Gugelhupf und Konsorten
Zurück an die Tafel!
Für das, was es ist, ist der Name ein Witz. »Mehlspeise« muss man sich als Wort einmal auf der Zunge zergehen lassen. »Mehl« ist weder als Wort noch als Zutat besonders sexy und »Speise« ist eigentlich fast so schlimm wie »lecker«. Mit »Mehlspeise« haben wir ÖsterreicherInnen jedenfalls nicht gerade eine Glanzleistung in Sachen Namensfindung hingelegt. So viel steht fest. Denn was dahintersteckt, ist köstlich, delikat, vielfältig und größtenteils verführerisch: Apfelstrudel, Sachertorte, Brandteigkrapfen, Gugelhupf, Powidltatschkerl oder Salzburger Nockerl. Und das ist nur die Spitze des Zuckerbergs. Wir haben uns ein wenig in der Welt des süßen Handwerks umgesehen, in ihrer Geschichte gegraben und versucht herauszufinden, ob Österreich immer noch das Mehlspeisparadies ist, das es einst war.
Geht man bei den Rezeptsammlungen zurück ins Zeitalter des Barock, wird man unter dem Stichwort »Mehlspeißen« Gerichte finden, die man heute dort vergeblich sucht. Unter dem Begriff wurden Fastensurrogate zusammengefasst. Also waren dort auch salzige Suppeneinlagen wie Hirnschöberl oder Leberprofesen zu finden. Etwa ab Mitte des 16. Jahrhunderts wurden Speisen aus Mehl zum Hauptgericht. Es galt, den Brei, der im Mittelalter im Zentrum der Mahlzeit stand, in feste Form zu bringen. In Mitteleuropa waren das Nocken und (vor allem) Knödel. Die süße Richtung und damit die Grundlage der österreichischen Mehlspeisküche entwickelte sich erst danach und langsam. Mit dem Aufkommen der großen Rübenzuckerfabriken am Anfang des 19. Jahrhunderts begannen böhmische Köchinnen damit, die Grundlage des österreichischen Mehlspeiswunders zu legen. Die Basis dieses Innovationsschubs war aber immer noch der Knödel. Die Frauen drehten Mohn-, Topfen, Marillen– und Zwetschkenknödel, und die Mehlspeise mutierte zum Dessert. Ganz findige Böhmerwälderinnen entfernten bei den Zwetschken oder Marillen den Kern und ersetzten ihn durch eine andere neue Erfindung – den Zuckerwürfel. Der wurde 1842 von einem Österreicher in Datschitz in Mähren erfunden. Mehr oder weniger zufällig, wie so oft. Jedenfalls stand die noch junge österreichische Mehlspeisküche auf drei soliden Säulen: dem Einfallsreichtum der böhmischen Köchinnen, der aufkommenden und stattlich großen Rübenzuckerindustrie und dem Zuckerfetisch des kaiserlichen Hofes. Kein anderer Handwerkszweig hatte auch nur eine annähernd so hohe Reputation wie die k. & k. Hofzuckerbäcker. Konditoreien und Manufakturen wie Demel (am Wiener Michaelertor), Gerstner (neben der Staatsoper) oder Zauner (in Bad Ischl, der Sommerfrische des Kaisers) wurden zu Nationalheiligtümern und sind es heute noch.
Krumbirngendarmen und Moosbeerpascher
Genug der Geschichte. Wenden wir uns den Orten, Regionen und Gegenden zu. Nichts zeigt die Breite und Vielfalt der österreichischen Mehlspeiskultur klarer und deutlicher als eine Reise quer durchs Land. Bei den BurgenländerInnen ist der Einfluss Ungarns spürbar. In keinem anderen Bundesland haben Wirtshäuser so oft die deftig-süßen Somlauer Nockerl auf der Karte stehen wie im Burgenland. Dabei sind die Beliebtheit und Karriere dieses Gerichts kaum nachzuvollziehen. Meist in altem Schlagobers und billiger Schokosauce ertränkter Biskuit mit wenig delikater Puddingfüllung. Wenn schon der Blick nach Ungarn, dann bitte die Gundel-Palatschinke mit ihrer eleganten Nuss- und Rum-Rosinen-Füllung und einer Garnitur aus karamellisierten Walnüssen. Volkstümlicher sind da die Krumbirngendarmen. Zur Erinnerung: GendarmInnen waren vor der Polizeireform die PolizistInnen in der Provinz und ›Krumbirn‹ sagt man im Burgenland zu den Kartoffeln. Es ist also Kartoffelteig, der die Fülle umhüllt. Diese Fülle ist ein Gemisch aus süß marinierten Birnen und Mohn. Das Ergebnis sind etwa handtellergroße Scheiben, den Waldviertler Mohnzelten gar nicht unähnlich. Nur heller, weicher, saftiger. Nicht unbedingt besser. Nur anders. Und wie GendarmInnen da ins Spiel kommen? Fragen Sie die BurgenländerInnen.
Wien ist Sachertorte. Und Apfelstrudel. Eventuell noch Kipferl, Gugelhupf, Punschkrapferl oder Topfengolatsche. Es sind die Kaffeehausklassiker. Als letzter Gang in der Menüfolge haben diese Köstlichkeiten an Bedeutung verloren. Wenn sie je Bedeutung hatten. Das hat aber mehr mit der Rolle des Desserts an sich zu tun – aber dazu kommen wir noch. Im Kaffeehaus erleben sie jedenfalls eine immerwährende Hochblüte und sind auch gegen Veränderung und Innovation weitgehend resistent. Nehmen wir als Beispiel die Sachertorte. Angeblich wurde sie 1832 vom einspringenden Bäckerlehrling Franz Sacher (damals 16 Jahre alt) erfunden. Ihr Erfolg wuchs im Windschatten des Ruhms des später gegründeten Hotel Sacher. Auch wenn der Streit um die Urheberschaft der Torte zwischen den Betrieben Sacher und Demel drei Mal so lange dauerte wie der Zweite Weltkrieg, in ihrer ursprünglichen Form blieb die Sachertorte unverändert. Heute werden davon jedes Jahr etwa 270.000 Tonnen in kleinen Holzkisterln in die Welt verschickt. Holzkisterl, die dafür sorgen, dass Österreichs Mehlspeisruhm unerreicht bleibt.
Josef Weghaupt hätte uns ein Bild seiner Sachertorte schicken sollen. Geschickt hat er uns eine Torte. Wer sie einmal gekostet hat, weiß, warum. SacherfanatInnen muss allerdings vor dem Kosten klar sein: Es handelt sich hier nicht um eine Sachertorte im engeren Sinn. Aber Josephs Torte ist fruchtig, aromatisch und saftig – aber gleichzeitig locker. Wer die einen Tag lang vor sich am Arbeitsplatz stehen hat, bis der Fototermin kommt, fühlt sich eisern. Und am Abend glücklich. Bild: Biorama.
Zweihundert Kilometer westlich. Andere Stadt, andere Torte, andere Geschichte: Linz. Die Geschichte ist eine viel ältere. HistorikerInnen haben eine »linzer Mandel Dortten« auf einer Rechnung aus dem Jahr 1619 entdeckt. Seither wurde immer wieder versucht, den LinzerInnen ihre Torte streitig zu machen. Eigentlich sei ja der Winzerort Linz im Rheingau gemeint, andere Theorien erzählen von einem Wiener Konditormeister mit dem Namen »Linzer«. Schließlich wurde das »Buech von allerley Eingemachten Sachen, also Zuggerwerckh, Gewürtz, Khütten uns sonsten allerhandt Obst« (eigentlich eine Handschriftsammlung) einer Veroneser Adeligen im Stiftsarchiv Admont gefunden, das das Rezept erwähnt und die in Linz residierenden Habsburger Matthias II. und Rudolf II. gleich dazu. Traditionell wird die Linzer Torte mit Ribiselmarmelade (und NUR mit Ribiselmarmelade) gemacht. Geschmacklich ist sie eher Kuchen als Torte und am besten ist sie, wenn sie nach dem Backen ein paar Tage ruhen kann, damit der Teig die Marmelade aufnehmen kann und damit saftiger wird.
Weiter des Weges nach Salzburg. Das Salzkammergut lassen wir aus. Oder beschränken uns auf zwei zeitlose Empfehlungen. Einerseits die bereits erwähnten Zaunerkipferl aus Bad Ischl, andererseits den Ausseer Lebkuchen. Für Letzteren lohnt ein Besuch in einem der beiden Cafés in Bad Aussee. Lewandofsky (kurz »Lewan« und eher traditionell) oder Anna Plochl am Meranplatz. Im Gegensatz zum Lewandofsky gibt es im Anna Plochl auch grandiosen Kaffee und eine Tortenboutique, die sich sehen lassen kann. Aber wie gesagt – Salzburg.
Mehlspeismäßig ist Salzburg Geburtsort und Heimat der Salzburger Nockerl. Auch wenn dieses Gericht mittlerweile in zahllosen Formen und Varianten angeboten wird: Die original Salzburger Nockerl haben ein exakt definiertes Erscheinungsbild: drei spitz geformte Nockerl, nebeneinander, zur Spitze hin heller werdend und mit einem Hauch (!) Staubzucker bestreut. Das hat den Hintergrund, dass der Gedanke der Erfinderin, einer Mätresse eines Salzburger Erzbischofs, war, die leicht verschneiten Hausberge Salzburgs nachzubilden: den Mönchs-, den Gais- und den Kapuzinerberg. Also weder buchtelförmige Kuppeln noch unförmige Zeilen oder gar brotlaibartige Bälle. Drei Spitzen. Wenn man die Tradition ernst nimmt. Dabei ist es eigentlich fast vermessen, die Salzburger Nockerl als Mehlspeise zu führen, spielt doch das Mehl (im Vergleich zu Eiklar und Zucker) eindeutig die zweite Geige, um im Festspieljargon zu bleiben. Egal, Salzburg ist ohne Salzburger Nockerl ebenso wenig vorstellbar wie ohne Jedermann oder Getreidegasse. Und dass die Nockerl einen Fixplatz in der kulinarischen DNA des Landes haben, kann jeder nachvollziehen, der davon einmal probiert hat.
In den Tiroler Bergen sind es vor allem zwei Gerichte, die eine Erwähnung (und Empfehlung) wert sind: Moosbeerpascher und die Brandenberger Prügeltorte aus dem Alpbachtal. Letztere ist ein Unikat und hat mit dem klassischen Verständnis von Torte wenig am Hut. Um sie herzustellen, dreht sich gleichmäßig eine Holzwalze über knisterndem Feuer. Die Konstruktion erinnert an ein Asterix-Comic, nur das saftige Spanferkel fehlt. Stattdessen wird die Walze (der Prügel) mit einem süßen, dickflüssigen Teig bestrichen und beständig gedreht. Schicht für Schicht entsteht so ein goldbrauner Baumkuchen, der, sobald er fest ist, vom Prügel gezogen und in Scheiben geschnitten serviert wird. Die anderen, die Moosbeerpascher (sprich Moschbeerposcher), sind Tirols Antwort auf Marillenpalatschinken des Ostens. Fast. Der Teig ist zwar der gleiche, allerdings werden keine klassischen Palatschinken gemacht und mit Marillen- oder sonstiger Marmelade befüllt. Die Moosbeeren (aka Heidel-, Blau- oder Schwarzbeeren) kommen gleich mit in den Teig und werden mit ihm gebacken. Der Unterschied ist gewaltig. Es ist allerdings die einzige (relevante) regionale Abwandlung, die im Bereich der Mehlspeisen bekannt ist. Vermutlich ist sie der hohen Verfügbarkeit von Heidelbeeren in den Tiroler Bergen geschuldet.
Was – leider – in Bezug auf Tirol ebenfalls zu erwähnen ist, ist der Kaiserschmarrn. Der begann seine Karriere wie viele Mehlspeisen am Hof des Kaisers, entwickelte sich dort zu einem seiner Lieblingsgerichte und daraufhin zu einer Leibspeise der ÖsterreicherInnen. Das Pfannengericht ist einfach, gut und nahrhaft. Gute Bedingungen für die Verköstigung von Wanderinnen und Wanderern und WintersportlerInnen. So hielt der Kaiserschmarrn Einzug in die klassische (hauptsächlich) Tiroler Alm- und Hüttenkost. Und damit begann auch sein Abstieg. Die Hütten, in denen noch handwerklich einwandfreier Kaiserschmarrn kredenzt wird, gibt es. Es ist aber eine kleine Minderheit. Viel öfter kommt eine fixfertige Pampe aus der Convenience-Abteilung in die Pfanne und wird – günstigenfalls – dort aufgewärmt. Im weniger günstigen Fall klingelt in der Küche die Uhr der Mikrowelle. Das gilt im Übrigen nicht nur für den Kaiserschmarrn. Es gilt auch für Germknödel, Mohnnudeln und dergleichen. Das Handwerk verschwindet auf den Hütten. Widerstand ist angesagt!
Ein Punkt, bei dem noch Luft nach oben ist, ist das Thema Bio. Welche Rolle Bio in dieser Geschichte spielt, ist unklar. Wobei, nein, unklar ist das keineswegs. Es ist kristallzuckerklar, dass es eine Nebenrolle ist. Fragt man im Zauner in Bad Ischl, ob die Kipferl bio sind, wird der Blick der Kellnerin oder des Kellners ob der völlig deplatzierten Frage unsicher zwischen Hilf- und Fassungslosigkeit pendeln. Es ist schlicht kein Thema. Genau wie im Sacher. Im günstigen Fall erntet man dort einen dezent überheblichen Blick und die – leicht näselnde – Antwort, dass es früher (als die Welt noch in Ordnung war und der Zuckerbäcker zum Hof-Zuckerbäcker wurde) auch kein Bio gegeben habe. Nein, in der Pâtisserie und im süßen Backhandwerk spielt der biologische Landbau eine untergeordnete Rolle. Umso wichtiger ist es, die Betriebe vor den Vorhang zu holen, die hier großartige Alternativen bieten. Die Dessertmanufaktur Göttinger in Groß Siegharts zum Beispiel. Der Laden stellt Pâtisserie und Desserts für die Gastronomie her. Den Großteil davon in zertifizierter Bioqualität. Oder Josef Weghaupt, der Wiener/Waldviertler Biobäcker, dessen Ur-Laibe in der Naglergasse wie kleine Bomben eingeschlagen haben. Wenn man heute an einer seiner Filialen vorbeigeht und in die Auslagen schaut, sieht man dort (unter anderem) grandiose Törtchen, Schnitten und Kuchen. Auch in seinen Bistros. In dem am Albertinaplatz bekommt man zum Beispiel eine Sachertorte. Eigentlich eine Bio-Marillen-Tonkabohnen-Sacher, und sie ist – abgesehen davon, dass sie über die Maßen köstlich ist – nichts anderes als ein ausgestreckter Mittelfinger in Richtung des ehrwürdigen Hauses gegenüber der Staatsoper.
Und wie ist es generell um die Mehlspeisen im Lande bestellt? Von den Menükarten der Fine-dining-Lokale sind sie weitgehend verschwunden. Die Rolle des Desserts hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Nicht zugunsten von süßem Gebäck. Anna Burghardt, eine Kollegin von der »Presse«, schreibt dazu treffend: »Das Dessert an sich ist der wahrscheinlich interessanteste Gang der klassischen Menüaufteilung, es ist übervoll mit Bedeutungsebenen. Kindheitserinnerungen sind so wichtig wie bei keinem anderen Gang.« Es wäre also – emotional und sensorisch gesehen – immer noch reichlich Potenzial für die Mehlspeisen vorhanden. Stattdessen wird mit Roten Rüben und Karotten experimentiert, mit Fisch und Fleisch oder eben mit Schokolade. Viel Schokolade. Vielleicht ist es an der Zeit, die alten Rezepte zu entstauben und zu durchlüften. Wenn sich KöchInnen, KonditorInnen oder Pâtissières und Pâtissiers der Klassiker annehmen und modern verändern, könnten sie sich vom Kaffeekränzchen erheben und ihren Platz an der Tafel zurückerobern. Dass das möglich ist, zeigen ja schon einige.
BIORAMA BIOKÜCHE 2021 #0