„Das System sperrt sich selbst ein“
Jorgen Randers, Mitautor des berühmt gewordenen Nachhaltigkeitsberichts „Die Grenzen des Wachstums“, tingelt derzeit durch den deutschsprachigen Raum. Im Gepäck hat er sein neues Mammutwerk „2052 – Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre“. Wie wird’s uns in Zukunft gehen?
BIORAMA: Vor vierzig Jahren hat der Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht. Darin wurden verschiedenste Szenarien nachhaltiger – oder auch nicht so nachhaltiger – Entwicklung prognostiziert. Blicken wir auf die letzten vier Jahrzehnte zurück, wo stehen wir jetzt?
Jorgen Randers: Eine wesentliche Botschaft in „Die Grenzen des Wachstums“ ist, dass unsere Welt begrenzt ist. Es besteht das Risiko eines Overshoots (Anm.: die gesellschaftliche Ressourcennutzung übersteigt die jährliche natürliche Ressourcenproduktivität). Diesen Overshoot haben wir bereits erreicht, da die Entscheidungsfindungsprozesse in der Gesellschaft langsam ablaufen. Die Menschheit hat es zugelassen, dass die Gesamtpopulation und die Wirtschaft über die nachhaltigen Grenzen hinaus angewachsen sind. Treibhausgasemissionen, von denen wir mittlerweile zweimal so viele emittieren wie Ozeane und Wälder absorbieren können, sind hier nur ein Beispiel. In weiteren vierzig Jahren werden wir sehen, dass sich die grundlegenden Warnungen von „Die Grenzen des Wachstums“ bewahrheitet haben.
Was sagt das über unsere Gegenwart aus?
Der Kollaps ist noch nicht eingetreten; gemäß den zwölf Szenarien des damals veröffentlichten Berichts sollte das auch noch nicht der Fall sein. Mein aktuelles Buch baut auf dieser Beobachtung auf und stellt die Frage, wie die nächsten vierzig Jahre vorrausichtlich sein werden. Die Weltwirtschaft und die Weltbevölkerung werden weiter wachsen, aber viel langsamer als zumeist angenommen. Es wird zu keinen großen Ressourcenknappheiten kommen. Allerdings werden wir in hohem Maße Treibhausgas emittieren, sodass die Wahrscheinlichkeit eines bedrohlichen Klimawandels in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts steigt.
„Die Menschheit kann auf lange Sicht nicht mehr materielle Ressourcen verbrauchen und jedes Jahr mehr Emissionen erzeugen als die Natur in diesem Jahr produzieren und aufnehmen kann.“ Diesen klaren Befund haben Sie im Februar 2012 formuliert. Wissenschaftliche Erkenntnisse können so einfach aussehen. Nichtsdestotrotz ist es für politische Entscheidungsträger nicht einfach, diese Erkenntnisse in ihrer Arbeit umzusetzen. Was sind die Gründe dafür?
Die Menschheit denkt auf kurze Sicht. Menschen legen auf die kurzfristigen Auswirkungen ihres Handelns Wert, anstatt auf die langfristigen Auswirkungen zu achten. Kapitalismus und Demokratie, Institutionen die wir geschaffen haben, zementieren dieses kurzfristige Denken. Natürlich könnte die Gesellschaft den Kapitalismus regulieren, sodass es am profitabelsten ist, das zu tun, was der Gesellschaft zuträglich ist. Dieses Ziel verfolgen wir mit den Klimaverhandlungen, wo zum Beispiel die Einführung einer Kohlendioxidsteuer diskutiert wird. Die Politik stößt da allerdings auf öffentlichen Widerstand, weil die meisten dieser Maßnahmen Teuerungen von Kraftstoff und Elektrizität mit sich bringen. Die Leute wollen aber keine höheren Preise für Elektrizität und Kraftstoff zahlen, selbst wenn das das Leben ihrer Enkelkinder verbessern würde. So sperrt sich das System selbst ein. Politiker können in den meisten Fällen nicht eingreifen, da längerfristige Lösungen zumeist die kurzfristigen Kosten erhöhen.
Würde eine gemeinsame, globale Politik Kapazitäten für nachhaltige Entwicklung schaffen oder käme es dadurch zur Aushöhlung der westlichen Demokratie?
Die einzige Lösung liegt in einer Art supranationaler Institution, die das kurzfristige Wesen der Nationalstaaten abdämpfen kann. Ganz wie Einzelpersonen oder Unternehmen ihre kurzfristigen Interessen verfolgen, macht der Nationalstaat im Wesentlichen dasselbe. Wir müssten ein Verständnis unter den Wählern schaffen, dass es in ihrem Interesse wäre – wenigstens im Interesse ihrer Kinder – gewisse Entscheidungsgewalt an eine supranationale Institution zu übertragen. Die Währungspolitik bildet hier den Präzedenzfall. Parlamente haben die Entscheidungsmachte darüber, wie viel Geld gedruckt werden soll, einfach an Zentralbanken delegiert. Genau auf diese Art und Weise, hätte ich gehofft, wäre es für demokratisch gewählte Regierungen möglich, Entscheidungsspielräume für eine nachhaltige Entwicklung an eine Art „Zentralbank“ zu übermitteln.
Das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ behandelt Probleme nachhaltiger Entwicklung von einer globalen Perspektive aus. Ist das die richtige Ebene, um diese Probleme anzugehen oder ist nachhaltige Entwicklung vielmehr ein unmöglicher Sprung in hundert einfachen Schritten, hauptsächlich getrieben von lokalen oder regionalen Initiativen?
Ich bin der Meinung, dass kleinere Probleme auf lokaler Ebene gelöst werden können. So weit reicht mein Glaube an die Menschheit. Folglich interessieren mich nur Aspekte, die von globaler Art sind. Das Klimaproblem könnte natürlich im Prinzip auch auf lokaler Ebene gelöst werde, wenn zufällig eine Million verschiedener Instanzen gleichzeitig entscheiden, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Da kann man fragen, wie wahrscheinlich das ist.
In der Einleitung von „2052“ schreiben Sie, dass Sie nicht noch ein idealistisches Bild einer utopischen Gesellschaft beschreiben wollen. Wie sieht denn ihr Bild aus?
Anstatt eine ideale Gesellschaft und den Weg dorthin zu beschreiben – all das, was meine Kollegen und ich vierzig Jahre lang getan haben – versuche ich nun zu sagen: „Das wird geschehen, wenn wir uns weiterhin so verhalten“. Die Frage ist vielmehr, wie wir die Leute dazu bekommen, sich in diesen Dingen zu einigen. Wie werden Verteilungsprobleme gelöst? Wie wird Wohlstand, Einkommen und Entscheidungsgewalt unter den verschiedenen Gruppen verteilt? Die meisten der nachhaltigen Lösungen verlieren nicht einmal ein Wort darüber, obwohl sie die allerwichtigsten in jeder zukünftigen Gesellschaft sein werden.
Am 9. Oktober 2012, 20.00 Uhr ist Jorgen Randers mit einer Special Lecture zum Thema „2052: A Global Forecast for the Next Forty Years“ auf einer Konferenz in Wien zu Gast.
Wachstum im Wandel
8.-10. Oktober 2012
www.wachstumimwandel.at
www.bericht-2052.de
Jorgen Randers ist Autor zahlreicher Bücher und wissenschaftlicher Berichte. Er war Co-Autor des Reports »Die Grenzen des Wachstums« (1972) und mitverantwortlich für die Aktualisierungen der Jahre 1992 und 2004. Von 2004 bis 2009 war er Generaldirektor des World Wildlife Fund; heute ist er Dozent für Klima- und Zukunftsfragen an der renommierten Norwegischen Business School in Oslo.
Michael Neundlinger hat Geschichte, Anthropologie und Soziale Ökologie in Wien studiert. Aktuell untersucht er am Institut für Soziale Ökologie die Nachhaltigkeit österreichischer Landwirtschaft und hat für BIORAMA dieses Interview geführt.