Ich, Cheeta: Die Autobiographie – Wieso Cheeta die bessere Jane war
Ubahn, Wien Mitte. Ein etwa 70-jähriger Pensionist der mir gegenübersitzt hat Lust auf Smalltalk: „Na, spannendes Buch?“ – Nicken meinerseits. „Was genau lesen Sie denn?“ Ich zeige mit dem Finger auf das Buchcover, auf dem ein Schimpanse sowie Hollywood-Größen wie Lauren Bacall und Humphrey Bogart abgebildet sind, und entgegne mit einem Schmunzeln auf den Lippen, da plötzlich alle Mitfahrenden mitzulauschen scheinen: „Die Autobiographie von Cheeta dem Affen“ Der Blick des Pensionisten spricht Bände. Auch der Zusatz „Das ist der Affe aus den Tarzan-Filmen…“ verhindert nicht, dass der interessierte Senior mich ansieht als hätte ich einen Knacks. Statt Smalltalk darf ich weiter ungestört in der wohl amüsantesten Affen-Geschichte aller Zeiten weiterlesen…
Tarzans Kumpel, ein kettenrauchender Pensionist aus Palm Springs
Stell dir vor, deine Freundin hat auf einmal die Autobiographie von einem Affen auf dem Nachttischchen liegen. Eine Biographie die zehn Mal ehrlicher, lustiger und zynischer ist als die Autobiographien von Dieter Bohlen, Mutter Theresa, Lady Di und Peter Rapp zusammen! Stell dir vor, deine Freundin fängt auf einmal an, sich für Johnny Weissmüller im Lendenschurz zu interessieren. Das kann durchaus passieren, wenn man dieses Buch in die Finger bekommt. Die 2008 von James Lever niedergeschriebene Autobiographie ist seit diesem Jahr auch auf Deutsch erhältlich und erzählt die Geschichte von Cheeta, dem Schimpansen, der in den 1930er- und 40er-Jahren in diversen Tarzanfilmen neben Darstellern wie dem Olympia-Schwimmer Johnny Weissmüller auftrat.
Cheeta, Leinwandikone und beste Freundin des Tarzan-Jane-Gespanns, ist im realen Leben jedoch keine „Sie“ sondern ein kettenrauchendes, auf Jane eifersüchtiges Männchen, das endlich die langjährige Alkoholsucht besiegt hat, mittlerweile als Pensionist und abstrakter Maler in Palm Springs lebt und sich dazu entschieden hat, der Welt seine Geschichte, die im aus dem tiefsten Dschungel Afrikas in den künstlichen Dschungel Hollywoods führte, zu berichten.
Glamour, Parties und Eifersucht im Hollywood-Dschungel
Dabei lässt „Cheets“ keine Bösartigkeit in seinen humorvollen Erzählungen über die vermeintliche Glamourwelt und deren große Filmlegenden aus. Charly Chaplin ist für Cheeta nur ein aufgeblasener humorloser Wicht der es auf junge Nachwuchsschauspielerinnen abgesehen hat, Marlene Dietrich eine wahnsinnige Alkoholikerin die ständig nach Urin riecht und Maureen O´Sullivan, besser bekannt als Tarzans dauernörgelnde Gefährtin „Jane“, und Weissmüllers Ehefrauen im realen Leben sind nicht mehr als Nebenbuhlerinnen und lästige Übel, da sie alle mit Cheeta um Tarzans Gunst und Aufmerksamkeit eifern. Cheeta beschreibt brüllend komisch die Probleme mit Jane, die ihn zur Hausangestellten in der Dschungel-Behausung am Felsengebirge degradierte, und die tiefe Zuneigung zu Weissmüller: „Tarzan liebte mich. Wir sublimierten unsere Liebe, indem wir uns gemeinsam durch den Dschungel schwangen. Jane und ich waren eifersüchtig aufeinander, aber wir kamen zurecht.“ Weiterer Dorn im Affenauge ist Tarzans Ziehsohn „Boy“, der plötzlich aus dem Nichts auftaucht („Tarzan finds a Son“ 1939) den Cheeta als schlichtweg unnötig bezeichnet. Neben Berichten und Beobachtungen über die Dreharbeiten der Filme, die schwierige Zusammenarbeit mit Jane, und die tiefe Verbundenheit zwischen Cheeta und Tarzan, schreibt „Cheets“ über exzessive Hollywood-Parties, Techtelmechtel zwischen bekannten Filmstars, Reibereien hinter den Kulissen sowie über Johnny Weissmüllers privates Leben abseits von Aaaaahheeeyeeeeyeeeeeyeeeaaaaheyyyeeeeyeeeyaaah und seine turbulenten Ehen mit dem „mexikanischen Wirbelwind“ Lupe Vélez, Beryl Scott und Cheetas anderen „Konkurrentinnen“ die wie der Schimpanse Weissmüllers Charme und Charisma erliegen. In Deutschland trat Cheeta mit Johnny Weissmüller und dessen Frau Maria 1971 gemeinsam im „Aktuellen Sportstudio“ auf, wobei er Weissmüllers Frau die Perücke vom Kopf riss.
Ich, Cheeta.
Als ich das Buch zum ersten Mal in den Händen hielt und den trashigen Einband sowie die zahlreichen Schimpansen-Bilder im Innenteil begutachtete, ahnte nicht, dass ich Wochen zum glühenden Tarzan- bzw. Cheeta-Fan mutieren würde. Die schwarz-weiß Tarzan-Klassiker (von „Tarzans Vergeltung“ 1934 bis hin zum grandiosen „Tarzan und die Nazis“ 1942) sind eine wunderbare Ergänzung zur (fiktiven?) Autobiographie. Behält man die im Buch beschriebenen Eifersüchteleien, Streitigkeiten und Unstimmigkeiten zwischen Cheeta und Tarzans „Anhängsel“ Jane und Boy sowie Cheetas Ausführungen über die Liebe, Zuneigung und tiefe Verbundenheit zu Weissmüller im Hinterkopf, sind diese Filme (mit Untertitel!) jedem ans Herz zu legen. Doch was wurde mittlerweile aus Cheeta? Ist er mittlerweile rückfällig geworden und trauert noch immer um seinen Kumpel Tarzan? Immerhin sind seit Veröffentlichung der englischen Originalausgabe von „Me, Cheeta“ schon drei Jahre vergangen…2008 wurde der 76. Geburtstag des Affen gefeiert (Schimpansen werden normalerweise höchstens 40 Jahre alt) und Cheeta wurde sogar im „Guinness Buch der Rekorde“ als ältester Schimpanse der Welt angeführt. So wie die anderen Affen in den Tarzan-Filmen keine Schimpansen sondern Menschen in Affenkostümen waren war auch dies ein großer Schwindel, da sich herausstellte, dass verschiedene Affen die Rolle der Cheeta gespielt hatten und heute keiner mehr von ihnen lebt!
Der 2008 gefeierte „Geburtstagsaffe“ kam in den 1960ern zur Welt und spiele in keinem der Tarzan-Filme mit, Affe „Jiggs“, der in den ersten beiden Filmen die Rolle von Cheeta spielte, starb bereits 1938 an einer Lungenentzündung. Egal ob Schwindel oder nicht, die Autobiographie von Cheeta ist mehr als lesenswert und wird selbst den größten Tarzan-Hasser zum Lachen bringen.
Cheeta: Me Cheeta: The Autobiography. 2008, ISBN 0-007-27863-2 Dt. Ausgabe: James Lever: Ich, Cheeta. Die Autobiographie, Berlin 2011.