Hamburg steigt um
Städte müssen Mobilität neu denken. Hamburg macht mit einer neuen App den Anfang: Switchh kombiniert die unterschiedlichen Mobilitätsdienste – vom Bus über U- und S-Bahn und Mietwagen bis hin zum Fahrrad, Taxi und Car2go.
Fast jeder dritte Hamburger fährt Auto. Vor allem für den Weg zur Arbeit ist das Auto noch immer das meistgenutzte Verkehrsmittel. Das ist eine gewaltige Belastung für die Umwelt: Kein anderes Verkehrsmittel produziert so viel Feinstaub wie das Auto, und bei den CO2-Emissionen wird es nur vom Flugzeug übertroffen.
»Die Umwelt- und Klimabelastung durch den Personenverkehr kann nicht allein durch technische Verbesserungen am Fahrzeug erreicht werden«, stellt das Umweltbundesamt fest. Die einzige Lösung muss also in einer anderen Form der Fortbewegung liegen.
Auch Hamburg hat das erkannt. Die Hansestadt hat sich eine Lösung überlegt, die unterschiedliche Formen der Mobilität kombiniert, um Stadtbewohner einfach, günstig und effizient von A nach B zu bringen: Seit Mai 2013 gibt es die neue Mobilitätsplattform Switchh. Angemeldete Nutzer können damit von Bus über U- und S-Bahn, Car2go, Fähre oder Fahrrad bis hin zum Mietwagen jederzeit in ganz Hamburg das passende Angebot finden – per Web oder noch einfacher per App für das Smartphone. Die App erweitert damit das Angebot des Hamburger Verkehrsverbundes HVV um Car2go und den Mietwagenanbieter Europcar. Die Anwendung ist einfach: In der App werden wie gewohnt Start und Ziel eingegeben. Dabei sind verschiedene Zusatzoptionen möglich. Für Ortsfremde werden zusätzliche Umsteigezeiten eingeplant, man kann angeben, ob man einen Transportbedarf hat, mit Rad oder zu Fuß zur Haltestelle gelangt und verschiedene Mobilitätsstufen, etwa für Menschen mit Rollstühlen oder Kinderwagen, wählen.
Möchte man nun die Zusatzangebote Car2go oder einen Mietwagen nutzen, lässt man sich die Autos in der Nähe anzeigen und bucht sie mit einem Klick direkt über die App. 1.500 registrierte Benutzer hat Switchh bereits. Für zehn Euro monatlich erhält jeder Kunde 60 Freiminuten und eine um zehn Euro vergünstigte Registrierungsgebühr bei Car2go sowie 20 Euro Rabatt auf jede Anmietung bei Europcar.
»Wir stehen in den Metropolregionen vor einem grundlegenden Wandel in der Mobilitätskultur. Dieses gilt für Hamburg in besonderem Maße. Der Pkw wird innerstädtisch immer mehr vom Fahrzeug zum ,Stehzeug’. Staus, Parkplatzsuche, zugestellte Wohnstraßen, Lärm und Emissionsbelastungen passen nicht mehr zu den steigenden Ansprüchen an urbane Lebensqualität«, begründet der Chef der Hamburger Hochbahn, Günter Elste, das neue Konzept.
Mobilität erhalten, Verkehr reduzieren
In einer Großstadt wie Hamburg gibt es im Grunde keine Notwendigkeit für ein eigenes Auto. Selbst nachts sind am Wochenende die U- und S-Bahnen sowie viele Metrobus- und Stadtbus-Linien in Hamburg rund um die Uhr unterwegs. Wochentags fahren nach Betriebsschluss der U- und S-Bahnen Nachtbusse. Beim Thema Radverkehr hingegen – der umweltschonendsten Variante neben dem Zufußgehen – spaltet sich Hamburg in Himmel und Hölle. 2009 führte Hamburg das Konzept des Stadtrads als Teil des Hamburger Verkehrsverbundes HVV ein. Die roten Drahtesel sind an über 120 Stationen ausleihbar und erfreuen sich großer Beliebtheit: Die Umsetzung des Fahrradverleihsystems wurde mit der besten Note aller deutschen Städte gewürdigt. Und auch die Fahrradmitnahme im öffentlichen Nahverkehr ist praktisch: In Schnellbahnen, den Hafenfähren und einigen Buslinien können auch eigene Räder zu bestimmten Zeiten mitgenommen werden. So sind Verkehrsteilnehmer nicht auf die fixen Punkte der Stadträder angewiesen. Wer eine HVV-Karte besitzt, bekommt sogar die platzsparenden Klappräder günstiger, die jederzeit mitgenommen werden dürfen.
Soweit die guten Nachrichten. Denn obwohl vom Senat 2008 die Umsetzung einer Radverkehrsstrategie beschlossen wurde, konnte Hamburg im Fahrradklimatest der deutschen Städte auch 2012 nur Platz 34 von 38 beteiligten Städten dieser Größe erreichen. Zu Recht, denn in Hamburg herrscht nicht nur ein ewiger Kampf um den Platz auf der Straße zwischen Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern und eine streckenweise so absurde Verkehrsführung, die Radfahrer zum Übertreten der Verkehrsregeln geradezu verleitet. Auch die Radwege sind zum größten Teil mehr als marode. Der Fortschrittsbericht Hamburg verspricht nun Besserung. Hoffentlich, denn bisher gibt es nur wenige gute Tage für Radfahrer in Hamburg: Die Tage ohne ernste Lebensgefahr.
Zeit für eine Revolution der Mobilität
Andere Städte sollten nun Hamburgs Vorbild nachziehen: »Stadtentwicklung verfolgt seit vielen Jahren das Ziel, Städte dichter und kompakter zu gestalten, da sie auf diese Weise ressourceneffizienter funktionieren können. Diesem ständigen Anpassungsprozess muss die urbane Mobilität folgen«, stellt die Mobilitätsstudie des Instituts für Stadtplanung und Städtebau der Universität Duisburg-Essen fest. Instituts-Leiter Alexander Schmidt folgert daraus: »Entscheidend wird dabei sein, welches das richtige Verkehrsmittel ist, um unter Berücksichtigung individueller Präferenzen bestimmte Wege zurückzulegen. Ziel ist es letztlich, die Entscheidung zugunsten nachhaltiger Verkehrsmittel so unkompliziert wie möglich zu machen.«
Zahlen und Fakten:
- Verkehrsmittelwahl im Berufsverkehr Hamburg: 28% zu Fuß, 12% Rad, 42% Auto, 18% ÖPNV (zum Vergleich: Wien 28% zu Fuß, 6% Rad, 27 % Auto, 39% ÖPNV)
- 77% aller Hamburger haben ein Auto, davon 20% zwei Autos und 3% drei oder mehr Autos, gesamt 731.283 PKWs
- CO2-Emissionen pro Personenkilometer: PKW 142,3, Linienbus 75, 0-, S- und U-Bahn 78,1
- Der HVV wurde am 29. November 1965 gegründet und ist damit der älteste Verkehrsverbund der Welt
- 2010: Gesamtverkehrsaufkommen des HVV von rund 1,03 Milliarden Fahrgästen (312 jährliche Einzelfahrten pro Einwohner)
- Stadtrad: 1.650 Räder an 123 Leihstationen, 5.600 Ausleihen/Tag, an Spitzentagen werden sogar bis zu 10.000 Räder ausgeliehen
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