»Honeyland«: Ein Film über Wildbienen, Gier und Lebensfreude
Karg wie die Landschaft, honigsatt wie die Waben der Wildbienen: »Honeyland« begleitet das Leben der Imkerin Hatidze im nordmazedonischen Hinterland. Ein Film von alttestamentarischer Wucht, der vor Humor und trotziger Lebensfreude strotzt
»Getrunken wird nur bis 21 Uhr. Sonst verliert man den Verstand.«
– Hatidze Muratova, Imkerin
Nein, das Land des Honigs ist kein Land, in dem Milch und Honig fließen. Auch wenn die Bilder, die das Regieduo Ljubomir Stefanov und Tamara Kotevska in drei Jahren irgendwo im Abseits Nordmazedoniens eingefangen hat, das Leben in seiner vollen Wucht bezeugen und voller existenzieller Pracht sind. »Honeyland« ist ein verlassenes Dorf, in dem nur Hatidze (geboren 1964) geblieben ist, um ihre kranke, bettlägerige und fast blinde Mutter zu pflegen, die ihr Lager in einer baufälligen, zugigen Hütte aus Stein und Lehm, seit drei Jahren nicht verlassen hat.
Honig: die süße Essenz eines sonst kargen Lebens
Die Worte hier draußen sind karg wie das Leben und die Landschaft, deren süße Essenz Hatidze den Wildbienen abtrotzt, deren Honig sie am Markt in der Stadt verkauft, dabei aber darauf achtet, den Tieren selbst genug zum Überleben zu lassen (»Die Hälfte für dich, die Hälfte für mich«). Gesprochen wird ein alter türkischer Dialekt, und nur das, was wirklich erforderlich ist. Es ist ein archaisches Leben ohne Ablenkungen. Das Tiefergehende bricht selten, oft unvermittelt und für uns in Untertiteln hervor. Etwa wenn Hatidze versucht, ihre Mutter zu verstehen und fragt: »Als die Kuppler auf Brautschau kamen, wieso habt ihr niemanden akzeptiert?«
»Honeyland«: Ein Film über das richtige Maß
Die Einsamkeit draußen vor der Hütte wird unterbrochen als eine Wandernomadenfamilie mit ihren sieben Kindern, einer Viehherde und allerhand Geflügel im Gepäck ihres ausrangierter Wohnwagens, auf dem noch das niederländische Länderkürzel klebt, auftaucht. »Es sind Türken!«, berichtet Hatidze ihrer Mutter. Und anfangs freut sie sich über die Gesellschaft, freundet sich mit einem der Buben an. Doch motiviert von einem Geschäftemacher, der im großen Stil Honig kaufen möchte, holt auch der Patriarch der Familie Bienenvölker ins verlassene Dorf, beutet sie aus, sodass seine Bienen bei den Völkern von Hatidze plündern. Die Verzweiflung über den Konflikt spricht Hatidze nicht aus, doch er zeigt sich um ihren Mund und in jeder Furche ihres Gesichts.
Die alte Mutter meint, Gott werde die Ausbeuter schon strafen, alles werde sich lösen, weil es das immer tue. Und es mutet fast biblisch an, als schließlich ein Gutteil der Viehherde der Nachbarfamilie an einer Krankheit verendet und diese schließlich mit Sack und Pack weiterzieht.
Neben den gewaltigen Bildern, die was den Lichteinsatz angeht an die Alten Meister erinnern, ist es vor allem was wir hören, das diesen Film zu einem sinnlichen Erlebnis macht. Tags schwirrt die Luft vor Bienen, nachts zirpen die Grillen und wir hören die Geräusche der Nacht während Hatidze draußen am Feuer oder im Winter am Herd in ihrer zugigen Bleibe sitzt, die wärmende Katze auf dem Schoß. Draußen heulen die Wölfe, ängstlich kläfft Jackie, der Hund.
Wehmut, aber keine Romantik
»Honeyland« wurde vielfach ausgezeichnet und war gleich in zwei Kategorien – Best Documentary und Best Foreign Language Film – für den Oscar nominiert. Es ist ein Film von alttestamentarischer Wucht, aus dem sich, so man das möchte, Gleichnisse fürs eigene Leben ableiten lassen. Die Wehmut scheint legitim, der Romantik aber verwehrt sich dieses Dokument eines Gestern im Heute. Denn natürlich ist »Honeyland« nicht nur ein Abgesang auf die Einfachheit und ein Lob der – zumindest zeitweiligen – Einsamkeit.
Dieser Film zeigt eine vermutlich dem Untergang geweihte Welt. Denn die Republik Nordmazedonien hat bereits 2004 einen Beitrittsantrag an die Europäische Union gestellt, über den seit Juni 2019 konkret verhandelt wird – und der an Modernisierungsmaßnahmen geknüpft ist.
Sehen Sie sich das an, am besten im Kino.
Zu sehen auf diversen Streaming-Plattformen. Am Montag, den 22. Februar 2021 zeigt 3Sat den Film um 22.30 Uhr.