Nachhaltige Entwicklung weltweit: „Das Wissen ist da!“
Wir haben uns mit Arab Hoballah vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen über die Verbreitung von Nachhaltigkeitswissen in Schwellen- und Entwicklungsländern unterhalten.
Arab Hoballah, Leiter der Abteilung für nachhaltige Städte, Produktion und Konsum in der UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen), ist pessimistisch. Das betont er immer wieder auf seinen zahlreichen Vorträgen. Der Mann muss es wissen, er arbeitet seit Jahren im Bereich Nachhaltigkeit, unter anderem bei der UNO und der Weltbank. Ebenso lange tourt er durch die Welt, versucht sein Wissen zu vermitteln und Projekte zu lancieren. Arab Houballah betreut Projekte zur Förderung von besserem Umweltmanagement und einer nachhaltigen Stadtplanung am ganzen Erdball. Er fordert eine stärkere Einbindung der Entwicklungsländer in die Klimapolitik und die Umsetzung von Projekten auf lokaler, kommunaler Ebene. Er war so nett, uns einen kleinen Überblick über seine Perspektive und sein Schaffen zu geben.
Biorama: Herr Houballah, seit den 90er Jahren gab es ja einen immer eindeutigeren Wechsel in der Entwicklungshilfe zu einer vermehrten Einbeziehung der Entwicklungsländer. Ist in der Umweltpolitik, vor allem von Kommunen, ein ähnliches Bestreben zum horizontalen Austausch von Wissen bemerkbar?
Hoballah: Es gibt einen Interessenskonflikt. Man muss schon den Unterschied sehen: Der Westen ist natürlich eher an seinem eigenen Wohlergehen interessiert. Es ist auch ein anderer Zugang. Gerade die Themen der Stadtentwicklung sind in den meisten Fällen nicht mit denen von Entwicklungsländern vergleichbar. Im Westen soll der Komfort erhöht werden, in Entwicklungsländern will der Westen aber gleich den ganzen Lebensstil ändern. Das funktioniert natürlich nicht. Man muss schon sehr gut überzeugen. Man kann nicht zu den Menschen hingehen und ihnen sagen, dass sie keine Autos kaufen sollen. Geht nicht. Sie sehen ja, dass du ein Auto hast. Die Chance ist aber, dass der öffentliche Transport in Städten der sich entwickelnden Welt oft noch nicht gut ausgebaut ist. Gerade in den Schwellenländern lässt sich hier sehr viel machen.
Biorama: Sie meinen, dass bis 2050 60-80 Prozent der Gebäude weltweit neu gebaut werden, die globale Mittelklasse um 2-3 Milliarden Menschen wächst. Dieses Wachstum spielt sich natürlich nicht im Westen ab, sondern in Afrika und Asien. Jetzt baut und plant der Westen seine Städte schon auf einem hohen Standard, etwa bezüglich des öffentlichen Verkehrs. In Wien wurde etwa bei der Entwicklung der Seestadt Aspern zuerst die U-Bahn gebaut. Sehen Sie ähnliche Ansätze auch in Asien oder Afrika?
Hoballah: Leider nein. Es gibt ein paar spannende Pilotprojekte. Auf jedes Pilotprojekt gibt es aber, sagen wir 1000, falsche Projekte. Das ist ein verheerender Maßstab. Nehmen wir Masdar City, das ist ein Paradebeispiel dafür, wie diese Dynamik funktioniert. Städte wie Masdar sind aber leider nur Labore. Diese Modelle können nicht in einem großen Maßstab realisiert werden, da sie strikt auf eine gewisse Größe ausgelegt sind.
Biorama: Sie meinen, diese Städte können nicht natürlich wachsen?
Hoballah: Genau. Das ist eine Frage der Strategie. Natürlich kann man nicht alle Städte sofort ändern, aber man braucht zumindest eine gute Strategie. Das Problem in der Stadtplanung ist, dass die Transformationsperiode eine lange ist. Wenn die Gedanken der Planer und Politiker für eine veränderte Stadtplanung und Bauweise bereit sind, muss der Markt schon bereitstehen. Werden die Architekten und Stadtplaner auf den Universitäten in diese Richtung ausgebildet? Sind lokale Produkte für Green Buildings zu einem marktgerechten Preis verfügbar? Oder muss man externe Firmen und Fachkräfte importieren? Das Fundament für die Entwicklung muss einfach mitgelegt werden.
Biorama: Nun ist aber ein Ende der Laboratorien nicht wirklich absehbar, wie Projekte in China, Masdar City oder auch in Berlin zeigen. Brauchen wir diese Stadtplanungs-Laboratorien eigentlich noch? Stehen das Wissen und die Technologien nicht schon bereit?
Hoballah: Wir wissen schon genug, um diese neuen Städte flächendeckend zu bauen. Auf jeden Fall. Ich habe eingangs erwähnt, dass ich sehr pessimistisch bin, aber ich arbeite weiter, da ich der Überzeugung bin, dass eine Veränderung manchmal auch sehr rasch geschehen kann. Aber dafür benötigt man gute Visionen und gute Politiker, die sagen, jetzt reichts, wir setzen das jetzt um. Und das kann in Ländern wie etwa China leichter geschehen als anderswo. Man hat noch immer eine starke Regierung. Gerade China hat in seinen letzten beiden 5-Jahres-Plänen recht ambitionierte Klimaziele formuliert, und an denen arbeiten sie auch wirklich. China will in nächster Zeit die wichtigste Weltmacht werden. Sie haben verstanden, dass sie, wenn sie das erreichen wollen, in Energiereduktion, nachhaltige Infrastruktur und Innovation investieren müssen. Aufgrund der großen Einwohnerzahlen können Veränderungen in China einen großen Einfluss haben. Ich bin aber nicht naiv, es wird seine Zeit dauern.
Biorama: Auch aufgrund der starken Position von Tech-Firmen hört man in Debatten über Nachhaltigkeit und Innovation oft nur von technischen Lösungen. Wenn Städte so schnell wachsen, wie können die sozialen Netzwerke in einer Stadt mitwachsen, wie kann die Gesellschaft mitgebaut werden? Diese muss die Lösungen ja implementieren, mittragen und vielfach selbst entwickeln. Besteht nicht die Gefahr, dass die technologische Stadtplanung die Bevölkerung von Veränderungsprozessen ausschließt und sich die Stadtentwicklung von ihren BewohnerInnen entkoppelt?
Hoballah: Was man in China und Europa ein bisschen übersieht, ist Afrika. Afrika investiert in Innovation, die Leute dort sind immer gebildeter, es gibt eine Mittelklasse, die stark wächst und sich sehr um Nachhaltigkeitsagenden kümmert. Und gerade in Afrika sieht man das große Potential an sozialen Netzwerken, da dort Social Entrepreneurship wirklich boomt. Gemeinschaftsarbeit boomt. Meine Tochter hat die Plattform MakeSense aufgebaut, wo Menschen etwa in Indonesien, Mexiko, Senegal ein wachsendes Netzwerk pflegen, wo gute Ideen ausgetauscht und umgesetzt werden. Städte sind immer in gewisser Weise Laboratorien und sollen nicht Städte wie Masdar sein, die rein auf Technologie basieren. Viel besser wäre eine Mischung aus einer mündigen Gesellschaft und Technologie.
Biorama: Aber in all den innovativen Stadtlaboratorien liegt doch ein Fehler im Denkansatz von vielen urbanen Nachhaltigkeitskonzepten: Sie sind oftmals von der Politik angeordnet und lassen der Bevölkerung wenig Spielraum, Veränderung selbst mitzutragen. Wenn ich mein fahrerloses öffentliches Verkehrssystem habe, dass mich einfach von A nach B bringt, habe ich doch keine echte soziale Innovation.
Hoballah: Diese Veränderung der Gesellschaft funktioniert sicher nicht in Masdar, aber dafür etwa in Bogotá, in Teilen von Shanghai oder Singapur. In einzelnen Stadtteilen, in denen die Einwohner Innovationen ganz stark mittragen und beeinflussen. Natürlich sind sie von der Politik abhängig, aber es gibt in diesen Stadtteilen eine starke Selbstverantwortung. Darauf bauen gute Konzepte wie die District-Energy-Systems auf. Das heißt, dass etwa Wasser und Strom nicht nur für ein Gebäude, sondern für eine Nachbarschaft gedacht und geplant werden. Damit wird ein viel ausbalanciertes System geschaffen. Und das funktioniert in Gemeinschaften für bis zu 50.000 Personen. Das wird jetzt auch etwa schon in Indien und Afrika umgesetzt. Leider besitzen die betroffenen Menschen aber oft nicht die Information, die ihrem Kontext angepasst ist. Man muss sich besser vernetzen. In chinesischen Kleinstädten von ca. 3 Millionen Einwohnern gibt es etwa einige funktionierende Beispiele. Danke an das Smartphone, das trägt ganz viel zum Community-Building bei.
Biorama: Wenn Sie über das Smartphone und Communitybuilding sprechen, klingt es glatt so, als ob Sie Ihren Pessimismus in Optimismus verwandeln.
Hoballah: Darum arbeite ich noch! Ich habe 15 Jahre daran gearbeitet, das Wissen über nachhaltiges Planen, Produzieren und Konsumieren zu sammeln und zu verbreiten. Ich weiß, es kann funktionieren. Es gibt Beispiele für alle relevanten Bereiche in aller Welt, für ganz viele unterschiedliche Situationen und Szenarien. Wir müssen einfach die Weltgemeinschaft davon überzeugen, dass es umsetzbar ist. Ich habe mein Arbeitsprogramm jetzt umgestellt, wir wollen nicht mehr sammeln und vernetzen. Das Wissen ist da! Wir wollen abliefern, umsetzen. Wir arbeiten mit Gemeinschaften und Politikern auf der ganzen Welt an der Umsetzung von konkreten Projekten. Mittlerweile ist die Aufmerksamkeit für das Nachhaltigkeitsthema in der Weltpolitik so präsent, dass Begriffe, die vor 20 Jahren noch kein Politiker gekannt hat, nun nicht mehr erklärt werden müssen. Es ist ein Bewusstsein da. Wir haben unglaublich viel Vertrauen hergestellt und Begriffe neu besetzt. Wir haben bewiesen, dass eine Implementierung von Programmen Sinn macht. Es hat mit einer starken Position des Westens begonnen, aber das war einmal und kann auch so nicht mehr verkauft werden. Durch das Internet sind Projekte aus Ländern ohne große Marketingmaschine im Hintergrund plötzlich auch sichtbar. Und oftmals stehen Entwicklungsländer vor Herausforderungen, die durch Zusammenarbeit mit einem anderen Entwicklungsland viel besser gelöst werden können, als durch eine technologische Lösung eines westlichen Konzerns oder einer westlichen Denkweise. Es geht um den Zugang zu Best-Case-Szenarien. Und der ist in den letzten 5 Jahren unglaublich schnell angestiegen.
Biorama: Man muss aber oft schon sehr genau suchen, um differenzierte Projekte zu finden. Die Suchalgorithmen im Internet tragen ja momentan eigentlich zu einer Inselbildung des Wissens bei.
Hoballah: Das ist auch nicht gut. Aber trotzdem können heute schon viel mehr Dinge als früher, durch den besseren Zugang zu Information, recherchiert werden. Das Problem ist eher der Moment nach Erhalt von Information. Was mache ich jetzt mit der Information. Was mache ich, wenn ich das lokale Wissen oder die Ressourcen zur Umsetzung nicht habe. Wenn die Bevölkerung die Maßnahmen nicht annimmt. Wenn sich die Bevölkerung eine Maßnahme nicht leisten kann. Da kommt das Bankwesen ins Spiel. Das Darlehenswesen muss verändert werden. Dafür muss man die Leute in den Banken überzeugen, dass sich ein Darlehen für eine Innovation rechnet. Und das tut es, man muss es ihnen nur zeigen. Aber sie wissen es oftmals einfach nicht. Man muss einfach Erfolge aufzeigen, Kommunen und Projekten helfen, sie begleiten, aber es nicht für sie erledigen. Sonst lernen sie nicht. Dafür muss man auch Lehrpläne an Universitäten ändern. Ich habe gesehen, wie Studenten in Universitäten nach Vorträgen von mir die Themen ihrer Masterarbeiten geändert haben, weil ihnen neue, unbekannte Perspektiven aufgezeigt wurden. Also braucht man oft nur einen kleinen Anstoß, und schon kommt was ins Rollen.
Biorama: Das klingt immer noch nach einer massiven Herausforderung!
Hoballah: Ist es auch! Sonst würden wir nicht gerade miteinander sprechen. Wir müssen die Hebel endlich besser in Bewegung setzen und Veränderungsprozesse in der gesamten Gesellschaft etablieren. Firmen werden, wenn sie den Bedarf der Konsumenten spüren, ihre Produkte an einen neuen Markt adaptieren. Ein wichtiger Hebel ist hierbei die lokale Politik, die klare Handlungen setzen muss. Die Unternehmen werden nachziehen, sonst würden sie Marktanteile verlieren. Es muss noch viel mehr Bewusstsein geben. Ich kann es nur noch einmal sagen, mit dem, was wir jetzt schon haben und wissen, können wir bereits sehr viel verbessern. Wir müssen nur anfangen. Ich sage also dass ich pessimistisch bin, da ich das enorme Desaster vor uns sehe. Aber wir können noch etwas machen. Wenn wir wirklich dazu gezwungen sind, können wir uns schnell adaptieren, die Lösungen existieren bereits.
Das Interview wurde auf Englisch geführt und übersetzt.