Von Bauernopfern, Krügen und Brunnen
Europas Landwirtschaftspolitik und Förderwesen als Quadratur des Kreises? Ein Gastkommentar von Karin Doppelbauer.
Darios Ciolos ist ein einsamer Mann. Der rumänische Agrarkommissar versucht etwas, woran sich schon schwergewichtigere EU-Kommissare die Zähne ausgebissen haben: eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) – im Kern also des europäischen Agrarförderwesens. Der mächtigen Lobby der Agrarindustrie ist das ein Dorn im Auge, denn sie ist es gewöhnt, das Spiel anzusagen. Den Ökologiebewegten hingegen sind die Reformansätze zu zaghaft, Osteuropa will mehr Geld, Großbritannien einen rigideren Sparkurs und dazwischen gibt es immer wieder Veto-Drohungen auch von Ländern wie Österreich, zum Teil mit vernünftigen, überwiegend mit fadenscheinigen Argumenten. Die Quadratur des Kreises? Ist Ciolos zum Scheitern verurteilt, ein Don Quijote unsere Zeit? Und wenn ja, ist das egal?
Die Fakten
In etwa 60 Milliarden Euro gibt die Europäische Union pro Jahr an Fördermitteln für die Landwirtschaft (im weitesten Sinne) aus. Das sind ca. 40% des Unions-Budgets. 44 Milliarden für die so genannten Direktförderungen in der ersten Säule (das sind vereinfacht gesagt Stützungen für Produzenten in besagtem Sektor, um im internationalen Wettbewerb zu helfen) und etwa 14 Milliarden für die zweite Säule, in der es um Nachhaltigkeit (auch Bio fällt in diese Kategorie), die Abgeltung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen und teilweise auch um Strukturförderung geht. Die restlichen zwei Milliarden entfallen auf Rundungsfehler, Bürokratie und ähnliches.
Die Geschichte
Die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik findet man im Artikel 39 der Lissabon-Verträge. Man findet sie aber auch im EWG-Vertrag von 1957, womit wir beim Kern des Problems wären. Denn vor über fünfzig Jahren ging es in Europa vor allem um Wachstum und Produktivitätssteigerung, um die Ernährung der Bevölkerung langfristig zu vernünftigen Preisen sicher zu stellen. Nach dem Sieg über die echte Not nach dem zweiten Weltkrieg gingen damals immer noch etwa 30% des verfügbaren Einkommens für Lebensmittel drauf. Zum Vergleich, heute sind das in Österreich ca. 14%. Es ging also um die Bereitstellung von preiswerten Lebensmitteln und um die Unterstützung der Produktion derselben und das kann durchaus als Erfolg der europäischen Agrarpolitik gewertet werden. In der Zwischenzeit wurde das System vom Konzept der Preisstützung zu einem der Direktförderung für landwirtschaftliche Betriebe umgestellt. Doch was damals richtig war, bedeutet auch heute noch: wer wächst und die Produktivität steigert, gewinnt. Aber ist das noch zeitgemäß und liegt das in unser aller Interesse?
Denn die Ziele haben sich verändert: längst geht es auch um Nachhaltigkeit, Erhaltung und Stärkung regionaler Strukturen, um die Art, wie wir uns in Zukunft ernähren wollen und (zugegeben immer noch) zu welchem Preis, letztlich aber um den vernünftigen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Die diesbezüglichen Ansätze in der erwähnten zweiten Säule sind nicht klar definiert, verlieren mangels schlagkräftiger Lobby in Brüssel und den europäischen Hauptstädten weiter an Boden gegen die Agrarindustrie und sind zudem oft falsch argumentiert. Heute fällt in den Bereich „regionale Entwicklung“ nicht zuletzt, Kanäle zu bauen, verchromte Laternenpfähle aufzustellen oder Schwimmbäder zu subventionieren. All das kann man machen, aber dann sollte man das Kind auch beim Namen nennen, denn mit nachhaltiger Landwirtschaftspolitik hat das nichts zu tun.
Der Weg
„Lerne zu klagen, ohne zu leiden“, hört man mitunter hinter vorgehaltener Hand, wenn es um Förderungen in der Landwirtschaft geht. Und wahr ist, dass eine unreflektiert einseitige Interessen-Politik nicht nur unsympathisch anmutet, sondern auch zu falschen Allokationen der Mittel führt. Es kann nicht mehr darum gehen, „möglichst viel für Österreich herauszureißen“ – und das zum Teil für unsinnige Gegenleistungen und wider besseres Wissen. Mehr Aufrichtigkeit ist gefragt. Es geht darum, den Wertekatalog der Landwirtschaftspolitik und der regionalen Entwicklung neu aufzusetzen und voneinander zu trennen. Hier ist auch die Frage erlaubt: Muss Landwirtschaft über ein zentrales Budget geregelt werden? Warum nicht einen Förderrahmen vereinbaren und die Budgets in den Ländern belassen? Für regionale Entwicklung wahrscheinlich nicht zielführend, aber für die Landwirtschaft machbar. Klar ist, aus Steuergeldern finanzierte Förderungen müssen an konkrete Vorgaben und an Gegenleistungen gebunden werden. Das heißt: umweltschonendes Wirtschaften und Artenvielfalt statt Wachstum, Masse und Exportsteigerung. Wir Bauern leben diese Idee bereits, denn in Österreich nehmen schon jetzt 74% aller Betriebe an Maßnahmen zur Umsetzung einer nachhaltigen Landwirtschaft teil.
Es geht um die konkreten ersten Schritten, die auch Ciolos im Sinn hat: Keine Umwidmung mehr von Grünland zu Ackerland, keine Förderung mehr für Monokulturen (eine reichhaltigere Fruchtfolge bedeutet, dass tonnenweise energiereicher Kunstdünger unnötig wird) oder auch die Förderung von ökologischen Vorrangflächen ohne Chemie und Hightech. Zudem muss das System auch für die Betroffenen, die Bauern wieder einfacher und entbürokratisiert werden. Kein noch so schlaues Bioschweinderl kennt sich mehr aus (um das Wort Sau zu vermeiden) … Das alles noch garniert mit gesundem Hausverstand (Rüstungsbetriebe brauchen unser Steuergeld für die Aufforstung eines ehemaligen Panzer-Testgeländes ebenso wenig wie die Zuckerindustrie oder die Lippizaner, oder Schönbrunn). Und last but not least: Entwickeln wir Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Markt, der die Abhängigkeit von Förderungen senkt! Auch Bauern wollen keine Bittsteller sein, sondern Unternehmer.
Ciolos Kind hat auch einen Namen, das Paket heißt Greening und es hat viele Feinde. Insider sind skeptisch und überzeugt, dass noch viel Wasser Donau, Rhein und Rhone durchfließt, bis der fällige Paradigmenwechsel in der „Gemeinsamen Agrarpolitik“ Wirklichkeit wird.
Der Ausblick
In der Zwischenzeit werden die Großen in Europa größer und die Kleinen zum Bauernopfer im wahrsten Sinne des Wortes – sie verschwinden von der Bildfläche. Ciolos wird sich mehr oder weniger weiter bemühen und man darf ihm durchaus Glück wünschen. Denn mit dem steuerfinanzierten Geldsegen für die europäische Agrarindustrie ist es wie mit dem sprichwörtlichen Krug, der so lange zum Brunnen geht, bis er bricht. Sollte die europäische Agrarpolitik nämlich nicht die Kraft haben, sich zu befreien und sich neuen, längst als vernünftig erkannten Zielen zuzuwenden, werden diejenigen, die das alles finanzieren – die europäischen Steuerzahler/innen – zunehmend darüber nachdenken, ihr das Vertrauen und letztlich das Geld zu entziehen.
Karin Doppelbauer ist Agrarökonomin, Managerin in einem internationalen Konzern, Biobäuerin und Vorstandsmitglied von NEOS – Das Neue Österreich.