Hassaan Hakim: „Keiner ist mit dem Bio-Logo auf der Stirn geboren“
Hassaan Hakim ist seit 2004 mit seiner Werbeagentur Yool vor allem für Bio-Marketing, Branding, Nachhaltigkeit und im Bereich der NGOs tätig. Er betreut viele ideelle Führer wie Fairtrade, das Forum Fairer Handel oder den Weltladendachverband. Seit letztem Jahr hat er auch alle kommunikativen Belange der Bio-Fach, der größten Messe für Bio-Produkte, übernommen. Am Donnerstag, 11. 6., hat er im Rahmen der Biorama Fair Fair in der Veranstaltung „Was ist Bio? Ein Crashkurs.“ gesprochen. In einem Interview vorab erklärte er, warum der Wandel zur Nachhaltigkeit langsam passiert und niemand mit dem Bio-Logo auf der Stirn geboren ist.
Was bedeutet „bio“ für dich? Was ist der Unterschied zum Begriff „nachhaltig“?
Der Unterschied ist groß, obwohl sich beides im gleichen Feld bewegt. Auch ökologische Landwirtschaft ist nachhaltig. Nachhaltigkeit ist aber nicht nur auf die Ökologie zu beziehen sondern auf viele Bereiche übertragbar. Da gehört zum Beispiel auch die soziale Sicht dazu, Nachhaltigkeit ist ein größer gefasster Begriff aus den Begriffen „bio“ erweitert um den Faktor Mensch. Allgemein wird „bio“ allerdings oft auch auf den Mensch bezogen, das ist aber nicht explizit so. Bio-Produktion hat zum Beispiel nichts mit fairem Handel zu tun. Aspekte wie Werte, Mitarbeiter, Führung des Unternehmens und generelle Praktiken dürfen dabei nicht ausgeklammert werden.
Wie wichtig ist dir „bio“ bei Produkten, die du kaufst?
Fairtrade und Bio-Kennzeichnung sind mir beide wichtig. Aber ich kaufe auch hin und wieder im Supermarkt oder beim Discounter. Ich bin weniger dogmatisch, mir geht es darum, wie ein Unternehmen grundsätzlich agiert. Bio ist nicht unbedingt vorranging, wenn das Unternehmen ethisch korrekt handelt. Ich sehe das nicht radikal, eher pragmatisch. Die sozialen Aspekte, die von der Marke gelebt werden und der Fairtrade-Gedanke sind wichtiger für mich. Dieser Bereich steht mir natürlich auch aus professioneller Sicht sehr nahe, da wir zum Beispiel für das Forum Fairer Handel und die Weltläden schon lange und überzeugt arbeiten. Das Paket aus „bio“ und „fair“ schlägt sich natürlich auch in meinem Einkaufsverhalten nieder.
War dir biologische Qualität immer schon wichtig? Gab es einen Knackpunkt, der das geändert hat?
Nein, ich bin auch hineingewachsen. Ich glaube, so etwas ist nicht plötzlich da. Man verurteilt Menschen schnell, die sich nicht ökologisch korrekt verhalten, aber ich glaube, das ist ein langsamer Bewusstseinswandel. Wer in sich hineinhorcht kann das an sich selbst beobachten, Veränderungen brauchen Zeit und kommen auch oft aus gegensätzlichen Extremen. Man wächst eben erst mit seinen Erfahrungen und Erlebnissen. Ich denke, dass man von keinem Menschen erwarten kann, dass er mit der Affinität zu „bio“ und „Fairtrade“ geboren wurde.
So war das bei mir auch. Ich bin Vegetarier, allerdings nicht dogmatisch – wenn es sich in einem Kontext ergibt, dass ich guten, frischen Fisch oder Fleisch essen kann, tue ich das auch. Auch das hat sich mit der Zeit ergeben – früher hab ich sehr viel Fleisch gegessen.
Extreme sind immer ungesund. Wenn sie zu stark gelebt werden, tut das einem selbst und der Umwelt nicht gut.
Auf einem Wochenmarkt habt ihr als Werbeaktion für Natur- und Bio-Marken unter dem Namen Agraprofit „faire und transparente“ Produkte verkauft, und kein Geheimnis aus Massentierhaltung und Kinderarbeit gemacht. Die Leute haben trotzdem zugegriffen. Der Film von diesem Ereignis, der später durchs Netz ging, hat für viel Aufsehen gesorgt. Was wolltet ihr damit erreichen und ist euch das gelungen?
Agraprofit war zunächst ein soziales Experiment von Yool. Die Aufgabe war natürlich einen viralen Spot zu produzieren, aber wir hatten wenig konkrete Erwartungen. Viralität kann man ja auch schlecht kontrollieren, man kann nur begünstigende Bedingungen dafür herstellen. Wir wollten etwas Extremes machen und die Reaktionen der Menschen darauf betrachten. Auch Greenwashing sollte ein Thema sein, und wie einfach Menschen durch bestimmte Begriffe beeinflusst werden können. Wir sind von der Hypothese ausgegangen, dass die Konsumenten mehr Entscheidungskraft haben als die Unternehmen, die auf die Konsumentenbedürfnisse ja immer reagieren. Die Leute entscheiden sich für Produkte. Nicht immer nur die Unternehmen können für das Chaos verantwortlich gemacht werden.
Wir dachten, wir würden bei den Marktstandbesuchern auf sehr starken Widerstand stoßen, letztlich ist das Gegenteil eingetreten. Dieser Zündstoff und die Brisanz der Aktion hat sich aber eigentlich erst daraus ergeben, dass die Menschen trotzdem gekauft haben und das trotz der Informationen, die sie bekommen haben. Das hat den eigentlichen Aufschrei ausgelöst.
Abgesehen von den Klickzahlen und der Verbreitung, die für den Bereich einmalig sind, hat der Spot eine Diskussion ausgelöst. Genau kann man die Wirkung nicht abschätzen aber eine gesellschaftliche Tendenz konnte sicher verstärkt werden. Der Spot und die angestoßene Diskussion sind nur ein Baustein innerhalb einer Veränderung, die gerade in der Gesellschaft und im Konsumverhalten stattfindet. Er erfüllt – neben vielen anderen Dingen – eine Funktion, nämlich die Wahrnehmung der Menschen zu verändern.
Du gehst also davon aus, dass die Macht über Bedingungen am Markt beim Konsumenten liegt?
Natürlich werden wir von Unternehmen stark beeinflusst und manipuliert. Aber es gibt eine Wechselwirkung, denn Unternehmen reagieren sehr stark auf Trends. Sie wollen Bedürfnisse bedienen und ausreizen. Ich glaube schon, dass wir als Konsumenten mehr Verantwortung haben als wir denken, und mehr als kommuniziert wird. Dessen muss man sich bewusst sein.
Wie erwähnt betreust du auch die Bio-Fach, die größte Messe für biologische Lebensmittel. Ist diese Messe deiner Ansicht nach eine durch und durch nachhaltige Veranstaltung?
Nein. Die Bio-Fach ist keine durch und durch nachhaltige Messe. Es ist eben ein Baustein innerhalb des großen Konzerns der Nürnberg Messe. Natürlich ist sie durch und durch „bio“. Das Potential, das noch bleibt um nachhaltig zu werden, ist da, aber man arbeitet daran. Die Entscheidung für eine Agentur, die sich auf Nachhaltigkeit spezialisiert hat muss man auch sehen. Es ist noch viel zu tun aber es ist Bewegung in der Sache. Letztlich geht es nicht darum, ob jemand schon angekommen ist, wo er sein sollte, sondern ob er sich auf den Weg macht. Ob er etwas verändern will. Der Wandel ist das Entscheidende.
Mein Gefühl ist, dass die Nürnberg Messe viele gute Bedingungen zu einer nachhaltigen Veranstaltung schon mit sich bringt, gerade im Bereich der Mitarbeiter – deren Umgang untereinander und ihre Behandlung. Bei Materialien, Strom etc. ist noch viel zu tun. Aber es gibt schon viele regionale Partner und Anbieter. Auch diese Regionalität und Nähe mit den kurzen Transportwegen ist wichtig, es geht eben nicht immer nur um Bio, Nachhaltigkeit bedeutet mehr.
Denkst du es gibt einen Widerspruch von biologischer Qualität und Größe einer Organisation – sei es bei Messen oder Betrieben? Denkst du, Nachhaltigkeit und „bio“ ist auf jede Größe ausdehnbar?
Ja, da gibt es jedenfalls einen Widerspruch. Ich weiß nicht, ob man das auf eine Messe beziehen kann aber gerade auf die Lebensmittel bezogen ist die Antwort klar. Massenproduktion ist derzeit nicht möglich in biologischer Qualität, die Erträge sind einfach geringer in dem Bereich. Auch im Bezug auf die Agrarwende ist diese Diskussion gerade aktuell. Es geht eher um Verzicht, ich glaube nicht, dass man auf dem hohen Niveau, auf dem wir uns bewegen alles auf „bio“ umstellen kann.
Im Bezug auf Messen tut sich in Deutschland viel. Es gibt ja auch regionale, kleinere Bio-Messen-Konzepte (Bio Nord, Bio Süd…) das ist ein Weg. Die Bio-Fach ist allerdings international fokussiert, das ist wichtig und die Bio-Branche muss sich auch über die Landesgrenzen hinaus vernetzen und nicht nur im Land bleiben. Bio ist eine globale Aufgabe. Gerade in anderen Ländern, wie China etc. ist ein riesiges Potential möglich, auf so großer Ebene gibt es eben ein riesiges Potential. Große Unternehmen können mit wenig sehr viel bewirken, die Macht haben kleinere Bewegungen einfach nicht. Wenn zum Beispiel die Bio-Fach auf Öko-Strom umstellt, hat das eine riesige Wirkung, die ein kleines Unternehmen nie erzielen könnte.
Das heißt du siehst Globalisierung positiv für die Bio-Bewegung, auch wenn sie ihre Probleme mit sich bringt.
Nicht per se. Für die Bio-Bewegung ist die Globalisierung und Vernetzung sehr wichtig. In anderen Bereichen macht Globalisierung natürlich mehr kaputt. Aber gerade für die Verbreitung von „bio“ ist sie notwendig – umso mehr, umso besser.
Wie siehst du die Zukunft von „bio“ und „Nachhaltigkeit“? Was wird sich tun?
Die eigentliche Frage ist, was sich bei den Menschen tun wird. Die Bio-Bewegung ist ja eigentlich nur eine Reaktion. Wie werden Menschen ihre Umwelt, ihr Leben und soziales Umfeld sehen? Die Wahrnehmung der Menschen wird sich, glaube ich, verändern. Wie wir mit Ressourcen, Lebensmitteln, Tieren und Menschen umgehen, wird sich wandeln. Daran gibt es keinen Weg vorbei, nicht für uns und nicht für Unternehmen. Wer diesem Trend folgt, wird vorne sein. Ich will das aber eigentlich gar nicht Trend nennen. Das ist ein Paradigmenwechsel, wer den verpasst kann nicht weiterexistieren. Unsere Konsumgewohnheiten werden sich anpassen, die Unternehmen auch. Der Mensch ist ein lernfähiges Lebewesen – ich glaube wir werden die Kurve kriegen.
Für die Bio- und Nachhaltigkeits-Branche wird sich viel verändern, es werden sich Märkte öffnen. Bio wird meiner Meinung nach in Zukunft kein Alleinstellungsmerkmal mehr sein, sondern eine Selbstverständlichkeit. Das beginnt jetzt schon und wird sicher noch stärker. Andere Aspekte werden wichtig sein, ein Wandel auf allen Ebenen der Gesellschaft und der Wirtschaft.