Als die Bienenkönigin noch ein König war

„Im Wald“ von Rita Mielke, eine Wortwanderung durch die Natur(literatur), schafft ein Wandererlebnis in Raum, Zeit und Kultur der anderen Art

Der Wald ist mit vielen Mythen belegt, ein mit vielen Begriffen verbundener Sehnsuchtsort. Rita Mielke begibt sich mit ihrem kleinen Band »Im Wald« auf eine »Wortwanderung«, wie sie es nennt, in welcher sie den Spuren dieser Begriffe nachgeht. Für den Leser und die Leserin entsteht dabei ein besonderes Reiseerlebnis. Eines, bei dem man nicht von der Couch aufzustehen braucht, trotzdem historische Zeiten, fremde Länder wie auch einfach Vergessenes und Interessantes erleben kann.

"Im Wald. Eine Wortwanderung durch die Natur" – ein empfehlenswertes Buch von Rita Mielke, rezensiert von Florian Grassl
»Im Wald. Eine Wortwanderung durch die Natur« – und
an einen besonderen Sehnsuchtsort.

Der Fokus des Bandes liegt klar auf dem Bezug zur und aus der Literatur. Von griechischer oder ägyptischer Mythologie über römische Schriftsteller bis zu Zeitgenössischem. Der Adler, der die Heimkehr Homers in seiner Odyssee voraussagt. Die Linde, deren Blatt Siegfried in der Nibelungensage verwundbar macht. Die Bedeutung von Eule und Hirsch in Harry Potter. Der Räuber als Robin Hood. Die Waldgeister in Gestalt von Licht- und Dunkelelben in »Herr der Ringe«. Alles hat einen Waldbezug im weitesten Sinne. Manche der Beispiele machen auch einen Schulterschluss zwischen den geschichtlichen Epochen. So schrieb bereits der römische Schriftstelle Plinius über die gleichen Misteln, die der Druide Miraculix für Asterix und Obelix für seinen Zaubertrank mit der goldenen Sichel schneidet.

Wörter und Sprichwörter
Viele der Waldwort-Beispiele haben Bezug zur heutigen Sprache oder zu Sprichwörtern. So soll das »Buch« und der »Buchstabe« von der Buche kommen, denn die Germanen benutzten Buchenholzstäbe als Schreibtafeln. Der Honig der Biene hatte durch Eros, der seine Pfeile in Honig tauchte, bereits frühzeitig eine Verbindung zur Liebe. So wurde noch im 18. Jahrhundert nach der Hochzeit vom Honigmond oder Honigmonat gesprochen. Im Englischen sind die Flitterwochen heute nach wie vor ebendieser »honeymoon«. Waldwörter nehmen aber selbst in der heutigen Jugendszene sprachlichen Einzug, ein Beispiel: NKA steht da, angeblich, als Akronym für »Niveau kniende Ameise«.

Das Sprichwort »Weiß der Kuckuck« zeugt von den seherischen Fähigkeiten, die man diesem Tier zusprach, da es den Frühling ankündigen kann. Andere Sprichwörter wie »Buchen sollst du suchen, Eichen sollst du weichen« wurden natürlich längst wissenschaftlich wiederlegt. Dass die natürlichen Wuchseigenschaften (Buche primär als Wald, Eiche auch einzeln und daher blitzgefährdeter) indirekt trotzdem zu dem Sprichwort geführt haben können, wird allerdings nicht erörtert. Interessant, dass es im deutschen Sprichwörterlexikon von 1880 700 Einträge gab, die unmittelbar mit dem Wolf in Verbindung stehen.

Fliegenpilz (Illustration: Hanna Zeckau)

Film und Musik
Über die Literatur und Sprache hinaus werden die Waldbegriffe auch in Bezug auf Film, Kunst und Musik vorgestellt. So findet zum Beispiel die »Kuckucksterz« nicht nur Verwendung in den Kuckucksuhren, sondern auch in Beethovens Pastorale oder Vivaldis »Vier Jahreszeiten«. Und wegen dem Film »Bambi« glauben viele, dass der Hirsch der Vater des Rehkitzes und somit »das Reh die Frau vom Hirsch« sei. Da das Reh in Nordamerika nicht vorkommt, weicht der Film von der literarischen – deutschen – Vorlage ab und macht einen Weißwedelhirsch zur Hauptfigur. Dies wiederum ignoriert die deutsche Synchronisation und bleibt beim ursprünglichen Rehkitz. Die Verwirrung ist perfekt und in unserer Gesellschaft verankert.

Kultur und Kulturunterschiede
Wir treffen Waldworte oder Symbole auch an vielen anderen Stellen. So stand die Ameise bei den Römern für Fleiß, und war auf römischen Münzen als Zeichen von »durch Fleiß erworbenen Wohlstand« geprägt. Auch alle heutigen deutschen Kupfermünzen (1, 2 und 5 Cent) haben einen Waldbezug: die Rückseite ziert ein Eichenlaub. Was dem Deutschen die Eiche ist, ist dem Russen die Birke. Kulturunterschiede entstehen aber auch bei ein und demselben Wort. So wird bei uns die Fledermaus – mal abgesehen von Batman – primär als furchterregend empfunden, während die Chinesen sie als Glücksbringer sehen. Das gesprochene Wort für Fledermaus ist sogar identisch mit dem Wort für Glück.

Keine sprachhistorische Betrachtung kommt am Nationalsozialismus vorbei, der auch eine ganze Reihe an Waldbegriffen vereinnahmt hat. So galt den Nationalsozialisten der Ameisenstaat als »positives Gemeinschaftsbeispiel, da er die Unterordnung des Einzelnen unter das Gemeinwohl um den Preis der Aufgabe jeglicher Individualität perfekt löst«. Das NSDAP-Parteisymbol wurde 1933 um einen Eichenkranz ergänzt, die Olympiasieger von 1936 erhielten neben der Medaille einen Topf mit einem Eichen-Setzling. Die U-Boot-Flotte wurde als Wolfsrudel gefeiert. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Biologie und Wissenschaft
An einigen Stellen erleben wir den direkten Bezug zur Biologie und wie der wissenschaftliche Kenntnisstand die Sprache und Literatur geprägt hat. So ging nicht nur Vergil davon aus, dass ein Bienenvolk von einem männlichen Wesen beherrscht wird, sondern selbst im Deutschen Wörterbuch (ab 1838!) steht zu den Bienen: „Gleich den menschen halten diese thierchen für nöthig sich einen herrn zu setzen, der über sie gebiete“. Das Mysterium der Bienenfortpflanzung wurde erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelöst.

Biene (Illustration: Hanna Zeckau)

Aus heutiger waldbaulicher Sicht interessant, dass es in der germanischen Sprache kein Wort für Fichte gab. »Wo kein Baum, da kein Name« – nur für den Fall, dass noch jemand glaubt, die Fichte wäre heimisch bei uns. Erst später im Althochdeutschen, ca. 10./11. Jhdt, kam die Bezeichnung »fiuhta« für die heutige Fichte auf. Man könnte sagen ein geschichtlicher Wink mit dem Zaunpfahl selbst für den heutigen Waldbau. 
Eine leider zumindest verzerrte Darstellung gibt es zum Ökosystem Wald: Dass Bäume untereinander »kommunizieren« und sich gegenseitig »helfen« können ist heutzutage biologisch belegt. Bei der Besprechung des Begriffs »Waldgeister« wird allerdings der Eindruck erweckt, dass dies rein eine »Botschaft an zivilisationsmüde Naturliebhaber« wäre und die Baumkommunikation eher den Waldgeistern zuzuschreiben ist. 

Chance auf mehr Aktualitätsbezug vertan
Die Chance, in dem Band noch mehr Aktualitätsbezug herzustellen und uns damit noch mehr die Augen zu öffnen, wurde leider vertan. Möglichkeiten hierzu gäbe es genug, sei es zum Beispiel zu Gendering, der Wolfsdiskussion oder unserem Fichtenwaldproblem. Das Buch hält aber, was es verspricht: eine »Wortreise« und die hier dargestellten Beispiele sind nur ein kleiner Auszug. Man darf sich nur keine praxisbezogene Information zu Wald o.ä. erwarten.

Nach Begriffen in alphabetischer Reihenfolge gegliedert, gibt es zusätzlich Wortwolken und einige Illustrationen von Hanna Zeckau. Es kommt weitestgehend ohne linguistische Fachbegriffe aus, stellt aber fundiert den Bezug zum Ursprung her: unabhängig ob literarische, sprachliche oder sonstige Wurzeln. Eine Frage blieb für mich allerdings offen: Wie wurde der mit Dunkelheit und Angst verbundene Wald zu einem Sehnsuchtsort für das Steppenwesen Mensch?

»Im Wald – Eine Wortwanderung durch die Natur»« von Rita Mielke ist 2019 im Duden Verlag erschienen.

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