Invasion der Eichelhäher
Warum es von Wien bis Vorarlberg und auch in Teilen Deutschlands zu einer regelrechten Invasion der schillernden Rabenvögel kommt.
Eindeutige Antwort, warum es gegenwärtig vielerorts nur so vor Eichelhähern wimmelt, gibt es keine. Fakt ist: »Wir haben in Österreich derzeit vom Burgenland bis Vorarlberg in großer Zahl Meldungen«, bestätigt Benjamin Seaman, Ornithologe bei Birdlife. Auch im Süden Deutschlands ist der intelligente Rabenvogel derzeit häufig zu sehen.
»Wir nehmen an, dass die Tiere aus dem Nordosten Europas kommen, aus Skandinavien und Russland, wo sie wohl ein sehr starkes Brutjahr hatten und es durch den vielen Nachwuchs zu Nahrungsmangel gekommen ist, und die Tiere ausweichen – aktuell Richtung Westen und Südwesten«, so Seaman. Der Biologe betont, dass es sich bei der aktuell zu beobachtenden Invasion um nichts einzigartiges handelt. Eine solche komme alle paar Jahre vor, zuletzt habe es etwa 2010 ein ähnlich gehäuftes Auftreten gegeben.
Hohe Sterblichkeit im ersten Lebensjahr
Was das für die Folgejahre bedeuten kann, darüber möchte der Biologe nicht spekulieren. »Eigentlich ist der Eichelhäher kein klassischer Zugvogel und bleibt auch im Winter.« Ob es in den nächsten Jahren auch in unseren Breiten mehr Eichelhäher geben wird, ist unsicher. »Zumal die meisten Vögel ihr erstes Lebensjahr nicht überleben und die Mortalität bei Vögeln generell sehr hoch ist«, so Seaman. »Viele Arten setzen deshalb auf Masse. Meisen zum Beispiel brüten zwei Mal im Jahr und bei günstigen Bedingungen sogar ein drittes Mal – und haben Gelege von bis zu zehn Eiern.«
Eine gewisse Konkurrenzerscheinung mit Elstern möchte Seaman aber nicht ausschließen. »Wobei ich annehme, dass die Vögel die mediterranen Eichenwälder im Mittelmeerraum ansteuern – also die iberische Halbinsel, Italien und Kroatien. Diese Wälder sind für den Eichelhäher ideal.«
»Müssen wir nach einer Invasion in den kommenden Jahren mit einem größeren Brutbestand einer Vogelart rechnen, der manche einen Schaden an Singvögeln nachsagen?« fragte sich im Dezember 2014 die lokale NABU-Gruppe in Schleswig-Holstein als dort massenhaft Eichelhäher auftauchten. Die Antwort der NGO war ein eindeutiges Nein: »Dem ist nicht so. Der Eichelhäher frisst zwar gelegentlich auch Eier und Jungvögel anderer Singvögeln, doch hat er nach verschiedenen Untersuchungen keinen dauerhaft negativen Einfluss auf deren Bestand. Er gilt sogar als „Waldfreund“, da er Eicheln und Bucheckrn im Boden vergräbt und so für die Verbreitung beider Baumarten sorgt. Für die zugewanderten Tiere ist zudem wenig wahrscheinlich, dass sie tatsächlich dauerhaft bei uns im Land verbleiben werden.«
Angesichts flächendeckender Borkenkäferschäden und radikaler Kahlschläge könnte unserem Wald derzeit wohl nichts Besseres passieren als eine Eichelhäherinvasion.
Buchtipp: Der Band »Krähen. Ein Porträt« von Cord Riechelmann, erschienen im Verlag Matthes & Seitz, machte 2013 den Auftakt der liebevoll von Judith Schalansky herausgegebenen „Naturkunden“-Buchreihe. Bereits in 7. Auflage widmet sich Riechelmann daran auch Elstern und Hähern. Ein prächtiges Büchlein, in dem Naturwissenschaft, Kulturgeschichte und Mythen klug zusammengeführt werden – und eine Liebeserklärung an die Familie der durchwegs intelligenten Krähen.