Keep Us Going – Radeln für ein solidarisches Miteinander
Rainer Neumüller radelt seit 10. Juli 2014 ohne Geld von Wien nach London und retour. Er begibt sich bewusst in die Situation eines Mittellosen, der auf die Unterstützung seiner Mitmenschen angewiesen ist.
Rainer Neumüller glaubt an die europäische Solidarität und möchte zeigen, dass ein großer Teil der europäischen Gesellschaft bereit ist, solidarisch zu handeln und zu helfen. Wichtig ist ihm dabei, diejenigen, die Hilfe benötigen, zu personalisieren und so die Europäerinnen und Europäer vielleicht wieder näher zusammenzubringen. Im Interview mit BIORAMA erzählt der Künstler über die Vorbereitungen, Erwartungen und das griechische Projekt Ampariza, das er mit seiner Aktion unterstützen möchte.
BIORAMA: Ohne Geld von Wien nach London – ein fast unglaubliches Vorhaben. Wirst du alles hier lassen, dich auf dein Rad setzen und losfahren?
Rainer Neumüller: Mein Rad hat zwei Taschen, die werde ich füllen – mit Gewand zum Wechseln, einem Schlafsack, zwei Ersatzschläuchen und Werkzeug, um gegebenenfalls das Rad zu reparieren.
Der ursprüngliche Plan war, sich in die Situation eines Flüchtlings zu begeben, der aufbrechen muss mit dem, was er gerade bei sich hat und nachzuvollziehen, wie das ist. Eigentlich unmöglich, weil so jemand wirklich nichts hat und ich jederzeit aufhören kann, wenn es mir zu viel wird. Ich möchte losfahren, mit den Leuten reden und sichtbar machen, wie es einem plötzlich mittellosen Menschen geht.
Ich glaube nicht, dass es so wenig Solidarität gibt, wie es den Anschein macht, sondern dass man sich die Situation oder Empfindungen des plötzlich-mittellos-Seins nicht vorstellen kann. Wenn Hochwasser herrscht wird gespendet, weil man sieht, wie die Leute im Wasser stehen und ihnen das Wasser bis zum Hals reicht. Wenn in Griechenland jemand interviewt wird, besser angezogen als ich jetzt und schildert, dass er oder sie keine Arbeit mehr hat wirkt das anders. Damit hat es wohl zu tun, dass hier weniger Solidarität mit den Menschen herrscht.
Ursprünglich wollte ich einfach so aufbrechen, ohne irgendwelche Vorbereitungen, aber um die Reise zu dokumentieren, musste ich dahingehend planen. Ich kümmerte mich z. B. um die Technik. Es gibt ein „Tagebuch“, indem Interessierte und Unterstützer_innen mitverfolgen können wo ich mich gerade aufhalte und wie schnell ich fahre. Ich habe zwei Monate Zeit für die Reise und habe ausprobiert, ob es realistisch ist 100 Kilometer am Tag zu fahren. Trainiert habe ich nicht, es soll ja eine Ausnahmesituation sein.
Welche Route hast du gewählt, wie wirst du den Ärmelkanal überqueren und wirst du tatsächlich bei jeder Witterung fahren?
Es liegen etwa 4.000 Kilometer vor mir. Ich habe vor entlang der Donau von Passau nach Norden Richtung Berlin zu fahren. Wenn es wahnsinnig schüttet, dann werde ich mich unterstellen. Ich hoffe nur, dass es keine Überschwemmungen gibt. Aber man muss es immer positiv angehen, dann funktioniert alles besser! Um über den Kanal zu kommen muss ich wohl auch jemanden „anhauen“, bis ich dort bin habe ich schon Routine und weiß, wie ich mit den Leuten reden muss. Das heißt, wenn ich es bis dort hin schaffe.
Für jeden gefahrenen Kilometer sammelst du Spenden, die an den Verein Ampariza (gesprochen Awariza) weitergeleitet werden, der mittellosen Menschen hilft, sich selbst zu helfen. Vielleicht kannst du uns etwas über das Projekt erzählen und warum du gerade dieses ausgewählt hast?
Genau, das ist wichtig! Ampariza war ursprünglich ein Kulturverein in Athen, der Konzerte organisiert hat. Dann ist die Krise ausgebrochen und die Betreiber haben beschlossen, dass Kultur schön und gut ist, aber andere Dinge notwendiger gebraucht werden. Darauf hin wurden verschiedene Projekte initiiert. Ampariza gestaltet z. B. einen Markt, an dem die Produzentinnen und Produzenten direkt und ohne Zwischenhandel verkaufen, was ja noch nichts so besonders ist – das ist samstags am Kutschkermarkt auch der Fall. Das Besondere ist, dass die, die etwas verkaufen etwa zehn Prozent von ihren Einnahmen spenden. Das heißt, wenn sie ein Geschäft machen wird ein Teil ihres Gewinnes an die verteilt, die von Armut betroffen sind, weil sie z. B. arbeitslos geworden sind. Das finde ich eine unterstützenswerte Idee. Ampariza führt unter anderem Medikamentensammelaktionen durch und verfügt über eine Stelle, wo Menschen ohne Krankenversicherung hinkommen können um notwendige Medikamente abzuholen. Auch ein Arbeitslosenprojekt gibt es, in dem gemeinsam mit Arbeitslosen z. B. Seife produziert und dann verkauft wird. Es ist ein wichtiges Projekt, das zeigt, wie sehr man solidarisch agieren kann. Ich werde (hoffentlich) auch viel Gemeinschaftssinn erfahren, um damit den Verein unterstützen zu können.
Aufmerksam wurde ich auf den Verein durch Christian Rathner, den ich bei der Vorstellung seines Buches „Durch die Krise kommt keiner allein“ kennenlernte. Er hat mir verschiedene griechische Solidarprojekte vorgestellt und ich habe mich für Ampariza entschieden, weil sie ein Kulturverein sind so wie art18 auch, den wir vor nicht ganz einem Jahr gegründet haben. Ich fand das eine gute Verbindung.
Du bist Künstler. Deine Aktion geht eigentlich darüber hinaus ein Kunstprojekt zu sein. Beschäftigst du dich als Künstler generell mit gesellschaftlichen Problemen oder ist es dir einfach ein persönliches Anliegen?
Kunst kann in alle Richtungen gehen, da ist keine Begrenzung. Ich finde schon, dass es ein Kunstprojekt ist, aber es ist auch ein Versuch sichtbar zu machen, wie es plötzlich Mittellosen oder Flüchtlingen geht, oder auch der griechischen Bevölkerung. Ich möchte die Erfahrung, Verletzlichkeit und Abhängigkeit der von Armut betroffenen Menschen zeigen. Auf meinem Weg möchte ich meine Erfahrungen mit Solidarität schildern, wie es mir dabei geht und herausfinden, was die Menschen, die mir begegnen, dazu sagen.
Ich beschäftige mich immer mit Themen, die mich gerade bewegen. Die Kunst ist eine schwierige Angelegenheit. Sie braucht einen Anlass und ist immer Ausdruck von eigenen Bedürfnissen und dem, was man transportieren möchte. Was die Rezipientin oder der Rezipient dann daraus macht, ist ihre oder seine Sache. Meine Kunst ist nicht einheitlich. Ich erschaffe Skulpturen, mache Videos, male und initiiere Projekte wie jetzt das „keep-us-going“ Projekt.
Keine Belehrung, sondern Taten setzen, ist das Motto von Rainer Neumüller. BIORAMA dankt für das Interview und wünscht eine gute Fahrt!
Das Projekt mit „Kilometergeld“ unterstützen
Interessierte Sponsorinnen und Sponsoren können entscheiden, wieviel Geld sie pro gefahrenen Kilometer zur Verfügung stellen möchten. Projektbeschreibung und Fundraising Verträge
Unterstützen Sie Rainer Neumüller und den Verein Ampariza: „art18 – Vernetzte Kunst Währing“, Erste Bank und Sparkasse: Kontonummer: 82447124303, IBAN: AT38 2011 1824 4712 4303, BIC: GIBAATWWXXX, Verwendungszweck: „Ampariza“.