Beziehung Stadt-Biosphäre neu gedacht
Die US-amerikanische Soziologin Saskia Sassen fordert, die Beziehung der Städte zur Landwirtschaft zu überdenken, um sie auf neue Herausforderungen vorzubereiten. Daniel Podmirseg, Gründer des Vertical Farming Instituts, hat mit ihr für BIORAMA darüber gesprochen, wie sich eine städtische Bevölkerung künftig mit Landwirtschaft identifizieren kann.
Daniel Podmirseg: Es gibt eine lebhafte Diskussion zur Frage, wer die möglichen Player sind, die die große Herausforderung künftiger Lebensmittelversorgung von Städten stemmen können. Große Konzerne oder urbane Subökonomien? Welche Chance geben Sie der urbanen Lebensmittelproduktion?
Saskia Sassen: Die große Herausforderung besteht darin, die Landfläche und unser Wasser am Leben zu erhalten. Wir müssen uns von der heute dominanten Lebensmittelproduktion verabschieden. Große Konzerne, welche Profite maximieren, missachten die Notwendigkeit, Landfläche und Gewässer lebendig und intakt zu halten. Es ist nicht wahr, was Konzerne oftmals behaupten, dass große Produktionseinheiten effizienter und kostengünstiger betrieben werden können. Mindestens drei Gründe belegen, dass das nicht stimmt.
Welche sind das?
Konventionelle Landwirtschaft verbraucht erstens große Mengen an Pestiziden und verschwendet Wasser durch Bewässerungsanlagen. Zweitens laugen diese Anbaumethoden fruchtbare Böden aus und zerstören sie somit graduell. Und drittens reduziert sich die Produktivität und zieht somit einen immer größeren Verbrauch an Chemikalien nach sich und führt folglich zu sterbender Landfläche und Wüstenbildung.
Auf lange Sicht ist dies eine nicht nachhaltige Form der Landwirtschaft. Jedes Jahr verlieren wir ausgedehnte Landflächen. Tote Böden und tote Gewässer sind früher oder später das Resultat dieser Anbaupraxis.
Welche Rolle schreiben Sie der Architektur und dem Städtebau im Kampf um öffentliche Räume und einen florierenden lokalen Lebensmittelwirtschaftszweig zu?
Relokalisierung von Lebensmittelproduktion benötigt substanzielle Veränderungen in der Organisation von urbanem Raum. Gutes Design und kluge Initiativen, um eine größere Gemeinschaft dafür zu mobilisieren, werden notwendig sein, um lokalen öffentlichen Flächen ein Überleben zu garantieren. Und das ist auch aus sozio-politischen Gründen wichtig: das Etablieren einer Gemeinschaft, eines lokalen Unternehmens, einer Kooperative, die sich um die Lebensmittelproduktion kümmert.
Wenn wir an vertikale Farmen als Gebäude denken: Welche zusätzlichen Interventionen sind notwendig, um die Akzeptanz und das Identifikationspotenzial der urbanen Bevölkerung hinsichtlich einer neuen Form der Lebensmittelproduktion zu erhöhen?
Die Niederlande haben Vertical Farming zu einem Extrem entwickelt: zu geschlossenen Stahltürmen. Mindestens einige dieser Gebäudestrukturen sind hermetisch geschlossene Räume, betrieben von Robotern, bei denen der Zutritt für Menschen untersagt ist. Das mag in Extremsituationen notwendig sein. Aber diese Praxis ist teuer und muss sehr sorgfältig ausgeführt werden. Das wird wahrscheinlich nicht die ideale Antwort in den meisten Orten der Welt sein, auch nicht nachhaltig. Aber sicher könnte es in Europa funktionieren. Verschiedene Innovationen, inklusive Vertical Farming, haben die Niederlande, ein kleines Land, zum zweitgrößten Exporteur von Lebensmitteln weltweit gemacht.
Die traditionelle europäische kleinmaßstäbliche Landwirtschaft, die für die urbane Bevölkerung leicht zugänglich ist, ist wahrscheinlich nahe am Ideal und am leichtesten umsetzbar für kleinere Städte. Eine Stadtbevölkerung, die bereits Gemüse und Obstbäume pflanzt, sich darum kümmert und die Produkte auf lokalen Märkten verkauft, sollte verstärkt in ihrer Aktivität ermutigt werden, dieses Potenzial muss genützt werden. Natürlich kann damit nicht der gesamte Lebensmittelbedarf gedeckt werden. An diesem Punkt ist ein Mix aus traditioneller kleinmaßstäblicher Produktion und einem mehr technologisch getriebenen Ansatz sicherlich keine schlechte Kombination.
Sie sprachen gerade von Unterstützung und Ermutigung. Wie können wir auf der anderen Seite Lokalpolitiker ermutigen, radikalere Entscheidungen zu treffen, nicht nur bei der Intensivierung lokaler Lebensmittelproduktion, sondern die uns auch in Richtung Kreislaufwirtschaft bringen?
Ja, das ist notwendig, und es wird nicht einfach werden, das Ziel zu erreichen. Hierbei gibt es zahlreiche Hürden wie etwa die Reorganisation des Landverbrauchs, um Raum in Klein- und Großstädten für die Lebensmittelproduktion freizuhalten. Das wird ein Kampf auf mehreren Ebenen sein.
Wie auch immer, wir befinden uns in einem neuen Zeitalter, immer mehr Menschen sind sich bewusst der Vielzahl an nicht akzeptierbaren Zuständen, von der Qualität des Gemüses bis hin zu größeren Umweltkatastrophen, die sich in so vielen Orten der Welt abspielen. Eine große Herausforderung ist, sich Alternativen zum Einsatz von Anbau- und Produktionsmöglichkeiten zu überlegen, die uns die konventionelle Landwirtschaft gebracht haben und jetzt graduell Land und Wasser zerstören.
Können wir die jetzige Lebensmittelproduktion in einen lokalen vertikalen Anbau überführen?
Nicht nur die Technik spielt hierbei eine Rolle, sondern auch das Neudenken der Beziehung zwischen der Stadt und der Biosphäre.
Urban Vertical Farming – ein Modell für die Zukunft von sozialer Ebene betrachtet?
Jede Form der Lebensmittelproduktion schafft auch Beziehungen und Netzwerke zwischen den Bewohnern innerhalb von Nachbarschaften, einer Stadt oder einer Region. Größere Mengen an Lebensmitteln für den lokalen Bedarf werden auch größere vertikale Operationen erfordern, die immer noch ganz in der Nähe liegen und uns somit mit frischer Nahrung versorgen. Wir sollten uns nicht mit Lebensmitteln zufriedengeben, die mit Chemikalien und Pestiziden angebaut werden und lange Wege zurücklegen müssen, die folglich wiederum mit Chemikalien behandelt werden müssen, um deren tatsächliches Alter zu verschleiern.
BIORAMA #53