»Scheiße, aber nicht strafbar«: Kies und Schotter im Vorgarten

»Der Kies muss weg!« fordert Tjards Wendebourg. Der Landschaftsplaner und Buchautor über den gedankenlosen Umgang mit der Fläche vor unserer Haustür

Buchautor Tjards Wendebourg (»Der Kies muss weg!«), fotografiert von Martin Staffler

Das Rufzeichen im Titel ist ebenso unmissverständlich wie der Untertitel: »Gegen die Verschotterung unserer Vorgärten«. Tjards Wendebourgs launiges Büchlein ist eine leicht zu lesende Streitschrift, die Lust macht, den ersten Stein zu werfen. Und zwar raus aus dem Garten!

Denn dem Landschaftsplaner und Garten-Journalisten geht es nicht etwa um Geschmacksfragen, über die etwa in der zum Kult gewordenen und vom Berliner Biologen Ulf Soltau initiierten Facebook-Page »Gärten des Grauens« gelacht wird. Wendebourg versucht den damit beschriebenen Stil und Gartentyp als Genre zu definieren. Seine Beschreibung sieht darin eine Steinfläche, in die – wenn überhaupt – nur Einzelpflanzen integriert sind, denen es an jeglicher Dynamik, wie sie durch Pflanzenwachstum entsteht, mangelt. Er beschreibt sie, durchaus wertend, als »Flächen ohne jede Aufenthaltsqualität und Ästhetik« und als versteinerte Materialschlachten mit einem ungesunden Verhältnis  von Steinware, Industrieprodukten und Pflanzen, in denen selbst Pflanzen wie Bonsais oder andere »Krüppelgehölze« jegliche Natürlichkeit missen lassen.

Weniger Streitschrift als aufklärender Argumentationsleitfaden: »Der Kies muss weg! Gegen die Verschotterung unserer Vorgärten« von Tjards Wendebourg
Gleichermaßen Streitschrift wie aufklärender Argumentationsleitfaden: »Der Kies muss weg! Gegen die Verschotterung unserer Vorgärten« von Tjards Wendebourg ist im Ulmer Verlag erschienen. (Foto: Thomas Weber)

Warum Kies und Schotter weg müssen

Dabei argumentiert Wendebourg immer mit Objektivierbarem, mit Tatsachen und belegt beispielsweise, dass die Schotter-Ödnis, die sich in den Vorgärten der Vorstädte breit macht, nur vermeintlich pflegeleicht ist (»So traurig es ist: Es gibt kaum ein besseres Mittel, Wurzelunkräuter zu fördern, als einfach Kies oder Schotter auf einen Boden zu schütten.«). Dass die Steinwüste ein wahrer Anschlag auf die Artenvielfalt ist und dass sie unsere unmittelbar Umwelt im Sommer weiter aufheizt als wenn dort Pflanzen wachsen. Konsequenterweise bietet das Buch am Ende einen Argumentationsleitfaden gegen geschotterte Gärten, Drahtschotterkörbe (sogenannte Gabionen) und pflanzenlose Kiesbeete. Und wer zwar missionarisch veranlagt, persönlichen Streitgespräche aber trotzdem lieber aus dem Weg geht, der oder die wirft nicht nur den Kies aus dem eigenen Garten, sondern auch dem Nachbarn den beigelegten #derKiesmussweg-Flyer in den Postkasten.

Doch gibt es Möglichkeiten, Kies und Schotter im Garten so einzusetzen, dass sie die Artenvielfalt sogar fördern? Ließe sich auch eine Gabione in einen attraktiven Lebensraum verwandeln? Und was könnten wir in einer wärmer werdenden Welt für die Gestaltung unserer Gärten und Vorgärten aus den Mittelmeerländern lernen? BIORAMA bat Tjards Wendebourg zum Interview:

Anders als vom Wasser geschliffener Kies ist Schotter ein Industrieprodukt. Wendebourgs Buch ist auch eine kleine Kies- und Schotterkunde. (Foto: Martin Staffler)

Herr Wendebourg, lässt sich für Sie als Landschaftsplaner und Garten-Journalist nachvollziehen, wo die Kiesmode ihren Ursprung hat?
Tjards Wendebourg: So ganz nachvollziehen lässt sich das nicht. Das ist nicht so wie mit dem Corona-Virus, dessen Ursprung man noch ziemlich genau auf den Tiermarkt in Wuhan beschränken kann. Irgendwann wurden bestimmte Flächen mit Kies oder Schotter gefüllt und dann wurde es immer mehr. Es ging interessanterweise mit der Ausbreitung der Gabionen einher und fing vielleicht vor 10 Jahren an. Seit fünf Jahren läuft es extrem beschleunigt. Es gab aber schon immer Menschen, die den Außenraum wie den Innenraum behandelt haben und es auch draußen steril haben wollten.

Das Meinungsforschungsinstitut GfK hat erhoben, dass sich 46 Prozent der Befragten durch Steinschüttungen mehr Freizeit erhoffen. Sie sehen einen fundamentalen und letztlich teuren Irrtum darin, dass Menschen glauben, ein verschotterter Garten wäre pflegeleicht. Wieviel Pflege braucht denn ein Kiesgarten?
Wie viel Pflege eine Außenanlage braucht, hängt immer von dem Bild ab, das man aufrecht erhalten möchte. Fakt ist: Lässt man die Steine alleine, sammelt sich dazwischen organische Substanzen, auf denen Unkraut und Gehölzsämlinge aufwachsen. Auf den Steinen wachsen Algen, Flechten und Moose. Irgendwann wird es schmuddelig. Wie schnell das geht, hängt von den Materialien, dem lokalen Klima und davon ab, was in der Nachbarschaft wächst.

Wie würde denn ein Steingarten aussehen wenn man ihn beispielsweise drei bis fünf Jahre sich selbst überlässt?
Ich würde das Wort »Steingarten« gar nicht verwenden. Bei den Anlagen, um die es geht, handelt es sich um Kies- oder Schotterschüttungen. Ein Steingarten dagegen kann etwas sehr Schönes sein. Was bei Vernachlässigung damit passiert, kann man auf den mit Kies abgedeckten Flachdächern der 70er und 80er Jahre sehen – sie sehen entweder schäbig aus oder entwickeln sich zu Moos-Sedum-Gesellschaften; beides nichts, was die Kies- und SchotterfreundInnen sich wünschen.

Die Kies- und Schotterschüttungen sind die Insignien der abziehenden Konsumgesellschaft.

– Tjards Wendebourg

Wie sieht denn ein pflegeleichter Vorgarten wirklich aus?
Pflegeleichtigkeit ist ja, wie gesagt, etwas Relatives. Aber eine Pflanzung aus robusten Stauden bietet einen guten Kompromiss zwischen wenig Aufwand, viel ökologischem Wert und guter Optik. Im besten Falle werden die Stauden nach dem Winter mit der Heckenschere zurückgeschnitten. Die halbe Stunde Zeit sollte jede/r noch so viel beschäftigte GrundstücksbesitzerIn haben.

Gräser und robuste Stauden sind verhältnismäßig pflegeleicht. (Foto: Robert Missbichler)

Warum sind Rasen und ein Mähroboter aus Ihrer Sicht keine sinnvolle Alternative wenn es rein ums Praktische geht?
Ökologisch sind vom Mähroboter gepflegte Scherrasenflächen kaum anders zu bewerten als Kies. Sie sind praktisch tot und von der Optik auch nicht der Brüller. Eine freundliche Visitenkarte und ein Beleg für Verantwortungsübernahme sieht anders aus.

Wer ist denn der Typ hinter solchen »Gärten des Grauens«?
Ich habe in »Der Kies muss weg!« eine Wortwolke konstruiert, die die unterschiedlichen Typen beschreibt, die für diese Art von »Gestaltung« anfällig sind. Auf jeden Fall sind es Faule, Desinteressierte, wenig Selbstbewusste, um jeden Preis Anpassungswillige. Die Kies- und Schotterschüttung ist Ausweis von Egoismus und mangelnder Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Speichern im Sommer die Hitze und bieten im Winter keinen Tieren Unterschlupf: Gabionen, geschäftstüchtig auch als »Steinhecke« vermarktet. (Foto: Thomas Weber)

Je mehr Kies und Schotter im Vorgarten und je weniger Pflanzen, desto sicherer könne man sagen, dass die BewohnerInnen jung sind. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Es ist einfach eine Mischung aus mangelnder Sozialisation, Unkenntnis und fehlender Zeit, die in dieser Form eher bei jüngeren Menschen zu finden ist. Man möchte keine Verantwortung für etwas Dynamisches übernehmen und versucht, deshalb das Risiko zu minimieren. Es gibt durchaus auch Ältere, die alles steril haben wollen. Oft gibt es da aber noch einen anderen Erfahrungshorizont.

Die Bedeutung von Pflanzen – schreiben sie unter Berufung auf den Hamburger Gartengestalter Jörg Pfenningschmidt – im Garten nehme eher ab. Stattdessen sehen viele im Garten ein verlängertes Wohnzimmer mit Lounge, Bar und Outdoor-Küche. Wie ließe sich denn die verkümmerte Lust an der Pflanze wieder wecken?
Wir haben gerade eine Differenzierung in der Gesellschaft, wie wir sie auch bei anderen Themen beobachten: Extrembotaniker Jürgen Feder ist ein Bestsellerautor und die App Flora Inkognita erfreut sich großer Beliebtheit. Aber der Weg zur Pflanze ist für viele Leute weit. Sie dahin zu führen, ist nicht einfach. Trotzdem ist viel Neugier da – die sollten wir befriedigen. Mit und über Pflanzen lassen sich spannende Geschichten erzählen. Die Klimadebatte, das Artensterben, die Corona-Pandemie – all das wird zu mehr Interesse führen. Die Menschen tragen ja alle eine Sehnsucht in sich.

Wenn der Vorgarten gegenüber der Nachbarschaft die »Visitenkarte« des Hauses ist, wie sie schreiben: Lässt sich verallgemeinern wie der Garten hinter einem Vorgarten des Grauens aussieht?
Ja. Dazu habe ich ja lange genug als Gartenplaner gearbeitet. Ich kann Ihnen sehr schnell vorhersagen, was hinten passiert, wenn ich vorne schon gesehen habe. Vieles ist aber auch wirklich Ausweis von Hilflosigkeit und Unwissen. Das kann man den GärtnerInnen auch nur immer wieder zurufen: Macht nicht den Erfüllungsgehilfen, sondern macht Gebrauch von Eurer Beratungskompetenz; so sie denn vorhanden ist.

Ein Problem am exzessiven Einsatz von Stein, Kies und Beton ist, das Steine Wärme speichern und sie schnell wieder abgeben und sich durch Steinwüsten vor dem Haus unsere unmittelbare Umwelt im Sommer stark aufheizt. Was könnten wir denn von den Menschen, die sich im Mittelmeerraum schon immer mit Hitze arrangieren müssen, für die Gestaltung unserer (Vor-)Gärten abschauen?
Im Mittelmeer verschachtelt man das Dorf enger, so dass es mehr Schatten und mehr kühle Gebäudeschluchten gibt. Kletterpflanzen, Bäume und Kübelpflanzen sorgen für Feuchtigkeit, die an die Luft abgegeben wird. Manchmal sorgen auch Pergolen, Laubengänge oder Baumreihen für Schutz und Schatten. Kaum einer käme im Süden auf die Idee, Steine vor die Tür zu schütten, um noch mehr Hitze zu speichern.

In unseren Breiten legen Kommunen und Gemeinden teilweise schon einen maximalen Versiegelungsgrad auf Grundstücken fest, weil gerade bei starkem Regen das Wasser nicht mehr versickern kann. Wo ist man denn da am strengsten?
Viele Kommunen sind schon vorgeprescht. Das hängt mit einzelnen aktiven Personen im Stadt- oder Gemeinderat oder aber in der Verwaltung zusammen. Da, wo es besonders schlimm ist – zum Beispiel am Niederrhein – entwickelt sich auch ein besonderer Druck aus der Verwaltung. Erlangen ist die erste Stadt, die jüngst diese Art von Gestaltung verboten hat.

Gabione unter einem Carport
Wenn es stark regnet, kann hier nirgendwo Wasser abfließen. (Foto: Thomas Weber)

Wieviel Quadratkilometer Steinwüste aus deutschen Vorgärten gibt es summa summarum?
Das kann ich leider nicht quantifizieren, auch, weil sich die Kies- und Schotterschüttungen sehr unterschiedlich darstellen. Das macht auch das Verbieten so schwer. Soll eine pflanzenlose Steinwüste verboten werden? Und ist dann ein Krüppelgehölz oder ein Bonsai schon Grund, es nicht zu verbieten?

Gibt es Möglichkeiten, Kies, Schotter und Steine im Garten so einzusetzen, dass sie die Artenvielfalt fördern?
Natürlich. Die Steine können ja nichts dafür. Es gibt auch in der Natur tolle Biotope aus Steinen und Pflanzen. Und Kiesgärten a la Beth Chatto sind das Schönste, was man sich vorstellen kann – voller Leben und mit einer Ausstrahlung von Mittelmeer. Mit den Kies- und Schotterwüsten deutscher Vorgärten hat das nichts zu tun.

Ließe sich auch eine Gabione in einen Lebensraum verwandeln?
Auch die Gabione ist kein Problem, genauso wenig wie Thuja- oder Scheinzypressenhecken. Das Problem ist das Ensemble, die pflanzenlosen Materialschlachten in Verbindung mit überdimensionierten Belags- und Steinflächen oder aber Immergrünen und Kunstpflanzen. Wer in meinem Buch auf Seite 82 angekommen ist, findet da einen Garten, in dem rechts jenseits des Bildes Gabionen eingebaut sind, um ein Kellerloch abzufangen. Es sind ja auch rein konstruktive Elemente, die man bestens mit Pflanzen kombinieren kann; mit Stauden oder mit Kletterpflanzen zum Beispiel.

Anders als eine natürliche Hecke sieht eine Gabione zu jeder Jahreszeit gleich aus. (Foto: Thomas Weber)

»Die Kies- und Schotterschüttungen haben das Zeug dazu, aggressive Gegenbewegungen auszulösen.« Womit rechnen Sie denn?
Ulf Soltau hat mit seinem Online-Pranger ja schon einiges an Emotionen ausgelöst. Im Moment kommt einiges zusammen: Wir erleben das Ende des Wachstumsparadigmas. In Zeiten des Klimawandels wirken diese Anlagen seltsam aus der Zeit gefallen. Sie stehen für grenzenlosen Egoismus und rücksichtslosen Flächenverbrauch. Als solches werden sie gebrandmarkt werden. Die Kies- und Schotterschüttungen sind die Insignien der abziehenden Konsumgesellschaft.

Viele Steinwüsten werden irgendwann schließlich doch umgestaltet, weil sie sich als unpraktisch und eben nicht pflegeleicht erweisen. Was wird denn am häufigsten aus einem ehemaligen Garten des Grauens?
Schwer zu sagen. Schon vor den Kies- und Schotterwüsten waren ja die wenigsten Vorgärten schön. Das wird davon abhängen, wie gut die Beratung und wie stark die Bereitschaft ist, wirklich einen Wechsel im Denken zu vollziehen. Die Angst, was der Nachbar über die eigene soziale Stellung denken und die allgemein verbreitete Bequemlichkeit nehmen ja nicht automatisch ab.

Könnte man theoretisch wenn man bei der Gartengestaltung von einem Profi von einer Steinwüste überzeugt wurde, auch Schadenersatz fordern? 
Derzeit nur, wenn er gegen die örtlichen Bauvorschriften verstößt. Alles andere ist maximal Scheiße, aber nicht strafbar.

Wenn wir von Monotonie und Wüste reden: Gehörten Gehsteige und Trottoirs nicht im 21. Jahrhundert auch anders gestaltet als nur mit Asphalt und Bordsteinkante?
Ja. Da ist auch in den Kommunen ein großer Umdenkprozess und ein Strategiewechsel in der Kommunikation notwendig. Muss alles befestigt werden? Können Unkrautsäume nicht geduldet werden? Können wir nicht wichtige Bereiche lieber hochwertig und weniger wichtige extensiv gestalten? Diese Fragen werden zu stellen sein und die daraus folgenden Konsequenzen müssen schlüssig vermittelt werden. Derzeit fehlt es auch in den Kommunen an Beratungskompetenz. Das war übrigens auch ein Ansatz von #DerKiesmussweg – den Kommunen Beratungshilfe für die Bauwilligenberatung an die Hand zu geben.

»Der Kies muss weg! Gegen die Verschotterung unserer Vorgärten« von Tjards Wendebourg ist im Ulmer Verlag erschienen.

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