Handel im Wandel
Auch der Kommerz funktioniert nach den Prinzipien der Demokratie und jeder Einkauf ist eine Stimmabgabe. Wo also einkaufen?
Kaufen heißt Abstimmen – der Konsument hat die Wahl und stimmt täglich darüber ab, was er gut findet und was nicht, was er unterstützt und was er links liegen lässt. Umso bedenklicher, dass sich Millionen Menschen täglich für Massenprodukte entscheiden. Wie auf der Einkaufsstraße reiht sich auch im Internet eine Handelskette neben die andere und die guten kleinen Einzelhändler werden immer tiefer in ihre Nische gedrängt.
Handel ist Demokratie – wer lässt sich zur Wahl aufstellen
In den Innenstädten verlieren Einzelhändler den Kampf gegen Handelsketten und auch im Internet sind E-Commerce-Giganten wie Amazon und Zalando die großen Verdränger. Wer sich für Handgemachtes, Einzigartiges oder fair Produziertes interessiert, muss erst mal suchen. In Wien haben sich aber schon zahlreiche kleine Unternehmen gegründet, die mit Einzelstücken einen Kontrast zum herkömmlichen Angebot bieten wollen. Nicht immer ganz einfach sind diese Labels auch zu finden, sie vertreiben ihre Ware oft in Abteilungen größerer Shops oder gemeinsam mit anderen Start-ups. Ein eigenes Geschäft können sich die wenigsten leisten, schon gar nicht am Anfang. Also muss eben der Online-Shop her. Der kostet fast nichts und ist von einem befreundeten Webdesigner, der in jedem Freundeskreis zu finden sein sollte, auch recht schnell aufgesetzt. Hanna Oldofredi verkauft handgemachten Schmuck über ihr Label Luftkuss. Nach einiger Zeit auf Märkten hat sie sich für die Selbständigkeit und einen Online-Shop entschieden. »Beruflich hat mich dieses Wagnis sehr bereichert – privat hat es mich schon oft an meine Grenzen gebracht«.
Be Your Own Boss – Wirtschaft von unten
Die benutzten Materialien, das Handwerkliche und die Leidenschaft in den Einzelstücken lassen die Produkte wie die warmen Semmeln weggehen. Auch wenn nicht immer ganz klar ist, ob die Silberkette aus fairem Handel stammt oder die Stoffe aus biologischem Anbau, das Ehrliche ist es, was zählt. Das Echte ist wieder in, die Oma wird zum Idol einer ganzen Generation – und die hätte doch auch nie etwas gekauft, um es im nächsten Sommer wieder wegzuwerfen. Wieso also altes Gewebe wegwerfen, wenn man daraus schicke Taschen schneidern kann?
Jonathan Holl und Cornelia Malli von Fallmasche verkaufen Taschen aus alten Planen, Luftmatratzen oder Markisen. Auch wenn sie einen Online-Shop betreiben, verkaufen sie den Großteil ihrer Produkte über die Partner-Läden. »Für unsere Kunden ist es wichtig, die Taschenunikate mit allen Sinnen wahrzunehmen«, so Jonathan Holl. Die Website mit dem Online-Shop sei aber das wichtigste Instrument, um überhaupt bekannt zu werden. Dort findet man nicht nur alle Produkte, sondern auch die Info, in welchen Geschäften die Taschen direkt verkauft werden.
Auch Hanna Oldofredi begann mit Direktverkauf auf Märkten und im kleinen Kreis, was sie in dieser Form auch empfehlen würde. »Auf Märkten lernt man viel, bekommt ein Gefühl dafür, was den Menschen gefällt und der Arbeitsaufwand bleibt immer überschaubar. Für alle, die sich ihr Hobby eines Tages zum Beruf machen wollen – Online-Shop«, ist sich Oldofredi sicher. Der Weg in die Selbständigkeit wirkt gerade in Österreich und Deutschland oft hürdenreich. »Hürden gibt’s immer und überall, doch sie sind bewältigbar« – damit möchten die Gründer von Fallmasche allen jungen Designern Mut machen, ein Label zu gründen. »Selbstständig sein ist toll. Ich finde, jeder der der Welt etwas zu geben hat und den Reiz schon einmal verspürt hat, sollte es wagen«, sagt auch Oldofredi.
Wer mit dem System nicht zufrieden ist, kann selbst ein neues schaffen
Viele Unternehmer beginnen mit dieser Einstellung – man findet nicht die Produkte, die man gern kaufen würde und so schließt man diese Lücke eben selbst. Der Münchner Onlinehandel Sansibio.de vertreibt Bio-Lebensmittel wie ein Bio-Supermarkt, nur eben online. »Wir wollten einen Shop, in dem man alles mit gutem Gewissen kaufen kann«, sagt Bettina Büttner von Sansibio. Gleichzeitig wollten sie sich nicht an einen Ort binden: »Obwohl immer mehr Biomärkte öffnen, gibt es jede Menge Ortschaften, die noch keinen Bioladen haben. Die Bewohner haben dann gar nicht die Möglichkeit, biologische Produkte zu kaufen. Der Online-Einkauf ist praktisch und überzeugt vielleicht den einen oder anderen, von der konventionellen Ware abzuspringen und online Bioware zu bestellen.« Online Lebensmittel zu kaufen wirkt bei uns noch ein wenig komisch. In Frankreich oder England sei das aber schon relativ normal, erklärt Büttner, die sich in ihrer Diplomarbeit mit E-Commerce im Lebensmittelhandel auseinandergesetzt hat. Sie geht davon aus, dass der Lebensmittelhandel im Netz auch in Deutschland und Österreich beliebter werden wird.
Und dann kann niemand sagen: »Ich geh nicht wählen«
Eine bessere Welt kann man sich nicht kaufen, und es wäre naiv zu glauben, der Konsum einiger weniger Überzeugungstäter werde die Welt retten. Ein bisschen Idealismus und demokratisches Bewusstsein sind aber auch beim Shopping kein Fehler. Würden alle bewusst einkaufen, wäre die Wirkung gigantisch, denn: die Wahlbeteiligung beim Konsum liegt bei 100 Prozent. Dem entkommt nicht einmal der härteste Anti-Kapitalist und Demokratie-Kritiker. Klar, bewusst einkaufen ist am Anfang hart und erfordert ein wenig Recherche. Vielleicht kommt es einem auch wie Verzicht vor, wenn sich die bunten Sachen in den ersten Reihen der Konsumwelt so schön präsentieren. Schaut man aber ein wenig hinter die Fassaden der Massenprodukte, tut sich eine faszinierende Welt auf, in der Handwerk und persönliche Auswahl mit Idealismus verschmelzen.