Geschichte einer Freundschaft: Vom Wolf zum Hund zum Menschen

Vieles deutet darauf hin, dass sich Mensch und Wolf irgendwann in der Altsteinzeit trafen – und dass es um eine Partnerschaft auf Augenhöhe ging.

Auch wenn die Schauermärchen vergangener Jahrhunderte das Gegenteil vermuten lassen: »Wahrscheinlich haben die Menschen in der Altsteinzeit ähnlich wie noch die Kulturen der nordamerikanischen Urbevölkerung in den letzten Jahrhunderten Wölfe kaum bejagt.« Das schreibt Kurt Kotrschal, führender Wolfsforscher in Österreich und Gründer und Leiter des Wolf Science Center in Ernstbrunn, in seinem 2016 erschienenen Bestseller »Hund und Mensch«.

Die im Untertitel des Bandes beschworene Seelenverwandtschaft der beiden ändert nichts daran, dass der Mensch im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder Hunde verzehrte oder rituell tötete – während der Wolf im Großen und Ganzen tabu war.

2016 erschien Kurt Kotrschals Bestseller »Hund und Mensch« im Brandstätter Verlag.

Gleich und gleich gesellt sich gern.

Woran das liegt, dafür gibt es zumindest gute Erklärungen. Auch dafür, warum es ausgerechnet der Wolf war, und nicht eines der zahlreichen anderen Wildtiere in ihrer Umgebung, mit dem sich unsere Ahnen vor 35.000 Jahren auf eine intensive Kooperation einließen, dafür gibt es unterschiedliche Thesen. Von Vorteil gewesen sein dürfte, dass es sich beim Menschen wie beim Wolf um einen spezialisierten Laufjäger handelt, der seine Beute nicht bloß bis zu deren Erschöpfung hetzt, sondern mit den eigenen Kräften klug haushaltet in dem er kreativ Jagdtechniken entwickelt und dabei auch mit verteilten Rollen vorgeht. Auch was die soziale Organisation angeht gibt es auffällige Parallelen: In familiär geprägten Rudeln bzw. großfamiliären Clans lebend wird innerhalb der Kleingruppe sehr innig miteinander kooperiert – »und zwar nicht indem sie aufeinander Druck ausüben, sondern vorwiegend aus Freude an der Zusammenarbeit«, beschreibt Wolfsforscher Kotrschal.

Wobei die Gemeinsamkeit sympathische wie weniger sympathische Facetten des Daseins beträfen. So eint Wolf und Mensch die Neigung, Krieg gegen benachbarte Gruppen zu führen. Im nordamerikanischen Yellowstone Nationalpark fällt ein Gutteil der Wölfe Angriffen benachbarter Rudel zum Opfer. Neben Auseinandersetzungen im Grenzbereich zwischen Revieren wurden sogar gezielte Überfälle nachgewiesen. Für die Altsteinzeit gibt es Schätzungen, die davon ausgehen, dass beim homo sapiens derartige Angriffe bis zu 30 Prozent aller Individuen das Leben gekostet haben.

Von wem die ersten Annäherungsversuche ausgingen – ob sich der Wolf zum Menschen gesellte, oder ob der Mensch den Wolf suchte –, ist umstritten. Raymond Coppinger vertritt beispielsweise die Selbstannäherungsthese – glaubt also, dass der Wolf die menschliche Nähe suchte, weil es dort immer etwas zu holen gibt. Sowohl Erik Zimen, als auch Konrad Lorenz sowie dessen Schüler Kotrschal hingegen halten eine gezielte menschennahe Aufzucht von Wölfen durch Menschen für unvermeidlich. Kotrschal verweist darauf, dass auch heute noch in Teilen Neuguineas oder Afrikas kleine Schweine oder Hundewelpen von Menschenfrauen gesäugt und mit deren eigenem Nachwuchs aufgezogen wird. Eine derart enge Bindung, meint Kotrschal, dürfte auch jungen Wölfen ein Grundvertrauen in den Menschen beschert haben. »Es ist vermutlich die einzige Möglichkeit, dass Wölfe menschliche Babies als Teil ihres Clans und nicht als Beute betrachten, wie es lediglich an Menschen gewöhnte Wölfe mit ziemlicher Sicherheit tun würden.« Diese Partnerschaft auf Augenhöhe deuten auch uralte Mythen an, die Wölfe immer wieder als Brüder, Lehrer, Helfer und Partner beschreiben.

Wer hat den ersten Schritt gemacht?

Anfangs als Begleiter der altsteinzeitlichen Jäger und Sammlerinnen wurde der Wolf erst etwa vor 15.000 Jahren zum Hund – als uns die Neolithische Revolution sesshaft und zu Ackerbauern machte. Dass das wiederholt bzw. parallel passierte, wissen wir, weil sich das Genom von Hund und Wolf innerhalb weniger Jahrtausende mehrere Male an unterschiedlichen Orten voneinander trennte. Auch wenn es einen permanenten und bis heute andauernden genetischen Austausch zwischen Wolf und Hund gibt. So stammt etwa das schwarze Fell vieler nordamerikanischer Timberwölfe nachweislich von europäischen Hunden, die in der Eiszeit mit dem Menschen über die Beringstraße von Europa nach Nordamerika kamen. Auch die heutigen italienischen Wölfe tragen einen erheblichen Anteil an Hundegenen.

Lange waren es wolfsähnliche Hunde, mit denen unsere Ahnen zusammenlebten. Eine Vorstellung wie dieses Zusammenleben auch in der Altsteinzeit ausgesehen haben könnte, haben wir durch die noch dokumentierte Lebensweise der Great-Plains-Indianer, einer nomadische Bisonjägerkultur: »Eine typische im Jahresrhythmus zwei Mal abgebaute und verlegte Siedlung bestand aus etwa 100 Tipis, 500 Menschen und 2.000 großen, wolfsähnlichen Hunden.« Die Hunde waren Transporttiere, zogen mit in den Krieg, lebten als lebende Wärmflaschen in den Tipis und machten es unmöglich, dem Lager nachts unbemerkt näher zu kommen. Partner bei der Jagd oder gar Kampfgefährten im Krieg waren diese Hunde allerdings kaum.

Den wirklichen Wandel vom Wolf oder wolfsähnlichen Gefährten zum Hund dürfte erst die Sesshaftwerdung gebracht haben. Und erst die gezielte Zucht mit dem Ziel der Zahmheit hat unsere Hunde hervorgebracht – Jagdhunde, Hirtenhunde, Transporthunde, die allesamt aber erst seit etwa 150 Jahren auch als Rassen beschrieben und strengen Rassemerkmalen unterworfen werden.

Trend Hybride

Bedenklichen Trends wie das in den USA modern gewordene gezielte Kreuzen von Wölfen und Hunden als wolfsähnliche Haustiere zum Trotz ist ein genetischer Austausch zwischen Wolf und Hund – in überschaubarem Ausmaß – natürlich. Zwar werden sogenannte Hybriden – also Kreuzungen – der ersten Generation in Europa bewusst erlegt. Ganz ausschließen lassen sich Paarungen aber nie. »Soll eine Vermischung weitgehend verhindert werden, müssen wir nur für gesunde Wolfsrudel sorgen, indem wir sie in Ruhe lassen«, schreibt Kotrschal. »Denn dann zeigen Wölfe kaum sexuelles Interesse an Hunden und kommen Hunde sexuell kaum an Wölfinnen heran.«

«Hund und Mensch. Das Geheimnis unserer Seelenverwandtschaft« von Kurt Kotrschal ist im Brandstätter Verlag erschienen.

Wer mehr über die Biologie des Wolfes erfahren möchte, dessen Beforschung fördern und dessen Überleben untertstützen, findet auf www.wolfscience.at und www.wwf.at/wolf  die Möglichkeit dazu.

Mit dem Wolf leben lernen

Einst haben wir ihn ausgerottet, dann streng geschützt, jetzt kommt er zurück in unsere Lebensräume. Weil Zusammenleben gelernt sein will, widmet BIORAMA dem Thema Wolf eine Informationsseite – in Kooperation mit dem WWF.

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