Eine Kulturgeschichte der Nachhaltigkeit

Wir alle haben eine Vorstellung davon, was sich hinter dem Konzept »Nachhaltigkeit« verbirgt. Aber verschiedene Kulturen haben im Lauf der Geschichte auch verschiedene Vorstellungen von dem Konzept gehabt. Und was haben Kultur und Nachhaltigkeit überhaupt miteinander zu tun? Wir haben uns auf die Suche gemacht.

Mit Berichten von Kommissionen ist das so eine Sache. Sie sind oft lang, sperrig und haben ihren Platz in der Schublade schon sicher, bevor sie überhaupt fertig sind. Selten sind sie so eindringlich, dass sie es schaffen, Themen oder Begriffe zu etablieren. Der Brundlandt-Bericht ist da eine Ausnahme. Dem Report der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung aus dem Jahr 1987 verdanken wir einen Begriff, der uns heute täglich begegnet: »Nachhaltige Entwicklung«. Verkomplizieren wir die Sache noch etwas: Nehmen wir nicht nur den Begriff Nachhaltigkeit her, sondern verbinden ihn auch noch mit dem Kulturbegriff. Was genau ist dann eine »nachhaltige Kultur«? Kultur ist nach klassischer Definition die Summe der Auffassungen, Werte und Normen der Mitglieder einer Gesellschaft, die diese Menschen erlernt haben und die ihre Handlungen beeinflussen. »Unser gesamter Lebenstil ist kulturell geprägt«, erläutert Dr. Gabriele Sorgo, Privatdozentin für Kulturgeschichte. »Kultur liefert uns grundlegende Handlungsmotivation.« Dies hat immer zwei Seiten: Auf der einen Seite geben uns diese Muster Anleitungen, unsere Umwelt sinnvoll zu erfassen. Auf der anderen zeigen sie uns aber auch, wie wir sie zu erfassen haben. Kultur hat immer auch einen autoritären Charakter.

Mit anderen Worten: Kultur ist Lebensweise. Und eine solche ist dann nachhaltig, wenn sie es nachfolgenden Generationen ermöglicht, auf dieselbe Art und Weise zu produzieren und zu konsumieren wie wir es tun. Ressourcen sollen nicht unwiederbringlich abgeschöpft werden. Nicht umsonst stammt das Konzept ursprünglich aus der Forstwirtschaft: Fälle nie mehr, als nachwachsen kann. Schon Hans Carl von Carlowitz sah es in seinem forstwirtschaftlichen Standardwerk von 1713 als Ziel an, »daß es eine kontinuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe.« Wirtschaftsgeschichtlich gab es so etwas Ähnliches übrigens schon einmal. Historiker bezeichnen die Produktionsweise vor der weiträumigen Nutzung von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen als erstes »solares Energieregime«, weil alle Energie letztlich von der Sonne kam. Aber auch dieses Regime war nie völlig nachhaltig. Der Mensch hat immer Spezies ausgerottet; und der Abbau der Kohle wurde im England des 18. Jahrhunderts unter anderem auch deshalb nötig, weil die Wälder längst abgeholzt waren.

Gehen wir es ganzheitlich an

Ursprünglich bedeutete der Begriff »nachhaltig« eigentlich nur »von langer Dauer«. Erst die Umweltbewegung machte ihn zu einem Synonym für den schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen. Nach dem Brundlandt-Bericht war aber klar, dass dies allein nicht reichen würde. Eine Kommission des deutschen Bundestags etablierte daraufhin das Drei-Säulen-Modell. Nachhaltige Entwicklung müsse die Aspekte Ökologie, Ökonomie und Soziales umfassen. Keine der drei Säulen kann auf Dauer ohne die anderen bestehen. Sie beschreiben alle einen nötigen Aspekt der nachhaltigen Entwicklung: Eine Gesellschaft sollte keinen Raubbau an der Natur betreiben; eine Wirtschaftsweise wählen, die dauerhaft betrieben werden kann; und für soziale Gerechtigkeit sorgen, so dass Verteilungskonflikte auf friedlichem Wege ausgeräumt werden können.

Wirkliche Nachhaltigkeit bedeutet ganzheitlicher Zugang. Und eben nicht die Bio-Erdbeeren, die im Dezember mit dem Flugzeug eingeflogen werden. Oder die Bio-Schokolade, die unter ausbeuterischen Bedingungen geerntet wird. Auf eine einfache Formel herunter gebrochen lautet das Prinzip: Nicht energiesparende Wäschetrockner benutzen. Sondern gar keine.

»Dafür bedarf es einen grundlegenden kulturellen Wandel«, ist sich Sorgo sicher. »Das Problem ist, dass den Menschen suggeriert wird, sie könnten nachhaltig konsumieren, ohne Änderungen in ihrem Lebensstil in Kauf nehmen zu müssen. Aber der konsumistische Lebensstil ist eben nicht der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung, sondern steht ihr im Weg.« Nachhaltige Entwicklung ist ein grundlegender, gesellschaftlicher Such- und Lernprozess. Bildung muss dabei natürlich eine Rolle spielen, aber den erhobenen Zeigefinger sollte es nicht geben. »Lehrende an Schulen und Universitäten können nicht die Welt retten«, gibt sich Sorgo realistisch. »Außerdem muss man bedenken, dass kulturelle Zwänge (im Sinne von Vorschriften und Geboten, welche Lehrende aussprechen) zwar helfen, aber lang nicht ausreichen, um die Kultur zu verändern.«

Die neuere Kulturwissenschaft spielt den Ball übrigens wieder weg von der Gesellschaft und an den Einzelnen zurück. Der Mensch findet zweifellos kulturelle Gegebenheiten vor. Er formt und reproduziert sie aber auch täglich. Höchste Zeit, dies auf eine andere Art zu tun.

Gabriele Sorgo (Hg.)
»Die unsichtbare Dimension. Bildung für nachhaltige Entwicklung im  kulturellen Prozess«
Forum Exkurse Edition, Wien 2011
Zu beziehen über www.umweltbildung.at

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