispiel war immer sehr vorsichtig mit Trends. Und nur weil alle von Bowls reden, kauf ich dem Geschirrvertreter nicht gleich neues Geschirr ab. Viele Trendgerichte wie Burger stammen in der Gemeinschaftsverpflegung außerdem alle aus der Tiefkühltruhe. Nicht bei mir. Und persönlich finde ich auch Rebel Meat toll – diesen Burger aus halb Fleisch, halb Hirse und Pilzen – aber ich mach mir meine fleischreduzierten Burger trotzdem lieber frisch. Es ist viel in Bewegung und erfordert Erziehung. Frisches Wintergemüse, verschiedene Kohlarten – also Küche a la Wolfgang Palme – hätte ich gerne noch etabliert. Aber das ging sich zeitlich nicht mehr aus. Wenn du früher Kohl auf der Karte hattest, war das ein Garant dafür, dass dieses Gericht nicht bestellt wurde. Auch das ändert sich gerade, aber langsam.
Ohne Auftrag und ganz selbstverständlich haben Sie den Bioanteil in der Landhausküche auf mittlerweile 70 Prozent in die Höhe geschraubt. Wie kam es dazu?
Ich hab schon früh, 1989, erste Bioprodukte verarbeitet. Den Anfang hab ich mit den Erdäpfeln eines Waldviertler Biobauern gemacht. Dann hat er auch Kraut gehabt, dann auch Lagergemüse – und so hat sich das meiner Ambition der gesunden Ernährung immer mehr angenähert. Aber ich hab auch sehr viele Fehler gemacht! Meine ersten Vollkornlaberln waren ein voller Bauchfleck. Sie waren wirklich nicht gut und haben den Leuten auch nicht geschmeckt. Mir hat damals auch die Erfahrung gefehlt. In der Berufsschule hast du früher über vegetarische Gerichte genau nichts gelernt.
Gab es Widerstände beim Erhöhen des Bioanteils? Oder überwog immer die Wertschätzung?
Widerstände gab es insofern, weil ich immer wieder versucht habe, die Fleischportion zu reduzieren. Wir nannten das »Klimamenü«: weniger Fleisch, mehr Beilagen. Da hat die Personalvertretung sofort aufgeschrien. Es ist die heilige Kuh: Das Schnitzel darf nicht kleiner werden. So haben wir das halt mit »Klasse statt Masse« und mit »Fleisch in gesundem Maße« umschrieben. Aber die Wertschätzung überwiegt eindeutig und ich habe wahrscheinlich auch keinen Gegenwind verspürt, weil ich die Menüs so zusammengesetzt habe, dass nichts weggeschmissen wird, wir alles verarbeiten und dass deshalb nichts teurer geworden ist. Auch viele prominente Gäste – Menschen aus Wirtschaft, Sport und Kultur zu Gast – waren hochzufrieden. Oder zuletzt, in der Pandemiephase, wo viele Kantinen zu waren, kam auch vom Sanitätsstab viel Anerkennung, weil wir auch in Krisenzeiten da waren und frisch gekocht haben.
Aber hat die Gäste auch wirklich interessiert, wo die Zutaten herkommen, die Sie für sie verarbeiten?
Ja, schon. Wir haben unsere Hauptlieferanten immer wieder eingeladen, sich im Speisesaal mit einem Infotisch zu präsentieren. Das war wichtig und wurde mit Interesse wahrgenommen. Und wenn es wohldosiert ist, interessiert es sehr. Vor ein paar Jahren wurde das Herkunftsprogramm »Gut zu wissen« präsentiert und das musste plötzlich über Nacht umgesetzt werden. Das für mich Überraschende damals: Ich musste nichts ändern. Manche Küchenleiter tun auch so als wäre alles, was aus Niederösterreich kommt, eh automatisch irgendwie Bio. Diese Vermischung ist nicht zulässig und der falsche Zugang. Es gibt einen haushohen Unterschied zwischen Regional und Bio.
Gibt es für den Einkauf in der Landesküche einen klaren politischen Auftrag?
Unser Klimaprogramm, das besagt: mindestens 30 Prozent Biolebensmittel, die Eier mindestens aus Freilandhaltung. Aber das übererfülle ich alles. Und ich animiere auch alle und sage all denen, die mir erzählen, dass sie 30 Prozent Bioanteil haben, dass das ja keine Obergrenze ist und dass sie auch gern mehr Bio einkaufen können. Ich muss sagen, dass wir punkto Biolebensmittel und auch punkto nachhaltiger Beschaffung jahrelang sehr viel Unterstützung von politischer Seite haben. Wolfgang Sobotka hat als Landesrat für Finanzen und Gesundheit ordentlich Gas in Sachen nachhaltiger Beschaffung gegeben. Auch die Zusammenarbeit mit Josef Plank (bis 2009 Agrarlandesrat, jetzt Raiffeisen, Anm.) war gut und auch Stephan Pernkopf trägt das alles mit. Politisch unterstellt sind wir aber der Landeshauptfrau.
Was waren bzw. sind denn die kulinarischen Kantinenvorlieben von Erwin Pröll oder Johanna Mikl-Leitner?
Ob die beiden das lesen wollen? Also Pröll war für zwischendurch und für schnelle Besprechungen eindeutig der Frankfurter-Typ. Er kann zu jeder Tages- und Nachtzeit Würstel essen. Bei mir waren das immer Biowürstel. Mikl-Leitner ist etwas vielfältiger und legt viel Wert auf Vegetarisches und Salate, sagen wir: auf vitalere Kost. Auch da merkt man, dass sich vegetarische Gerichte etabliert haben.
Was muss denn alles öffentlich ausgeschrieben werden, um den Bestbietenden herauszufinden?
Das Bundesbeschaffungsgesetz gibt den Rahmen vor. Ich schreibe Fleisch aus: also Rindfleisch, Kalb, Schwein, Hendl, Selch- und Wurstwaren. Mittlerweile nur mehr in Bioqualität, konventionell ist da gar keine Alternative mehr. Für Enten habe ich regionale ProduzentInnen, für Fisch Teichwirte in der Gegend. Auch das Trockensortiment – also Reis und Hülsenfrüchte – oder Schokolade und Rosinen sind rein biologisch ausgeschrieben.
Und nach welchen Kriterien wird ausgewählt?
Es wird jeder Artikel genau beschrieben. Bis zur Mindestmastdauer beim Geflügel. Umso genauer alles beschrieben wird, desto einfacher ist es dann abzuwickeln, desto weniger Diskussionen sind nötig.
Wie viel anstrengender ist es, wenn man das, was man regional bekommt, direkt von den ProduzentInnen bezieht, und nicht aus dem Gastrogroßhandel holt oder zustellen lässt? Ist das zumutbar?
Ich hab in der Umstellungsphase viele EinzellieferantInnen gehabt, mehr als jetzt. Das war sehr, sehr, sehr aufwendig. Und ich bin wirklich froh, dass mir Bio-Lutz z. B. ein Gemüsevollsortiment bietet und dass ich einen einheitlichen Obstlieferanten habe und nicht der Apfelsaft ausbleibt, weil er wegen Glatteis nicht lieferbar ist. Das Bündeln von Sortimenten ist sinnvoll, erleichtert viel. Die Anfangsphase war speziell bei Biofleisch schwer. Da bin ich mit den LieferantInnen zusammengesessen und wir haben gemeinsam den Speiseplan erstellt, um alles Bio zu haben und die Tiere auch zur Gänze und restlos verarbeiten zu können.
Die »Farm to Fork«-Strategie der EU sieht vor, dass KöchInnen und ProduzentInnen enger zusammenarbeiten. Sollte es hierzu gesetzliche Regelungen geben oder ist das gut in der Eigenverantwortung jeder einzelnen Einrichtung aufgehoben?
Ich bin skeptisch bei gesetzlichen Regelungen, weil alles mit dem Engagement des jeweils Verantwortlichen steht und fällt. Vielleicht mögen sie dazu beitragen, aber dann braucht es auch Motivation und notwendigerweise auch Weiterbildung. Ich war selbst viel in den Klinikkantinen, um die Leute dort fortzubilden. Dabei hab ich alles erlebt – vom Engagierten bis zum richtigen Querulanten. Aber Potenzial ist in jeder Küche vorhanden, vielleicht nicht immer in der allerersten Reihe sichtbar …
Wie kann man als ProduzentIn an Betriebe wie Ihren herantreten? Wie kann man überhaupt auf sein Angebot hinweisen?
Eine Kontaktaufnahme ist auf alle Fälle sinnvoll. Immer! Einfach mit der Küchenleitung in Kontakt treten. Sie wird entweder offen sein für Versuche – oder wird sagen, wann es wieder Ausschreibungen gibt. Wichtig ist es, Produkte gut vorzustellen, viel Information zu liefern. Großküchen müssen über vorhandene Mengen Bescheid wissen.
Gibt es irgendein Produkt, das Ihnen abgeht?
Irgendwann hab’ ich es aufgegeben: Aber es gibt in St. Pölten Umgebung keinen Frischbäcker mit Bioware. Nichts. Sonst bin ich mit dem Sortiment glücklich. Es ist alles auch in Bioqualität und in den nötigen Mengen verfügbar: Fleisch, Wurst- und Selchwaren, Erdäpfel, spezielle Gemüse – vom Grünspargel bis zu den Schwarmpilzen – wenn man will, ist der Tisch gedeckt.
Wie sehr gehört das Kantinenangebot zu den Benefits, mit denen ein Arbeitgeber zeigt, dass er seinen MitarbeiterInnen einen guten Arbeitsplatz bieten will?
Ich glaub’ es ist sehr wichtig. Gerade bei uns. Als Landeshauptfrau Mikl-Leitner, ihr Amt übernommen hat gab es sofort eine Riesenumfrage – auch unter Klinikbediensteten des Landes – was den Leuten wichtig ist. Rausgekommen ist u.a., dass ihnen Verpflegung sehr wichtig ist. Dann gab es einen Maßnahmenkatalog und wir haben uns angesehen, welche Maßnahmen am schnellsten und am kostengünstigsten umgesetzt werden können. Umbauten, weil es wo im Sommer zu heiß ist, sind ja eher langwierig. So haben wir in der Kantine eine Rubrik eingeführt, die unter dem Namen »Grüblers Empfehlung« täglich auf der Speisekarte zu finden ist: ein Fit-Menü mit eigenem Logo. Wer das die ganze Woche über wählt, weiß, dass er sich an allen 5 Arbeitstagen ausgewogen ernährt hat. Und »Grüblers Empfehlung« lautet: ein bis allerhöchstens zweimal Fleisch.
Wieviel Food Waste fällt denn in einer Landhauskantine an?
Ich sag mal: sehr wenig. Wir haben versucht, eine Erhebungen zu machen. Aber es ist ehrlich schwer, das wirklich zu sagen. Wenn ich Frischgemüse verarbeite – und wir kriegen containerweise Frischgemüse –, dann habe ich allein beim Karfiol hunderte Liter biogenen Abfall, weil ich den Strunk und die Blätter wegschneide. Wenn ich den Karfiol aus dem Vakuumsackerl nehm, dann hab ich das natürlich nicht – dafür aber sehr viel Plastikmüll. Den versuchen wir auch zu vermeiden. Eine richtige Plastikinvasion gab es nur kurz. Wir bieten Kindermenüs zum Mit-nach-Hause-Nehmen an, damit Eltern zu Hause nicht extra für die Kinder kochen müssen. Das haben wir aber schnell auf ein Mehrwegsystem umgestellt.
Wenn Sie zuerst auf Sabbatical und dann in Pension sind: Wie wird es in der Landhauskantine weitergehen?
Ich bin überzeugt, dass es so weitergehen wird wie bisher. Mein Nachfolger Dietmar Stamminger-Weis ist mittlerweile ja auch schon Jahrzehnte im Betrieb. Er kennt meine Anliegen – und auch alle LieferantInnen. Ich hoffe, dass er gleich beständig ist wie ich. (lacht)
Und welches Gericht werden Sie an Ihrem letzten Tag in der Landhausküche auf die Speisekarte setzen?
Es wird ein saisonales, regionales Gericht mit Wintergemüse gewesen sein. Natürlich in Bioqualität.
Das Interview wurde Anfang Dezember 2020, zwei Wochen vor Karl Grüblers Sabbatical-Antritt geführt.