Jane’s Walk: Zu Fuß die Stadt erkunden

Andreas Lindinger und Wiens Fußgängerbeauftragte Petra Jens. Bild: Sebastian Philipp

Fußgänger Andreas Lindinger und Wiens Fußgängerbeauftragte Petra Jens.
Bild: Sebastian Philipp

Von 2. bis 4. Mai 2014 ist Wien erstmals Teil der weltweiten Initiative Jane‘s Walk. In mehr als 100 Städten auf dem ganzen Globus finden diese Stadtspaziergänge statt, bei denen Bewohner durch ihr Grätzel führen. Andreas Lindinger, City Organizer von Jane’s Walk Vienna, im Interview.

 

BIORAMA: Gleich mal zu Beginn – wer ist eigentlich diese Jane?

Andreas Lindinger: Jane Jacobs ist eine urbane Autorin, Kritikerin und Aktivistin, die in den 1950er und -60er-Jahren mit ihren Beobachtungen zur Stadt, ihrer Kritik an den damaligen Paradigmen der Stadtplanung und ihrem Einsatz für das Greenwich Village, ihr Viertel in New York, bekannt wurde. Ihr bahnbrechendes Buch „The Death and Life of Great American Cities“ stellte einen Angriff auf die autozentrierte Stadtplanung dieser Zeit dar und wirkt mit seinem Fokus auf die Menschen als zentrale Akteure einer partizipativen Stadtplanung bis heute als Inspiration für Generationen von StadtplanerInnen und andere urbane Akteure nach.

Das ist umso bemerkenswerter, da Jane Jacobs keine formale Ausbildung im Bereich der Stadtplanung oder einer verwandten Disziplin hatte, sondern ihre Thesen auf ihren Beobachtungen und ihrer Auffassungsgabe aufbaute. 1969 zog sie aus Protest gegen den Vietnam-Krieg nach Toronto, wo sie sich ebenso mit urbanen Themen auseinandersetzte und wo Jane’s Walk nach ihrem Tod in 2006 als Initiative ehemaliger Kolleginnen und Freunde seinen Ausgangspunkt hatte.

Jane Jacobs Bild: Jane's Walk

Jane Jacobs
Bild: Jane’s Walk

Jane’s Walk ist eine weltweite Bewegung. Welche Städte sind noch dabei und wer sind die Veranstalter?

Jane’s Walks gibt es bereits seit sieben Jahren, letztes Jahr waren knapp über 100 Städte dabei, dieses Jahr sind es bereits rund 130, wovon etwa die Hälfte nur einen Spaziergang machen wird, bis hin zu Toronto oder New York mit voraussichtlich jeweils mehr als 150 Spaziergängen an diesem Wochenende. Aufgrund der Popularität von Jane Jacobs in Kanada und den USA nehmen sehr viele nordamerikanische Städte teil, aber auch in ganz Europa und auf anderen Kontinenten finden Jane’s Walks statt.

Veranstalter sind jeweils City Organizer, die die Organisation von Jane’s Walks in ihrer Stadt übernehmen – beispielsweise weil sie so wie ich in Vancouver bei einem Jane’s Walk mitgegangen sind und von der Idee begeistert sind. Dabei wird man vom Jane’s Walk Office in Toronto mit Infos, Unterlagen, Vorlagen und anderen Tipps sowie idealerweise je nach Größe von Jane’s Walk in einer Stadt meistens auch von einem Team an Freiwilligen unterstützt. Die Spaziergänge selbst werden von Bürgerinnen und Bürgern wie du und ich initiiert, hier sind alle eingeladen.

Wie schaut ein typischer Jane’s Walk aus?

Ein Jane’s Walk dauert meistens rund eineinhalb bis zwei Stunden und setzt sich als Konversation im Gehen mit dem Erkunden eines Stadtteils oder einem bestimmten urbanen Thema auseinander. Ansonsten lässt sich nicht viel über einen „typischen“ Jane’s Walk sagen, da der Ort bzw. das Thema, die Route und mögliche Anregungen für Gespräche wie persönliche Anekdoten, aktuelle Fragestellungen oder alte Fotos den Initiatoren eines Jane’s Walks Spaziergang überlassen sind. Somit sind Jane’s Walks so vielfältig wie die Menschen, die einen Spaziergang führen oder mitspazieren wollen.

Wer kann bei Jane’s Walk mitmachen?

Das Besondere an Jane’s Walks ist, dass jeder und jede von uns einen Spaziergang leiten kann, weil wir alle Experten zu den Orten, an denen wir leben, sind. Jane’s Walks sind für alle Menschen offen und gerade die Vielfalt der Teilnehmer und der partizipative Charakter ermöglichen interessante Konversationen, da ein Stadtteil von unterschiedlichen Personen oft ganz unterschiedlich wahrgenommen wird.

Jane’s Walks richten sich also an alle Menschen. Insbesondere spricht es aber jene an, die gerne ihre Stadt und ihre Nachbarn kennenlernen, die an Gesprächen über die soziale und gebaute Zukunft ihres Grätzls teilnehmen wollen und die an einer starken Gemeinschaft in ihrem Stadtteil, an positiven Veränderungen und an einer besseren Situation für Fußgänger interessiert sind.

Wie geht’s den Fußgängern in Wien bzw. in Städten allgemein?

Grundsätzlich erlebt das Zu Fuß Gehen ähnlich wie das Radfahren derzeit in vielen Städten weltweit einen Boom, insbesondere da sich die Stadt auf der Ebene und mit der Geschwindigkeit des Fußgängers am besten erkunden und wahrnehmen lässt, da man sich zu Fuß sehr gut mit anderen Menschen unterhalten kann, da das Potenzial für zufällige Interaktionen und Begegnung hoch ist und nicht zuletzt da das Spazierengehen auch gesund und fröhlich macht. Darüber hinaus ist Gehen die kostengünstigste Fortbewegungsmethode und beginnt ohnedies jeder Weg mit einem Spaziergang, auch jener zur nächsten Öffi-Haltestelle oder zum eigenen Fahrrad oder Auto.

Fußgänger und Fußgängerinnen auf der Wiener Mariahilferstraße. Bild: Andreas Lindinger

Fußgänger und Fußgängerinnen auf der Wiener Mariahilferstraße.
Bild: Andreas Lindinger

Wien hat mit seinen kompakten und vielfältigen Grätzln, seinem historischen, architektonischen und kulturellen Erbe, seinen Grünflächen und seinem großartigen Öffi-Netz beste Voraussetzungen für eine fußgängerfreundliche Stadt. Dem stehen jedoch Probleme und Herausforderungen wie schmale Gehsteige, unattraktive Straßen, schlechte, fehlende oder geteilte Infrastruktur, ungleich verteilte Grünflächen und zu viel motorisierter Individualverkehr gegenüber. Ich sehe aber viel Interesse und Engagement seitens der Stadt Wien, diesen Herausforderungen aktiv zu begegnen, auch wenn dies – wie das Beispiel Mariahilferstraße gezeigt hat – oftmals mit Konflikten, irrationaler Polarisierung und dementsprechend viel Überzeugungsarbeit verbunden ist!

Was muss in Sachen Städtebau für die Zukunft bedacht werden, damit Fußgänger den Raum bekommen, den sie auch brauchen?

Grundsätzlich müssen Fußgänger, aber auch Radfahrer und Öffis, Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr haben und mehr Raum bekommen, was insbesondere die Verringerung von PKW-Abstellflächen und Umwandlung dieser Flächen in Grünflächen, Sitzmöglichkeiten, breitere Gehsteige, etc. bedeutet. Eine weitere Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs, beispielsweise mit niedrigeren Geschwindigkeitslimits oder einer City Maut, würde die Lärm- und Abgasbelastung senken und die Sicherheit für Fußgänger erhöhen. Aber auch eine bessere Trennung der von Fußgängern und Radfahrern gemeinsam genützten Infrastruktur (bspw. am Ring) – ebenfalls auf Kosten der von Autos belegten Flächen – kann das Konfliktpotenzial senken.

Zuletzt machen aber vor allem attraktive und gelungene Plätze, Straßen und Stadtviertel die Stadt für Fußgänger attraktiv. Gemischte Flächen mit Cafés, Lokalen, Einkaufsmöglichkeiten aber auch Freiräumen und einladendem öffentlichen Raum – also alle Elemente einer Stadtplanung, die getreu den Ideen von Jane Jacobs die Menschen in den Mittelpunkt stellt – ziehen aufgrund ihrer Vielfalt FußgängerInnen an. Grundsätzlich gehen Menschen dort hin, wo andere Menschen sind, da Interaktionen, Beobachtungen und Gemeinschaft zentrale Elemente des urbanen Lebens sind. Nur wenn die Stadtplanung dies verinnerlicht, kann eine Stadt für Fußgänger gestaltet werden.

Mit z.B. Wild Urb oder der Wiener Sinnestour gibt es bereits Projekte, die sich mit dem Zu Fuß Gehen bzw. mit dem Erkunden von Grätzeln aueinandersetzen. Was ist das Besondere an Jane’s Walk?

Ja, die Vielzahl an interessanten und vielfältigen Projekten rund um das Thema Zu Fuß Gehen in Wien wurde mir im Rahmen meiner Arbeit an Jane’s Walk auch bewusst. Jane’s Walk unterscheidet von anderen Projekten, dass es alljährlich auf ein Wochenende im Mai beschränkt ist, an dem man Teil eines globalen Festivals in mehr als 100 Städten ist, und dass aufgrund des partizipativen Charakters jeder und jede von uns einen Spaziergang initiieren kann. Und im Gegensatz zu Touristen- oder Expertenführungen sind Jane’s Walks keine Vorträge, sondern gemeinschaftliche Konversationen aller Teilnehmer im Gehen.

 

Jane’s Walk
2. bis 4. Mai 2014
Wien (und über hundert andere Städte)

>>> weitere Informationen über Jane’s Walk und Jane Jacobs gibt’s unter janeswalk.at
>>> weitere Termine und Ideen für schöne Spaziergänge gibt’s unter www.wienzufuss.at

 

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