Vom Aussteigen und Ankommen

Es geht auch anders: Das Hofkollektiv Wieserhoisl hat sich für ein autarkes und nachhaltiges Leben auf dem Bauernhof entschieden. Seit vier Jahren leben, essen und arbeiten acht Erwachsene zusammen und engagieren sich für mehr biologische Vielfalt. Das Kollektiv wächst, der Ort ist aber begrenzt. Eine Bestandsaufnahme.

Ein Bauernhof am Rande einer kleinen Gemeinde in der Steiermark, 45 Kilometer südwestlich von Graz. Die Straße, die zum Hof führt, ist schmal und steil. Die Gegend wirkt menschenleer und es lässt sich kaum erahnen, dass nach der Abzweigung auf einen rumpligen Waldweg ein alternatives Idyll wartet. Trotz Winter ist es frühlingshaft warm und auf dem zwölf Hektar großen Grundstück mit Wald wuselt das Leben. Eine Schar Gänse watschelt zwischen Traktor und Wiese umher, Schafe blöken im Stall, Hunde bellen und rund um den Gemüsegarten und das kleine Gewächshaus gackern Hühner. Umrahmt wird die Atmosphäre hoch oben auf dem Berghang durch den Panoramablick auf die 8.000-Einwohner-Gemeinde Deutschlandsberg. Eigentlich die perfekte Kulisse für einen Heimatfilm, wäre da nicht auf dem Stall ein weißes Transparent mit der Aufschrift »No border, no nation« (Keine Grenzen, keine Nation). Denn anstatt einer hiesigen Großfamilie lebt hier seit Anfang 2008 das Hofkollektiv Wieserhoisl: Acht Erwachsene und zwei Kleinkinder sind gemeinsam auf den Bauernhof gezogen, um sich selbst zu versorgen und ohne Hierarchien zu leben.

Das gute Leben

Elke und Katharina sind zwei von den Erwachsenen. Sie sitzen am großen dunklen Holztisch in der üppigen Gemeinschaftsküche und erzählen von den Erfahrungen als Teil ihrer selbstgebauten Parallelgesellschaft. »In einem Kollektiv zu leben kann sehr mühsam sein, aber im Endeffekt ist es so wie das Leben in einer Großfamilie«, sagt Elke, während sie ihren Gipsfuß, den sie sich beim Joggen zugezogen hat, auf einen Holzsessel stützt. Beide widersprechen dem Bild, das gerne auf Kollektiv-Mitglieder projiziert wird. Anstatt wie anno ’68 im Batik-Shirt freie Liebe zu propagieren, wirken die blonde Brillenträgerin Katharina und Elke mit ihrer brünetten Kurzhaarfrisur sehr nüchtern und bodenständig. Immer wieder müssen sie herzhaft lachen, wenn ihnen eine klischeehafte Frage, wie etwa »Habt ihr auch sowas wie eine Waschmaschine?« gestellt wird. Sie teilen sich drei Autos und – je nach persönlicher Präferenz – bauen die einen Obst, Gemüse und Kräuter an, während sich die anderen um Geflügel und Schafe kümmern. Sie produzieren für die Selbstversorgung, den Überschuss verteilen sie an Familienangehörige oder an städtische Netzwerke, die sich für eine regionale Lebensmittelverteilung aus naturnaher Produktion engagieren.

Neuzeit-Bauern

Die Gemeinschaft, die sonst noch aus drei Paaren besteht, hat sich durch das studentisch selbstverwaltete Studentenbeisl TÜWI an der Universität für Bodenkultur in Wien kennengelernt. Jeder für sich wollte danach auch beruflich mit Landwirtschaft arbeiten, aber nicht im traditionellen Sinn. Viel eher wollten sie aus dem gängigen Bewertungssystem von Arbeit und Zusammenleben ausbrechen und in »bedürfnisorientierter Autonomie leben«, wie sie es in einer Selbstdarstellung beschreiben. Durch familiäre Beziehungen hatten die einen bereits einen Hof gefunden, während Elke und Katharina zur gleichen Zeit gerade einen suchten. Ohne viel zu grübeln zogen sie zusammen und eröffneten ein gemeinschaftliches Konto und eine Kasse. »Am Anfang gilt es, eine Gesprächsbasis aufzubauen und eine gemeinsame Vision zu definieren. Hat man das erst mal geschafft, führen pragmatische Themen wieder zu Spannungen, wie etwa, ob wir mit Medien reden oder wer von uns den Geschirrspüler repariert«, sagt Elke. Es sei aber ein Klischee, dass die einzelnen Mitglieder ihre Individualität in einer Gemeinschaft verlieren, sondern es gehe einfach darum, flexibler zu werden. »Wer nicht gern redet oder diskutiert, tut sich in einer Gemeinschaft sehr schwer. Daran, und dass Prozesse länger dauern, muss man sich gewöhnen.« Damit auch allen Themen genügend Platz eingeräumt wird, gibt es neben einem wöchentlichen Plenum zwei Mal im Monat ein Organisations- und ein Gruppendynamiktreffen. Letzteres wird Emoplenum genannt und soll zwischenmenschliche oder persönliche Probleme lösen. »Ich war eingangs sehr nervös wegen diesem Experiment. Mich stressten die finanziellen Details und ich hatte Angst, mit dieser solidarischen Ökonomie nicht zurechtzukommen. Es hat sich bis jetzt aber noch keine Angst bewahrheitet. Ich wurde eher romantisiert als entromantisiert, seitdem ich hier wohne«, erzählt Katharina, die ebenso wie zwei Mitbewohner auch außerhalb des Kollektivs einem Erwerb nachgeht. »Lohnarbeit zählt bei uns gleichviel wie die landwirtschaftliche Arbeit oder gesellschaftspolitische Tätigkeiten.«

Gemeineigentum

Das Hofkollektiv Wieserhoisl versteht sich nicht als abgekapseltes System, sondern als agrarpolitischer »Teil einer internationalen Bewegung von Höfen, Initiativen und Projekten, die für eine bessere Welt kämpfen«. So bekochten sie 2011 um die 400 Teilnehmer mit der Volxküche Naschkatze beim Nyeleni Forum für Ernährungssouveränität in Krems oder demonstrierten vergangenes Jahr in Form einer Ernteaktion von Kartoffeln, wie vielfältig die Natur ist: »Es gibt weit über 35 Sorten, kennen tun wir im Supermarkt aber nur zwei: speckig und mehlig.« Durch ihr politisches Engagement und die solidarische Ökonomie könnten sie eigentlich das Wort Kommune anstelle von Kollektiv für sich beanspruchen. »Das trauen wir uns nicht. Ich habe keine Lust, jedem zu erklären, dass wir kein Sex-and-drugs-Leben führen«, sagt Katharina, die als Lehrerin an einer landwirtschaftlichen Schule öfters mit Klischeevorstellungen konfrontiert wird. »Die Gesellschaft scheint für das Wort Kommune noch nicht bereit zu sein.«

Ein heikles Thema ist auch die Finanzierung des Ankaufs der Liegenschaft als Voraussetzung für die Lösung der dringenden Platzprobleme. Bei 120 m2 Wohnfläche leben derzeit vier Personen in Bau- beziehungsweise Zirkuswägen neben dem Wohnhaus. »Einerseits müssten wir Geld für einen Kauf sparen, andererseits sollten wir dringend am Haus Reparaturen vornehmen, aus- und umbauen. Das ist ein ständiges Abwägen, was Vorrang hat«, sagt Elke. Daher sind sie im Moment am Aufbau einer Finanzierungskampagne, um Menschen zu finden die bereit sind, den Kauf des Hofes finanziell zu unterstützen.

Im Hofkollektiv steigen immer wieder Menschen ein oder aus, jedoch sind mehr als die Hälfte der Bewohner seit Anfang an dabei. Ein Grund dafür ist unter anderem auch, dass bestehende Partnerschaften aufgelöst oder neu eingegangen werden. »Niemand weiß, wie sein Lebensplan in ein paar Jahren aussehen wird. Auch weil zwei Paare Kinder haben, die einmal in eine Schule gehen müssen. Aber sowas bereitet uns kein Unbehagen, sondern wird akzeptiert. Wir sind mit den Jahren gelassener geworden«, sagt Elke. Eigentlich das einzige, was die beiden einstimmig am Leben in der Pampa hin und wieder stört, ist das Gefühl des Abgeschottetseins vom urbanen Leben. »Man stellt sich sozial ins Abseits, wenn man aufs Land zieht«, sagt Katharina. »Während meine Freunde in Wien feiern, sitze ich oft an einem Samstagabend da und nähe vor mich hin. Oder ich wasche meine Wäsche. Wir haben nämlich eine Maschine.«

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