Der Bauer als Innovator

Wie innovativ ist bio? Warum sind gerade Neueinsteiger im Biolandbau besonders experimentierfreudig? Warum gelten Bauern als stur? Und wie können wir von passiven zum aktiven Bio-Konsumenten werden? Drei Forscher der Universität für Bodenkultur beantworten unsere Fragen.

AD PERSONAM

Friedrich Leitgeb hat an der Universität für Bodenkultur Landwirtschaft studiert. Derzeit schreibt er an der Doktorarbeit zum Thema „Bäuerliche Experimente und Innovationen in Kuba“. Seit Mitte 2010 lebt er selbst auf einem Bauernhof in der Südweststeiermark und führt dort seine eigenen Experimente durch.

Susanne Kummer hat kürzlich an der Universität für Bodenkultur ihre Doktorarbeit über Experimente und Innovationen von Biobäuerinnen und Biobauern in Österreich abgeschlossen. Sie forscht und lehrt am Institut für Ökologischen Landbau zu bäuerlichen Experimenten, zur regionalen Vermarktung von Bio-Produkten, und zur Anpassungsfähigkeit (Resilienz) innerhalb der Biologischen Landwirtschaft. Ihr eigenen Bio-Experimente führt sie in einer kleinen Gartenparzelle in Wien durch.

Christian Vogl ist Professor für Ökologische Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur und gleichzeitig Biobauer. Er leitet Forschungsprojekte, betreut DiplomandInnen und DissertantInnen bei ihren Abschlussarbeiten, hält Vorlesungen, Seminare und Praktika und experimentiert am eigenen Biobetrieb gerade mit dem Einsatz von Schafwolle als Mulch und Dünger.

Webseite des Projekts „Organic Farmers’  Experiments

Ihr beschäftigt euch auf der Universität für Bodenkultur (BOKU) mit dem weiten Feld der „farmers experiments“. Wie weit verbreitet sind denn bäuerliche Experimente gerade im Biolandbau? Welchen Stellenwert hat Innovation?

Friedrich Leitgeb: Vor allem der Biolandbau lebt von der Innovationstätigkeit der Bauern, die immer wieder Lösungen für produktionstechnische Probleme suchen – und auch finden. Die Wissenschaft kann nicht alle praxisrelevanten und standortspezifischen Probleme bearbeiten, die den bäuerlichen Arbeitsalltag beeinflussen. Deshalb gehen Bauern und Bäuerinnen oft selbst an die Sache heran.

Christian R. Vogl: Ausserdem steht hinter dem Biolandbau nicht das Kapital der Betriebsmittelindustrie (Saatgut, Düngemittel, Synthetische Pflanzenschutzmittel, Herbizide, …) und der Nahrungsmittelkonzerne, wie in der konventionellen Landwirtschaft. Synthetische Betriebsmittel helfen beispielsweise vielfältige Standortunterschiede, sowie Gunst- und Ungunstlagen auszugleichen. Solche synthetischen Betriebsmittel sind im Biolandbau aber verboten. An ihrer Stelle sind Erfahrung und Findigkeit der Bäuerinnen und Bauern für ökologische Lösungen notwendig.

Susanne Kummer: Die Biologische Landwirtschaft wurde überwiegend von Bäuerinnen und Bauern selbst entwickelt, es gab in den Pionierzeiten keine universitäre Forschung zur Biolandwirtschaft. Aus dieser Basis hat sich bei Biobauern eine „Kultur des Ausprobierens“ entwickelt, besonders auch deshalb, weil für jeden Betrieb und jede Region angepasste Lösungen gefunden werden mussten. Dieses kreative Potenzial steckt nach wie vor im Biolandbau.

In anderen Branchen würde man nicht von „Bäuerlichen Experimenten“ sprechen, sondern von Forschung und Entwicklung. Ist diese Bescheidenheit mit ein Grund für das schlechte Image des Bauern, der ja eher als stur und starr denn als fortschrittsfreundlich gilt?

Friedrich Leitgeb: Forschung und Entwicklung werden im Allgemeinen mit Wissenschaft und Konzernen assoziiert. Dieser sehr technokratische Zugang unterschätzt jedoch das Potenzial Bäuerlicher Experimente und Innovationen. Bauern haben sich im Laufe der Geschichte immer an sich ändernde Bedingungen anpassen müssen. Dieser Anpassungsprozess spiegelt das Innovationspotenzial von Bauern wider. Historisch betrachtet gelten Bauern – im Vergleich zur städtischen Bevölkerung – als traditionsgebunden und eher konservativ. Die bäuerliche Mentalität weicht seit Jahrhunderten von der der „gut bürgerlichen“ ab und trug dazu bei, dass Bauern vielleicht heute eher als stur und starr denn als fortschrittsfreundlich gelten. Ohne bäuerliche Experimente und Innovationen wäre jedoch die menschliche Entwicklung von den Jäger-Sammler-Gesellschaften zu Ackerbau- und Viehzuchtgesellschaften nicht möglich gewesen. Das schlechte Image hat also weniger mit der gegenwärtigen Auffassung von Forschung und Entwicklung zu tun als vielmehr mit der historisch bedingten Stigmatisierung.

Christian R. Vogl: Ich würde zuerst auch hinterfragen wollen, ob es dieses schlechte Image wirklich so absolut gibt. Bäuerinnen und Bauern sind im sozialen Netzwerk in Vereinen, in der Politik, in der Wirtschaft und in vielen anderen Sektoren der Gesellschaft in wesentlichen tragenden Rollen aktiv, und auch innovativ. Das wird insbesondere lokal und regional sehr anerkannt. Bäuerinnen und Bauern sehen sich aus gutem Grund eben nicht zeitgeistig als reine Unternehmer, haben nicht die finanzielle Kapitalausstattung und sind daher leider nicht Teil des Diskurses über F&E. Im Prinzip ist das ein Fehler, da sie intensiv forschen und entwickeln.

Susanne Kummer: Die Vorstellung vom sturen und starren Bauern weicht sich meiner Meinung nach auf, wenn immer mehr Bauern auch selbstbewusst zeigen, wenn sie besondere Produkte herstellen, innovative Betriebsideen umsetzen, oder einen Beitrag zu Klimaschutz und Landschaftserhaltung leisten.

Christian R. Vogl: Wenn wir die Debatten über Verlust der Artenvielfalt, Bodenzerstörung, Treibhausgasimmissionen u.s.w. ansehen und dann erkennen, dass hier Biolandbau für alle diese Problemfelder Lösungen beitragen kann, müssen wir von Biolandbau als einer der fortschrittlichsten Schlüsseltechnologien sprechen, die wir derzeit im Bereich der Landnutzung kennen.

Nur die wenigsten Experimente im Biolandbau passieren nach wissenschaftlichen Kriterien. Erkenntnisse werden also auch nicht systematisch erfasst und publiziert. Geht viel Wissen verloren?

Friedrich Leitgeb: Viele Experimente und Innovationen sind an den lokalen Kontext gebunden und haben vor allem dort ihre Gültigkeit. Eine Übertragung in einen anderen Kontext wäre bei vielen Experimenten wenig sinnvoll. Experimente und Innovationen von Biobauern können jedoch Impulse geben und dadurch andere Experimente anregen. Das Wissen, das im Zusammenhang mit Bäuerlichen Experimenten entsteht wird in Österreich bis jetzt nicht dokumentiert und geht daher verloren. Damit geht auch die Möglichkeit verloren, weitere Experimente auszulösen. Mit einer systematischen Erfassung der Experimente könnte man eine Basis dafür schaffen, dass Experimente allen Interessierten zugänglich gemacht werden, was letztendlich eine selbstverstärkende Dynamik entwickeln könnte.

Susanne Kummer: Das Aufgreifen und Dokumentieren von bäuerlichen Experimenten in der Beratung und Forschung wäre ein wesentlicher Schritt, um das Wissen, das hier entsteht, gezielt zu nutzen und zu verbreiten. Dabei geht es weniger um die Weitergabe von Detailwissen, da dieses wie schon erwähnt kontext- und standortgebunden ist, sondern darum, Versuchstätigkeit anzuregen, Ideen zu liefern und mögliche Methoden aufzuzeigen. Dies könnte beispielsweise sehr gut über Kurzvideos zu bestimmten Themenbereichen passieren, wie es bereits in einem Projekt in der Schweiz und in einer Diplomarbeit in unserer Arbeitsgruppe umgesetzt wurde.

Die Bäuerinnen und Bauern selbst sind übrigens in der Regel sehr aktiv in der Kommunikation ihrer Forschungsergebnisse. Wissen geht also meist nicht einfach „verloren“, es verändert sich jedoch mit der Zeit und im lokalen Kontext bzw. erfährt eine weitere oder geringere Verbreitung.

Wie wird denn Wissen und Know-how in der Biolandwirtschaft heute weitergegeben? Haben wir es immer noch mit einer „oralen Kultur“ zu tun?

Christian R. Vogl: Auch wenn die mündliche Weitergabe auch heute noch wichtig für die Weitergabe von Wissen ist, dürfen wir da kein romatisches Bild des „Landlebens“ zeichnen. Informationsaustausch etwa über Fachzeitschriften oder das Internet nehmen zu. Parallel dazu verlieren „traditionelle“ Kommunikationsräume ihre Bedeutung. Früher standen in dem Dorf, in dem ich lebe, alle Bauern zwei Mal am Tag bei der Milchabholung am gemeinsamen Milchsammelplatz und haben getratscht. Heute kommt der Milchwagen alle 2 Tage nur 1 Mal zu unregelmäßigen Zeiten und es stehen die Milchkühltanks dort – ohne Menschen.

Friedrich Leitgeb: In Kuba wird landwirtschaftliches Wissen entweder über persönliche Kommunikation, über Workshop oder über die Medien (Zeitung, Radio, Fernsehen) weitergeben. „Farmer-to-Farmer extension“ basiert auf der Tatsache, dass Bauern sich gegenseitig am besten neue Methoden oder Techniken erklären können. In Kuba ist dieser Ansatz sehr weit verbreitet und wird von einem der wichtigsten Bauernverbände (ANAP) gefördert.

Susanne Kummer: Information wird von Bauer zu Bauer oft mündlich weitergegeben, persönliche Beziehungen und Vertrauensverhältnisse spielen eine wichtige Rolle. Aktive regionale Arbeitskreise können hier wichtige Drehscheiben für innovative Ideen sein. Im direkten Kontakt geht es aber nicht nur um die mündliche Weitergabe von Wissen, sondern auch um Beobachtung. Wenn ich als Bauer beobachten kann, dass der Biobauer nebenan eine Methode erfolgreich umsetzt, dann ist das für mich ein starker Anreiz, es selbst zu probieren. Daneben wird aber viel Wissen über Zeitschriften, Bücher, digitale Newsletter oder das Internet bezogen, die Landwirtschaft ist schon lange keine rein orale Kultur mehr.

Nicht nur die industrielle Landwirtschaft, auch viele Biobauern sind hochspezialisiert. Als wesentliches Kriterium für nachhaltige Landwirtschaft taucht in der Fachliteratur aber immer wieder die Resilienz auf – also die Fähigkeit mit Veränderungen umzugehen. Ist das nicht ein Widerspruch: Flexibilität und diversifizierte Kreativität versus Spezialisierung?

Friedrich Leitgeb: Unter dem Motto „wachse oder weiche“ sind auch oft Biobauern gezwungen, sich der kapitalistischen Verwertungslogik unterzuordnen. Industrialisierungstendenzen gibt es auch in der Biologischen Landwirtschaft. Allerdings haben Biobauern oft einen holistischen Zugang zur Lebensmittelproduktion der auf Kreislauf- und Systemdenken basiert. Die Artenvielfalt auf Biobauernhöfen ist tendenziell höher als auf konventionellen Betrieben. Das heißt, es gibt auch mehr Möglichkeiten für Experimente und Innovationen.

Susanne Kummer: Es ist richtig, dass Hochspezialisierung die Resilienz und Anpassungsfähigkeit eines Betriebes schwächt. Es kommt zum Verlust von Diversität (zum Beispiel wenn nur mehr eine oder wenige Ackerkulturen angebaut werden oder sich der Betrieb auf nur ein Standbein stützt) und zu Abhängigkeiten (zum Beispiel von nur einem mächtigen Handelspartner). Es ist daher für landwirtschaftliche Betriebe wichtig zu wissen, welches Risiko mit einer Spezialisierung einhergeht und welchen Vorteil Diversität und Unabhängigkeit bieten. Leider geht die Beratung hier teilweise in die falsche Richtung, indem den Bauern geraten wird, sich zu spezialisieren.

Welche Chancen und welches Risiko birgt eine Hochspezialisierung – gerade im Hinblick auf Innovation?

Friedrich Leitgeb: Spezialisierung schränkt die Fähigkeit mit Veränderungen umgehen zu können insofern ein, als dass die Bandbreite der Anpassungsmöglichkeiten eingeschränkt wird. Diversifizierte Betriebe haben mehrere Standbeine, die das Überleben sichern können. Insofern sind diversifizierte Betriebe eher in der Lage sich an Veränderungen anzupassen als spezialisierte.

Susanne Kummer: Spezialisierung bietet die Chance, dass man seine Kräfte auf wenige Bereiche fokussieren kann und dort intensiver forschen kann. Kommt es jedoch zu einer Hochspezialisierung, überwiegen die Risiken. Der Betrieb begibt sich in enorme Abhängigkeiten und kann im Notfall (z.B. bei Ernteausfällen, Krankheiten im Viehbestand, Wegbrechen des Handelspartners) nirgendwohin ausweichen. Das kann schnell zum finanziellen Ruin eines Hofes führen.

Christian R. Vogl: Spezialisierung in extremem Maße ist aus meiner Sicht ein Widerspruch zu Flexibilität und Kreativität. Es mag Ausnahmen geben, wenn Spezialisierung zu einem derart hohen Einkommen führt, dass Rücklagen gebildet oder im notwendigen Anlassfall sofort auf einen anderen Einkommenszweig umgesattelt werden kann.

Als besonders innovativ tauchen in den Medien immer wieder branchenfremde Einsteiger auf. Ich denke etwa an den visionären Ex-Werber als wagemutigen Bio-Winzer und dergleichen. Was bedingt beziehungsweise fördert denn Innovation?

Friedrich Leitgeb: Neueinsteiger haben den Vorteil, dass sie nicht mit einer alten Tradition brechen müssen um etwas Neues auszuprobieren. Neueinsteiger müssen auch erst ihre Erfahrungen mit der Landwirtschaft sammeln und machen das unter anderem durch ihre Experimente.

Susanne Kummer: Innovation wird durch Offenheit, Neugier und den Zugang zu verschiedensten Informationsquellen gefördert. Ein sogenannter „Quereinsteiger“ hat sich den Beruf des Bauern bewusst gewählt und bringt daher eine große Portion Neugier mit, und hat außerdem meist die Offenheit, auch Ungewöhnliches auszuprobieren. Wenn dann etwas nicht gelingt, ist das eher „in Ordnung“, als wenn dasselbe einem erfahrenen Bauern passiert.

Egal ob alteingesessen oder quer eingestiegen: Bäuerinnen und Bauern sind dann am innovativsten, wenn sie offen für Neues bleiben, und keine Scheu davor haben, auch einmal zu scheitern. Denn die Gefahr des Scheiterns ist beim Umsetzen von Innovationen natürlich immer gegeben.

Übrigens hat sich in meiner Forschung in Österreich gezeigt, dass Personen, die nicht auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen sind, angeben, häufiger zu experimentieren als Personen, die auf einem Betrieb aufgewachsen sind. Da kann man jetzt natürlich diskutieren, woran das liegt: Müssen Quereinsteiger einfach mehr ausprobieren, weil sie in ihrer Kindheit und Jugend keinen Zugang zu landwirtschaftlichem Wissen hatten, oder sind Quereinsteiger tatsächlich experimentierfreudiger?

Gibt es Phasen im Leben eines Bauern, etwa bei der Hofübernahme von der älteren Generation, in denen er – rein statistisch – besonders offen für Veränderung und Innovation ist?

Susanne Kummer: Besonders viele Veränderungen ergeben sich bei der Hofübernahme oder bei der Umstellung auf Biologische Landwirtschaft. In diesen Phasen können oder müssen neue Wege beschritten werden. Bei der Hofübernahme geht es darum, die persönlichen Vorstellungen umzusetzen, die von denen der Eltern sehr unterschiedlich sein können. Hier entscheidet sich zum Beispiel: „Habe ich die Zeit und die Freude daran, weiterhin Milchkühe zu halten, oder suche ich mir ein anderes Standbein?“ Bei der Umstellung auf Biologische Landwirtschaft geht es außerdem darum, sich ganz neue Arbeitsweisen anzueignen (etwa in der Unkrautregulierung, bei der Fruchtfolge), und mit diesen neuen Arbeitsmethoden zu experimentieren.

Was sagt die Empirie in der Landwirtschaft: Ist was Wahres dran am Sprichwort, dass Not erfinderisch macht? Die Sozialforschung zeigt ja eher, dass Not lähmt anstatt Kräfte und Kreativität zu mobilisieren?

Friedrich Leitgeb: Am Beispiel Kuba wird deutlich, dass Not tatsächlich erfinderisch macht. Die kubanische Gesellschaft muss seit mehr als 20 Jahren kreativ und innovativ mit den vorhandenen Rohstoffen umgehen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Erfinderisch zu sein hat der Bevölkerung dabei geholfen ihren Lebensstandard nach Zeiten der Entbehrung wieder zu heben. Staatliche Rahmenbedingungen haben dazu beigetragen, das Innovationspotenzial zu fördern und zu nutzen.

Susanne Kummer: Die finanzielle Notlage und die äußerst eingeschränkte Verfügbarkeit von Ressourcen, mit der kubanische Bäuerinnen und Bauern konfrontiert sind, gibt es in dieser Form in Österreich nicht. Dennoch haben Bäuerinnen und Bauern in Interviews die Notwendigkeit ein Problem zu lösen als wichtigsten Grund angeführt, um ein Experiment durchzuführen.

Sind Bauern, denen es wirtschaftlich gut geht, experimentierfreudiger?

Friedrich Leitgeb: Was war zuerst? Die Henne oder das Ei? Wirtschaftlicher Erfolg ist keine Garantie für mehr Kreativität und Innovationsgeist. Es gibt auch wirtschaftlich erfolgreiche Bauern, die nicht besonders innovativ sind. Andererseits gibt es auch Bauern mit weniger Kapital, die sehr innovativ sind. Finanzielle Sicherheit bedeutet allerdings auch, sich Fehler mit negativen wirtschaftlichen Auswirkungen „leisten“ zu können. Ein gewisses Maß an finanzieller Sicherheit ist daher von Vorteil und fördert die Bereitschaft zu experimentieren.

Susanne Kummer: Das lässt sich nicht eindeutig sagen. Es scheint von Vorteil zu sein, einen gewissen (zeitlichen oder finanziellen) Freiraum zu haben, damit man Neues ausprobieren kann. Experimente lassen sich aber auch im kleinen Rahmen und mit geringen Mitteln durchführen. Wichtiger als die finanzielle Situation ist aber auf jeden Fall die Begeisterung und die Freude daran, zu experimentieren – experimentierfreudige Bäuerinnen und Bauern verfügen über „Forschergeist“. Die Persönlichkeit spielt also eine weit zentralere Rolle als die Finanzmittel.

Es braucht eine gewisse unternehmerische Freiheit, um experimentieren zu können. Gerade die Landwirtschaft und Produktion von Lebensmitteln ist sehr stark reglementiert – zum Teil auch aus Fördergründen. Aus Innovationssicht – sind diese Regeln eher Fluch oder eher Segen?

Friedrich Leitgeb: Ein gutes Beispiel sind Hygienevorschriften, die die Verarbeitung von Fleischprodukten regeln. Kleinproduzenten können sich die vorgeschriebenen Verarbeitungsräume oft nicht leisten und haben daher auch nicht die Möglichkeit ihr Innovationspotenzial zu nutzen. Subventionen für den Ackerbau haben ähnliche Auswirkungen. Allerdings beeinflussen diese Reglementierungen nur bedingt das Innovationspotenzial. Innovative Bauern lassen sich von gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht abhalten etwas auszuprobieren.

Christian R. Vogl: Einfach um das Nachdenken anzuregen erlaube ich mir da auch eine provokante Gegenthese: Erst die sehr strengen und umfangreichen Richtlinien in der biologischen Landwirtschaft haben einige Experimente und Innovationen erzwungen. Wenn jeder sagt „Es passt eh so wie es ist. Es geht nicht anders!“, braucht man keine Experimente: Wenn z.B. plötzlich über eine neue Verordnung der Zwang da ist, Pflanz- und Saatgut aus biologischer Landwirtschaft einzusetzen, ohne Ausnahmen, bedingt das auch eine Flut an Experimenten im Bereich der Züchtung, Vermehrung, Vermarktung und des Anbaus von Sorten unter den Bedingungen der biologischen Landwirtschaft – nicht nur bei klassischen Saatgutkonzernen, sondern auch im Bereich der bäuerlichen Züchtung und Vermehrung.

Susanne Kummer: Und um noch mehr zum Denken anzuregen: Ja und nein! Regelungen können einschränken UND anspornen. Was es braucht, sind klare und eindeutige Vorgaben, die den Rahmen abstecken, und innerhalb dessen den Freiraum, aus mehreren Optionen zu wählen bzw. verschiedene Wege zu gehen. Wenn Bauern nur eine Maßnahme umsetzen dürfen (z.B. nur für eine bestimmte Begrünungskultur Fördergeld bekommen), nimmt man den Bauern die Möglichkeit, sinnvolle, angepasste Lösungen zu suchen und zu finden. Können Bauern jedoch aus mehreren Optionen wählen, ermöglicht man ihnen, sich unabhängiger zu machen und – ganz provokant – selbst zu denken.

Um nochmals auf die Hygienevorschriften zurückzukommen: Diese sind großteils sinnvoll, teilweise jedoch ohne Zweifel überzogen. Hier braucht es den Druck der Gesellschaft bzw. von relevanten Institutionen und Gruppierungen auf die Entscheidungsträger, sinnvolle Maßnahmen zu formulieren. Die Erfüllung der Hygieneauflagen ist gerade für kleine Betriebe nicht oder kaum leistbar. Hier braucht es sinnvolle Alternativen, z.B. die Förderung von lokalen, gemeinschaftlichen Verarbeitungsräumen, die den Hygienebestimmungen entsprechen und die von allen interessierten Bauern in der Region genutzt werden können.

 

Die Stadt Wien betreibt eine riesige Bio-Landwirtschaft. Wie engagiert ist die Kommune im Hinblick auf „farmers experiments“?

Susanne Kummer: Da habe ich keinen Einblick. Wir haben uns in der Forschung auf Biobetriebe, die von Privatpersonen geführt werden, konzentriert.

Bleiben wir beim Bauern als Einzelunternehmer: Gibt es so etwas wie klassische Innovations-Hemmer?

Friedrich Leitgeb: Klassische Innovationshemmer sind eher auf persönlicher bzw. psychologischer Ebene zu suchen. Die Persönlichkeit des Bauern ist ein entscheidender Faktor im Innovationsprozess.

Susanne Kummer: In meiner Forschung hat sich gezeigt, dass das soziale Gefüge und die vorherrschenden Wertvorstellungen in der Region Einfluss auf die Experimentierfreudigkeit haben. In traditionell geprägten Regionen berichteten die Bauern weniger davon, Neues am Betrieb auszuprobieren. Das Experimentieren war dort auch deutlich negativer besetzt als in weniger traditionell geprägten Regionen, bzw. in Regionen, in denen es mehr Quereinsteiger gibt. Ich habe in meiner Forschung Interviews mit Bauern in zwei Gemeinden durchgeführt, die dieselbe Anzahl von Biobauern aufweisen, aber in völlig unterschiedlichen Regionen liegen: eine Gemeinde lag in Nordtirol, eine im Südburgenland. Insgesamt gaben Bauern im Südburgenland signifikant häufiger an, etwas auszuprobieren, und hatten eine deutlich positivere Einstellung zum Experimentieren, als in Nordtirol, wo es den meisten Bauern wichtig war zu betonen, dass sie „alles so machen, wie es immer schon gemacht wurde und wie es alle anderen in der Region auch machen“.

Gibt es Strukturen, Initiativen oder Förderprogramme (wie das Impulsprogramm), die Innovation und Experimente in der Biolandwirtschaft fördern?

Susanne Kummer: In Österreich für „Bio“ spezifisch kaum. Bio Austria (Anm: der größte österreichische Bioverband) vergibt seit 2 Jahren einen „Tüftlerpreis“ für Innovationen von Biobauern. Die Preisträger werden öffentlich vorgestellt und erhalten Geldpreise. Für alle österreichischen Bauern (also nicht nur Bio) gibt es beispielsweise den Agrarprojektpreis, bei dem Innovationen eingereicht und von der Jury nach wirtschaftlichem Erfolg beurteilt werden. Hier werden regelmäßig auch viele Biobauern ausgezeichnet.

Im Rahmen der Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung gibt es darüber hinaus vom Landwirtschaftsministerium mehrere Förderprogramme für Weiterbildung, Investitionen oder Modernisierungsmaßnahmen auf landwirtschaftlichen Betrieben. Außerdem besteht die Möglichkeit, Förderungen des LEADER-Programmes (Anm.: Programm der EU zur Förderung der Entwicklung von Regionen) für die Umsetzung von Innovationen am Betrieb in Anspruch zu nehmen.

Christian R. Vogl: Es gibt eine Reihe von Investitionsförderungen und Auszeichnungen für Innovationen aus dem Landwirtschaftsministerium, aber kein spezifisches Programm um das „Experimentieren“ anzuregen.

Ein „Bio-Tüftlerpreis“ klingt aber eher nach verschrobenem, weltfremden Daniel Düsentrieb, denn nach anwendbarem Wissensgewinn und einer realen wirtschaftlichen Wertschöpfung.

Christian R. Vogl: Aus welchem Grund? Warum sollte das Basteln, Tüfteln, Herumwerkeln, Macheln, oder wie auch immer das umgangssprachlich lokal genannt wird, negativ besetzt sein?

Susanne Kummer: Mag schon sein, dass manche Ideen nicht direkt auf ökonomische Verbesserungen abzielen. Da Bäuerinnen und Bauern aber sehr praxisorientierte Menschen sind und die meisten Experimente darauf abzielen, konkrete Probleme zu lösen oder Verbesserungen am Betrieb zu erzielen, sind die Ergebnisse aus diesen Experimenten sehr wohl anwendbare Erkenntnisse – die jedoch auf einem anderen Betrieb wieder an die jeweiligen Rahmenbedingungen anzupassen sind.

Der „Bio-Tüftlerpreis“ ist eine nachträgliche Auszeichnung, keine systematische Förderung. Fehlt ein Fördersystem, das etwa auch besonders innovatives Design oder Vermarktungsansätze unterstützen könnte?

Susanne Kummer: Wie erwähnt gibt es auch Förderungen für Weiterbildung, oder für Investitionen auf Betrieben, z.B. im Bereich der Verarbeitung und Vermarktung. Es stehen also schon Mittel zur Verfügung – ich kann jedoch nicht beurteilen, wie leicht diese zu beantragen sind, oder wie bekannt es ist, dass es solche Mittel gibt und wie diese abgeholt werden können.

Christian R. Vogl: Für geplante Investitionen und erfolgreiche Innovationen gibt es eine Reihe von Förderprogrammen und Anerkennungsmaßnahmen. Uns geht es insbesondere darum, zusätzlich das Experimentieren und Ausprobieren auf lokaler Ebene zu fördern. Ein Programm zur systematischen Förderung bäuerlicher Experimente gibt es nicht.

Gäbe es dafür einen realen Bedarf?

Susanne Kummer: Diese Frage habe ich in meiner Forschung nicht konkret bearbeitet. Aus meinem persönlichen Eindruck heraus würde ich sagen, dass es sinnvoll wäre, Bäuerinnen und Bauern zum eigenständigen Experimentieren mehr anzuregen, z.B. indem dieses Thema überhaupt diskutiert und zum Thema gemacht wird, indem die Vernetzung und Erfahrungsaustausch zwischen Bauern gefördert wird, und mehr Zusammenarbeit zwischen Bauern und Wissenschaftern passiert. Meist hat man als Bauer oder Bäuerin soviel um die Ohren, dass der Ansporn oder Elan, neue Ideen auszuprobieren, darunter leidet. Bekommt man jedoch Anerkennung und Unterstützung dafür, ist man viel eher bereit, hier aktiv zu werden. Und finanzielle Unterstützung ist sicher auch hilfreich. Eventuell braucht es mehr Beratung für Bauern, welche Mittel hier überhaupt zur Verfügung stehen und wie man diese beantragen kann. Oftmals überwiegt aber in der herkömmlichen landwirtschaftlichen Beratung der Ansatz, allgemein gültige „Rezepte“ weiterzugeben, anstatt zum Finden eigener, kreativer Lösungen anzuregen.

Täuscht der Eindruck, dass es eine große Kluft zwischen landwirtschaftlicher Praxis und wissenschaftlicher Forschung gibt?

Christian R. Vogl: Zum einen ja, zum anderen ist das herbeigeredet, weil es beiden Seiten dient, sich mit sich selbst zu beschäftigen und nicht mit „dem Anderen“ beschäftigen zu müssen: Es hängt sehr von der Sparte, also dem Thema und der Region ab. Wir haben in Österreich z.B. in der landwirtschaftlichen Forschung an den so genannten Bundesanstalten, an Fachhochschulen und an den Universitäten Arbeitsgruppen und Themen, die sehr intensiv und fruchtbar mit Bäuerinnen und Bauern, bzw. deren Organisationen kooperieren. Es gibt ja auch Bäuerinnen und Bauern, bzw. deren Kinder, die nach ihrer Ausbildung in der Forschung arbeiten! Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele. Dabei sollte man bedenken, dass landwirtschaftliche Praxis und wissenschaftliche Forschung neben möglichen gemeinsamen Zielen auch vollkommen unterschiedliche Dynamiken und Anliegen haben. Angewandte lösungsorientierte Wissenschaft mit einem Impact in der Praxis ist gerade im Biolandbau dringend gefordert. Zum andern soll es auch Grundlagenwissenschaft geben, die frei und unabhängig vollkommen irre und unglaubliche – allerdings gesellschaftspolitisch akzeptable – Versuche durchführt, um vielleicht so unerwartete Lösungen für unsere Probleme zu finden. Nicht zuletzt würden wir uns nicht wundern, dass sich z.B.: ein Koreaner mit einem Sizilianer sprachlich und kulturell nicht auf Anhieb versteht. Wissenschaftler und Bauern leben in verschiedenen Arbeitskulturen und sprechen verschiedene Sprachen, verwenden Begriffe unterschiedlich und es hat schlicht noch nicht ausreichend Zeit und Maßnahmen, auch wenig Interesse gegeben, kulturell und sprachlich voneinander zu lernen und sich gegenseitig besser zu verstehen. Nicht vergessen darf man, dass üblicherweise in der Landwirtschaft zwischen Wissenschaft und Forschung die so genannte Beratung steht. Sie wären die Vermittler und Übersetzer und da braucht es sicher viel mehr an Ressourcen, um diese Vermittlerrolle zu stärken.

Ist die Kooperation von Theorie und Praxis in anderen Ländern weiter gediehen?

Friedrich Leitgeb: Bauern in Kuba sind nicht nur passive Nutzer von Forschungsergebnissen, sondern werden oft aktiv in den Entwicklungsprozess eingebunden. Dieses Konzept nennt sich „Participatory Research“. Ein großer Vorteil dabei ist der Wissensaustausch zwischen Wissenschaftlern und Bauern. Die Kluft zwischen Theorie und Praxis wird dadurch abgebaut. Berührungsängste verschwinden. In oft kollegialem Verhältnis wird gemeinsam an der Durchführung von Forschungsprojekten gearbeitet.

Die Forschung in der konventionellen Agrarindustrie wird oft von der chemischen Industrie, Saatgutkonzernen und dergleichen forciert. Ist der Biolandbau mit seinem Systemansatz der Vielfalt da nicht automatisch ein benachteiligter Bereich was Forschung und Entwicklung betrifft?

Friedrich Leitgeb: Die konventionelle Agrar-und Lebensmittellobby ist mächtig und multinationale Konzerne verfügen über das notwendige Kapital, um Forschung zu finanzieren. Das führt natürlich zu einem Ungleichgewicht bei der Mittelverteilung wodurch konventionelle Forschung begünstigt wird. Obwohl die Bio-Bewegung wächst, ist sie nicht in der Lage ein ähnliches Finanzvolumen für Forschung aufzubringen. Forschung und Entwicklung in der Biologischen Landwirtschaft werden daher vorrangig noch von öffentlicher Hand finanziert.

Wie kann diesem Missverhältnis gegengesteuert werden?

Friedrich Leitgeb: Die engen Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik müssen aufgelöst werden. Forschung hat eine ethische Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft und muss deshalb unabhängig sein. Von der Wirtschaft finanzierte Forschung ist immer auch interessengeleitete Forschung. Jede/r Einzelne von uns hat die Möglichkeit über Kaufentscheidungen auch ein politisches Statement zu setzen. Je mehr Leute Bioprodukte kaufen, desto mehr Kraft gewinnt die gesamte Biobewegung was sich dann auch in den Forschungsgeldern niederschlägt.

Susanne Kummer: Eine gute Strategie, um die Forschung im Biolandbau voranzutreiben wäre, das Forschungspotenzial der Biobauern selbst stärker aufzugreifen und zu nutzen, und die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Praxis weiter auszubauen – was in einigen Bereichen auch schon gut funktioniert.

Die Wissenschaft ist mittlerweile auf Drittmittel angewiesen, um ihre Arbeit zu finanzieren. Ganz konkret: Gelingt es der BOKU Drittmittel für Forschung im Bereich ökologischer Landwirtschaft zu lukrieren?

Christian R. Vogl: Ja, zunehmend, aber im Vergleich zu den Sektoren in der Forschungslandschaft, die durch Geld aus der Industrie finanziert werden, derzeit nur in sehr sehr bescheidenem Ausmaß.

Die wenigsten von uns verfügen über Drittmittel. Wie kann der einzelne als Konsument innovative Bauern unterstützen?

Christian R. Vogl: Auf die Entdeckungsreise gehen und in Supermärkten, in Bioläden, auf Bauernmärkten und bei Bauern ab Hof Bioprodukte kaufen, verarbeiten, kochen. Natürlich auch von Arbeitgebern, Veranstaltern von Festen, von Automatenaufstellern, in der Betriebsküche Bioprodukte fordern!

Susanne Kummer: … und Berichte und Geschichten über innovative Biobauern weitererzählen, damit sich das überholte Bild vom starren und sturen Bauern langsam wandelt.

Was mir in diesem Zusammenhang auch sehr gut gefällt, sind die Bestrebungen der Slow Food-Bewegung: Dort wird versucht, die Konsumenten als „Ko-Produzenten“ zu sehen. Darum sollte es uns gehen: Aus der passiven Rolle der Konsumierenden auszusteigen, und Mitverantwortung dafür zu übernehmen, was wir essen und wie diese Lebensmittel produziert werden. Diese Verantwortung haben wir in den letzten Jahrzehnten systematisch abgegeben bzw. wurde sie uns genommen – was ich für ein großes Problem halte. Daher sollte es uns wichtig sein, uns für nachhaltig erzeugte, gesunde und leckere Lebensmittel zu interessieren, mehr darüber zu wissen und sich für deren Verbreitung im eigenen Einflussbereich einzusetzen.

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