Kinderbuch-Tipp – Beatrice die Furchtlose
Wo haben sich die Heldinnen in der Kinderliteratur versteckt? Zu finden gibt es schon ein paar, zum Beispiel die coole „Beatrice die Furchtlose“, aber wir könnten auf alle Fälle noch einige sympathische starke Frauen mehr gebrauchen.
Selbst ein Buch zu schreiben ist die eine Möglichkeit. Die andere ist, namhafte Autoren darum zu bitten, moderne Heldinnen ins Leben zu rufen. So kam der französische Autor Matthieu Sylvander jedenfalls auf die Idee, eine etwas andere Protagonistin zum Leben zu erwecken. Ihm wurde eines Tages nämlich vorgeworfen, in seinen Geschichten kämen keine Heldinnen vor. Sylvander nahm diese Kritik zum Anlass, ein witziges Buch mit verdrehten Rollenbildern über die coole Beatrice, die ihren Beinamen „die Furchtlose“ selbst gewählt hat, zu schreiben.
„An einem schönen Morgen ritt Beatrice die Furchtlose frei wie der Wind und auf der Suche nach neuen Heldentaten pfeifend über die Landstraße.“ Sie rettet eine Prinzessin, die ein grünes Seidenkleid trägt und auf dem Weg zum Schloss der Königin von einem Drachen überrascht worden war. Die Königin hatte zu einem regelrechten Casting aufgerufen, da sie ihren Sohn verheiraten möchte. Doch der hat angeblich ein mysteriöses Leiden. Wenn das nicht ein interessanter Fall für Beatrice ist! Auf dem Weg zum Schloss muss sie die grüne Prinzessin, der zuerst eine Räuberhauptfrau mit mehreren Räuberinnen und dann ein reißender Fluss in die Quere gekommen waren, jedoch noch zwei Mal retten.
Vor dem Sitz der Königin erwartet Beatrice ein unheimliches Bild: „Beatrice stand in den Steigbügeln auf, um den Horizont in Augenschein zu nehmen. Schnell war das Problem klar: Die Straße war vollkommen verstopft von Dutzenden von Prinzessinnen in allen Farben. Hinter einigen Hügeln erkannte man die Umrisse des Schlosses.“ Die Prinzessinnen sind in rosa, blaue oder malvefarbene Kleider gehüllt und schmücken sich mit ihren geschlechterstereotypen Begabungen: Schuhe kaufen, Frisieren, Sticken, Tanzen, Zeichnen, und einfach nur schön sein. Beatrice bezweifelt, dass sie den Prinzen jemals treffen wird, denn Rüschenkleider sind nicht ihr Ding. Als sie in der Schlange wartet, isst sie hungrig ihre Stullen und wird von den wartenden mageren Prinzessinnen spöttisch gemustert. Schließlich – nachdem alle Bewerberinnen vor ihr fortgeschickt worden waren – darf Beatrice zur Königin, die unvermutet beschließt, die Heldin zum Prinzen zu lassen. Der entpuppt sich als weggetretener Computernerd, Beatrice reißt die Sicherungen heraus und reitet von dannen. „Frische Luft, viel Obst“ brauche der Prinz jetzt, rät sie der Königin noch. Ist sie dann doch bemutternd, die starke Heldin?
Das zweite Abenteuer für die furchtlose Beatrice wartet bereits: Sie muss ein Dorf von einem dämonischen Biest, das sich als der Teufel entlarvt, befreien. Auch diese Herausforderung wird die Heldin selbstverständlich meistern.
Matthieu Sylvander hat Abenteuergeschichten verfasst, in denen die männlichen Figuren entweder gar nicht existent oder zu bedauern sind. Und Beatrice? Die hätte das Zeug dazu, in einer Reihe mit den Helden aus den altbekannten Sagen zu stehen. Auf ihrer – natürlich weiblichen – Streitrössin Veronique sitzend. Frech, draufgängerisch, schlagfertig, selbstsicher, intelligent und enorm erfolgreich – und in gewissen Situatinen dann doch ein wenig weiblicher als ihre andersgeschlechtlichen Artgenossen. Dieses Buch gefällt Mädchen, die sich mit Heldensagen auskennen, mit Sicherheit, und auch Erwachsenen mit feministischer Grundhaltung, die Märchen mögen. Das Gefühl, etwas Besonderes in Händen zu halten, sollte allerdings doch auch nachdenklich stimmen. Wir brauchen unbedingt noch einige Beatrices mehr.
„Beatrice die Furchtlose“ von Matthieu Sylvander und Perceval Barrier (Rowohlt), 96 S., ab 8 J. Gedruckt in Deutschland (Grafisches Centrum Cuno, Calbe) auf Papier aus verantwortungsvollen Quellen (FSC-Mix Label).