Hochstandgeflüster
Wer geht jagen und warum? Von Anfüttern über Verfüttern bis zur gefutterten Steppjacke – eine Typologie der Jägerschaft.
Der Trophäenjäger
Der Trophäenjäger legt mit hochpräzisen Gewehren, Swarovski-Optik und rasanter Munition auch aus großer Distanz an. Das Wild soll schließlich im Feuer liegen (bleiben). Gerne fährt oder fliegt er auf Safari. Wenn er zur Jagd eingeladen wird, erwartet er sich nichts unter einem Zwanzigender. Beim Aufbrechen ist er nicht mehr dabei, denn da werden die Hände schmutzig. Er hat kein Interesse am »kleinen Jägerrecht« – also der frisch gerösteten Leber oder der Wildbretvermarktung. Ihm geht es um Felle/Decken, Geweihe und Vorschlagpräparate fürs Wochenendhaus. Wer jagdliches Wohnflair schätzt, kann Trophäen auch im Dorotheum käuflich erwerben. Aber Achtung Falle: Die Ortsangaben auf den ersteigerten Schätzen müssen mit den Reiseberichten des Trophäenjägers übereinstimmen.
Der Heger
Dem Heger gilt Weidmanns Dank. Der betagte Jäger kaschiert die senile Bettflucht mit morgendlichem Nach-dem-Rechten-Sehen im Wald. Uneigennützig wartet er die Reviereinrichtungen (Hochstand, Zäune, Krippen), füttert Rehe im kalten Winter, befreit die Pirschsteige von raschelndem Laub, schlägt Schneisen und markiert die Walddurchgänge mit Bändern. Die Jagdausübung ist zudem eine perfekte Ausrede, um sich vor Familienfesten, Kindererziehung und Schwiegermutter-Besuchen zu drücken. Wer das Jagd-Brauchtum intensiv pflegt, hat Lederhose und Hut genau so oft und gern an, wie den Pyjama. Auf den fermen Jäger kann man sich verlassen: Er kann bestimmt das eine oder andere Jagdlied anstimmen und die »Hohe Jagd« in Salzburg ist der erste Eintrag in seinem Messe-Kalender. Immer treu an seiner Seite Wastl, Hirschmann oder Fang. Der unangenehme Subtyp ist der Besserwisser. Er ist oft sehr erfahren, überlegt sich aber nicht, ob es anders besser gehen könnte.
Der Business-Jäger
Wie Tennis oder Golf ist auch die Jagd ein Rahmen zur Geschäftsanbahnung. Warum sonst wird ein Hobby (abseits von Hollywood) öffentlich bekannt? Etwa von Christian Konrad oder Graf Mensdorff-Pouilly? Honecker zeigte es in der Schorfheide bei Berlin vor. Voraussetzung ist idealerweise ein Jagdschein. Die Jagdeinladung war lange Garant für gute Geschäfte oder genehme Gesetze. Heute heißt das Anfüttern. Eingeladen wird auf einen kapitalen Bock, einen Hirsch oder einen Auer- oder Birkhahn (beide selten geworden) – es sollen ja auch keine Kaugummis verkauft werden. Auf dem Hochstand wird jedenfalls nicht gequatscht, denn ansitzen können maximal zwei: der Gast und der Pirschführer. Wenn die Abschüsse anschließend in der Jagdhütte tot getrunken werden, ist Zeit und Raum fürs Geschäft.
Der Ausstattungsfetischist
Der Ausstattungsfetischist findet, dass ihm Grün besonders gut steht. Er wartet sehnsüchtig auf das Erscheinen des aktuellen Kettner-Katalogs. Knallorange Accessoires nimmt er in Kauf. Schließlich dienen Warnweste, Armbinde oder Stirnband in Signalfarbe der eigenen Sicherheit, um von Kollegen nicht mit Baum, Strauch oder Wildschwein verwechselt zu werden. Ein Subtyp ist der funktional-sportliche Jäger mit Goretex-Funktionskleidung, Gewehr mit Plastikschaft, Kappe statt Hut – vielleicht sogar (RealTree)Tarnkleidung, GPS am Mann usf. Die Distinktion liegt im Detail: Porsche Cayenne, Mercedes G oder Mitsubishi Pajero sind alles mehr oder weniger Jagdautos. Aber ein Suzuki tut es auch. Auch bei Flinten und Büchsen kann man sich von der Masse abheben. Kugelgewehre von Steyr-Mannlicher, Blaser, Ferlacher oder Suhler. Holland & Holland ist bei den Flinten die Oberliga. Überschüssiges Geld wird beim Jagdsport in der Dreifaltigkeit von Revier, Optik und Waffe ausgegeben. Außerdem besteht die Möglichkeit, über Vermittler für Abschüsse zu zahlen – etwa für ein 500-Gramm-Rehbock-Geweih in Ungarn oder einen kapitalen Hirsch in Polen.
Die Jägerin
Die Jägerin muss sich nicht für die verhaarte Hundedecke auf dem Autorücksitz rechtfertigen. Sie ist optischer Aufputz im Wald, am Schießplatz und beim Jägerball. Sie wird manchmal für etwas dumm verkauft, weil sie evolutionsbedingt nie und nimmer die Jagderfahrung der männlichen Kollegen aufholen kann. Das»Jagd-Gen« ist bei ihr schwächer ausgeprägt, denn sie gibt den Schuss nicht um jeden Preis ab. Nur wenn er wirklich sicher angetragen wird und absolut tödlich ist. Sie schmückt sich mit selbst erlegten Grandln und nicht mit fremden Federn, zaubert Wildgerichte und erliegt auf der Pirsch den Wundern und Reizen der Natur. Dann sammelt sie Beeren am Wegesrand statt (Bären-)Trophäen für die Wohnzimmerwand. Die Jägerin drängt sich in eine – bis vor Kurzem noch – fast reine Männerwelt und der Ansitz verlangt ihr Einiges ab: stundenlanges Schweigen.
Der Wilderer
Umfangreiche exklusive Jagdreviere gehören der Vergangenheit an. Wilderer sind heutzutage nicht mehr arme Bauern und Arbeiter mit Rebellenimage, die ihre Familie ernähren wollen. Wilderer ist jeder, der mit oder ohne Jagdschein in fremden Revieren unbefugt jagt. Der technisch Versierte stiehlt unbemerkt den Chip aus der Wildkamera und weiß somit genau, wann er an der Fütterung oder Kirrung unterwegs sein muss. Verdächtig sind geländegängige Fahrzeuge mit ortsfremdem Kennzeichen und Suchscheinwerfer auf dem Dach am Reviereingang. So ein Gefährt braucht, wer Wild aufstöbern, blenden und rasch abtransportieren will und mit Karacho im Dunklen durch den Wald fährt. Damit es nicht zum Showdown im Morgengrauen kommt, schreibt der rechtmäßige Revierinhaber am besten das Kennzeichen auf, statt den Wilderer mit dem Gewehr zu stellen. In Bergrevieren ist der Wilderer mit einem zerlegten Gewehr im Rucksack und einem Feldstecher um den Hals perfekt getarnt.
Der Versorger
Der prinzipientreue Versorger ist ein Jäger und Sammler. Er hält sich an den Abschussplan wie an die zehn Gebote. In keiner Ausgabe von »Weidwerk« oder »Anblick« fehlt der Hinweis darauf, dass Wildbret gesund, fettarm, lang haltbar, schmackhaft und aus artgerechter Tierhaltung ist. Es gibt unter den Versorgern Feinspitze und Köche, die sich in der Küche verwirklichen. Wenn die Tiefkühltruhe übergeht, vermarktet der Versorger sein Wildbret an den Fleischhauer. Der Fleischer selcht, verwurstet und zerwirkt den Lungenbraten, selbstverständlich nach kundiger Fleischbeschau. Denn einen Fuchsbandwurm oder Trichinen hat niemand gerne im Menü. Die aktuelle Wildbretverordnung verpflichtet zu einer Einschätzung, ob das Tier krank war und zu einer Ortsangabe für die Rückverfolgbarkeit. Es handelt sich also um eine Art weidliche Bauernhofgarantie: Zurück zum Urwald!
Gerd/Gerda Grünrock
Gerd/a Grünrock schätzt Bewegung im Wald, im Gebirge, an der frischen Luft und begreift die Jagd als Bewirtschaftungsform bzw. als Regulation gestörter natürlicher Prozesse. Wo Wolf, Bär und Luchs fehlen, muss ein Grünrock her, um Wildverbiss zu vermeiden. Es sind verantwortungsvolle, ruhige Menschen, die Jagd wie Biolandwirte betreiben, aufklären, informieren usw. Sie stehen problemlos früh auf und gehen ungern auf Gesellschaftsjagden, weil sie nicht wissen, wie andere Schützen in der Jagdgesellschaft aufgestellt sind punkto Treffsicherheit, Disziplin, Geländegängigkeit und Vorwissen. Außerdem ist Wild bekanntlich scheu. Gerd/a Grünrock schickt konsequent jene wieder nach Hause, die kein oranges Signalband tragen oder alkoholisiert sind.