Sophias Happa: Fleischfreiheit
Vor 15 Jahren hätte ich es kaum für möglich gehalten, dass Vegetarismus beziehungsweise Veganismus zu einem so hochpolitischen Thema werden würden. Ein Kommentar zum Thema #Veggieday.
Als Teenager hörte ich – wie viele Teenager – auf, Fleisch zu essen, weil mir die Tiere leid taten. „Ich ess‘ Blumen“ von den Ärzten summend, redete ich mir ein, dass selbst meine Ausscheidungen nunmehr nach Veilchen riechen würden. Nach einer Weile, die Auswahl an vegetarischen Produkten war in den 1990ern zugegebenermaßen noch relativ bescheiden, hangelte ich mich dann über Fischstäbchen wieder zu Würsteln und Schweinebraten und beschloss: „Es schmeckt mir halt einfach zu gut!“.
Zwar aß ich sukzessive weniger Fleisch, kochte oft ohne und hatte viele vegetarische Freunde, aber ich hielt mich, die Gedanken an Massentierhaltung verdrängend, an die von der US-amerikanischen Psychologin und Autorin Melanie Joy im Zuge ihrer Karnismus-Theorie charakterisierten drei Ns: Fleischverzehr sei natürlich, normal und notwendig.
Eine Wahl haben
Erst im Jahr 2010 las ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel von Petra Steinberger, der mich nachhaltig beeinflusste, indem er mir das Ausmaß und die katastrophalen Folgen der weltweiten Tierhaltung und der Überfischung vor Augen führte. Im Grunde führte sie schon damals alle wichtigen Argumente auf, die es mir auch heute noch sehr leicht machen, keine Tiere mehr zu essen: Die ökonomische Verantwortung, die Tatsache, dass wir in unserer Überflussgesellschaft eine Wahl haben und nicht auf den Verzehr von Tieren angewiesen sind, also eine ethische Verantwortung resultierend aus dem Wissen über die unvorstellbar grausame Praxis in der Tierhaltung, die sich auch durch den Kauf von Bio-Fleisch nicht vermeiden lässt. Wer es wagt, sich intensiv mit dem Status Quo der Tierhaltung auseinanderzusetzen, den Arbeitsbedingungen der Angestellten und den kriminellen Praktiken der großen Konzern-Lobbys, dem vergeht innerhalb kürzester Zeit nicht nur der Appetit auf Fleisch, sondern auch auf andere tierische Produkte wie Eier, Milch- und Lederprodukte.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Nicht umsonst hat Veganismus in den letzten Jahren einen solchen Hype erlebt – am Ende von viel Nachdenken ist eine vegane Lebensweise die logische Konsequenz. In einer Großstadt wie Wien oder Berlin vegan zu (über)leben ist sehr einfach geworden, es gibt gut sortierte Bio-Läden und Restaurants, die ein dementsprechendes Angebot anbieten. Nun kann man es wie ich betreiben, ich koche zuhause und bei meinen Dinner-Abenden komplett vegan, mache aber ab und zu Ausnahmen, etwa wenn ich eingeladen bin oder das Huhn, das das Ei gelegt hat, persönlich beim Namen kenne. Vegane Hardliner würden mich dafür an den Pranger stellen. Für viele gibt es nur ein Ganz-oder-gar-nicht. Veganismus ist für sie zu einer politischen Einstellung geworden, eine Art Ersatzreligion, durch deren Angehörigkeit sie sich über andere erheben können, im Glauben zu besseren Menschen zu werden. Selbst Melanie Joy, die schon seit 20 Jahren als vegane Aktivistin auf der ganzen Welt unterwegs ist, hält von solch radikaler Einstellung nichts. Sie setzt sich, buddhistisch entspannt, für Überzeugungsarbeit ein – mit Gewalt kann man niemanden überzeugen! Das kann ich nur unterschreiben, ich freue mich, Skeptiker und überzeugte Fleischesser nach einem veganen Vier-Gänge-Menü satt und zufrieden nach Hause schicken zu können, während sie mir sagen: „Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich heute kein Fleisch gegessen habe!“. Genauso wie ein älterer Stammkunde, der zu der sehr erfolgreichen veganen Konditorin Mellissa Morgan alias Ms Cupcake meinte: „So what is this vegan you put in all of your delicious cakes?“.
#Veggieday
Ich freue mich über jedes Schnitzel das weniger gegessen wird und über jedes männliche Küken, das nicht in der Häckselmaschine landet. Es gibt aber auch zahllose Menschen, die sich schon allein durch die wachsende Existenz von Vegetariern/ Veganern angegriffen bzw. in ihrem Fleischkonsum bedroht fühlen. Wie man es jüngst bei der medialen Diskussion um den Veggie Day im bundesdeutschen Wahlkampf beobachten durfte. Nachdem die Grünen diese schon seit drei Jahren bestehende Forderung offiziell zum Wahlkampfthema gemacht hatten, wurden sie von den politischen Gegnern als „lustfeindliche Partei der Verbote“ angegriffen. Die FDP veranstaltete ein Protest-Würstchen-Grillen, die Vertreter der Unionsparteien sprachen von einer Erziehungsdiktatur und Bevormundung der Bürger. Natürlich verwundert mich diese politische Reaktion keineswegs, herrscht doch Wahlkampf, wo es gilt, die Argumente des Widersachers zu entkräften. Aber nachdem ich ähnliche Reaktionen auch im Kreise meiner Meinung nach sehr vernünftigen jungen Menschen vernahm, die ich politisch sehr viel weiter links einordne, wurde mir klar, wie emotional die Thematik geworden ist.
Die tägliche Dosis Fleisch
Ich kann gar nicht nachvollziehen wie man es als Bevormundung empfinden kann, einen Tag die Woche auf Fleisch zu verzichten, um einen kleinen Beitrag zum Tier- und Klimaschutz zu leisten. Erstens bleiben ja immer noch sechs Tage übrig und zweitens wird kein Inspektor zuhause in die Töpfe gucken, lediglich Kantinen, Mensen und Schulküchen sollen sich an der Aktion beteiligen. Wie kann man in einem Land, in dem das Übergewicht der Bevölkerung durch schlechte Ernährung und dessen gesundheitliche Folgen stetig zunehmen, überhaupt Nein sagen zum Veggie Day?
Das Nachrichtenmagazin Focus hat in einer Umfrage herausgefunden, dass vor allem Männer nicht auf ihre tägliche Dosis Fleisch verzichten möchten. Wie wäre es, am Veggie Day alternativ Workshops anzubieten, in denen Fleischhungrige einfach mal selbst ein Huhn oder ein Schwein schlachten können, um sich diese Dosis zu beschaffen? Fakt ist, dass der übermässige Fleischkonsum in unserer Gesellschaft und die Konfrontation mit dessen Auswirkungen auf Klima-, Umwelt-, und auch Tierschutz in den nächsten Jahren nicht ab- sondern zunehmen wird. Das wird und muss politische Folgen haben, es zu verdrängen oder als Bevormundung abzutun sind keine Optionen.
Wo ist die Grenze zu ziehen?
Natürlich gibt es auch immer mehr Stimmen, die den Verfechtern von Veganismus vorwerfen, dieser Lebensentwurf sein utopisch, einseitig und rein (land)wirtschaftlich sowieso nicht umsetzbar, wie die Ökotrophologin Ulrike Gonder es in der TAZ beschreibt. So sei beispielsweise Bio-Anbau auf tierische Düngemittel angewiesen, die man natürlich nur bekommt, wenn man Tiere hält. Weiter führt sie an, dass manche Gebiete eben nur als Tierweiden, nicht aber zum Soja- und Getreideanbau genutzt werden könnten ohne Folgen wie Erosion und Versalzung. Ausserdem darf auch das Argument nicht fehlen, wo denn die Grenze zu ziehen sei, zwischen Tieren und Lebewesen wie Einzellern, Würmern und Bakterien, die durch den Anbau von Getreide- und Sojamonokulturen getötet werden.
Was mich an dieser Argumentation stört, ist die einseitige Sicht auf die Dinge. Wer sagt, dass man Tiere nur tiergerecht halten kann, um sie zu schlachten und zu essen, nicht etwa als natürlichen Rasenmäher und Düngerlieferant? Klar rechnet sich das im großen Stil nicht, aber dass wir wirtschaftlich umdenken müssen, daran besteht ja kein Zweifel. So gibt es bereits Forschungsprojekte, die Pflanzen testen, welche besonders gut auf Monokultur-geschädigten versalzenen Böden gedeihen und gleichzeitig einen hohen Nährwert besitzen. Und erscheint es nicht unheimlich zynisch, einen Mikroorganismus mit einem Hausschwein zu vergleichen, das, nach neuesten Studien des Leibniz-Instituts für Nutztiere, intelligenter und lernfähiger ist als ein Hund?
Nicht auf den Schnitzeln ausruhen
Aufgrund unseres heutigen Wissenstands, des Stands unserer evolutionären Entwicklung, sowie der bereits geschehenen Misswirtschaft und der Umweltschäden, können wir uns nicht weiter auf unseren Schnitzeln ausruhen, wir müssen umdenken und neue Optionen und Konsumgewohnheiten in Betracht ziehen. Es geht nicht darum, dass zukünftig alle Menschen vegan leben sollen, sondern darum, dass die Menschheit insgesamt ihren Fleischkonsum drastisch reduzieren muss. So wie das in Mitteleuropa auch Jahrtausende lang der Fall war. Täglicher Fleischkonsum ist ein Phänomen der letzten 80 Jahre. Dass viele Menschen in unserem Kulturkreis Veganismus momentan als Antwort auf die herrschen Bedingungen wählen, ist wenig abwegig. Deshalb wünsche ich mir auf jeden Fall einen Veggie Day. Oder zwei. Oder drei. Ich bin auch bereit die Rezeptvorschläge zu liefern!
Guten Appetit!
Sophia Hoffmann lebt als freie Journalistin in Berlin. Sie organisiert regelmäßige vegane Dinner-Abende, zu denen sie 4-Gänge-Menüs für bis zu 40 Gäste zubereitet und bloggt unter anderem auf biorama.eu über ihre Kochaktivitäten.