Wie kommt das Salz in die Lacke?
Der Naturraum Neusiedler See – Seewinkel ist Brutgebiet und Zwischenstation für mehr als 300 Vogelarten. Und nicht in erster Linie vom Klimawandel existenzbedroht.
Ein Gastbeitrag von Alois Lang.
Östlich des Neusiedler Sees findet man Salzlacken, zu denen Vögel und deren BeobachterInnen von weither kommen. 40 von ihnen liegen zwischen dem Schilfgürtel des Sees und dem Becken des Hanság (deutsch: Waasen) verstreut – fast drei Mal so viele waren es noch im 19. Jahrhundert, bevor die Intensivierung der Landwirtschaft einsetzte und zahlreiche Lacken durch Entwässerung und Tiefackern zerstört wurden. Noch dramatischer sieht der Flächenverlust aus: Nur mehr die Hälfte der Lackenflächen von 1957 ist heute noch vorhanden.
Zwar liegen fast alle verbliebenen Lacken im Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel und sind so – nicht zuletzt wegen ihrer internationalen Bedeutung als Brut- und Rastplatz für zahlreiche Vogelarten – dauerhaft geschützt. Gleichzeitig sind sie allerdings bedroht: Vom »Lackensterben« ist des Öfteren in der Fachwelt die Rede.
Eiszeitrelikte und frühere Seeflächen
Es trifft vor allem die älteren Sodalacken, die während der letzten Eiszeit entstanden, als Eislinsen im heutigen Seewinkel weggeschmolzen waren (so die gängige Theorie) und sich in den verbleibenden Mulden Niederschlagswasser sammelte. Die Konzentration des Salzes im Boden steigt jeden Frühsommer bei sinkendem Wasserspiegel, bis im Hochsommer nur mehr blendend weißer »Sodaschnee«* am abgetrockneten Lackenboden zu sehen ist. Auf solchen Böden wachsen Meeresküstenpflanzen, die kontinental verbreitete Salzkresse oder die Salzaster. Auf diese extremen Lebensräume sind sowohl Brutvögel als auch Durchzügler angewiesen: Sie finden in den Lacken oder an deren Rändern genau dann das passende Nahrungsangebot, wenn sie es für sich und den Nachwuchs brauchen – und bleiben dabei weitgehend ungestört.
Typische Bewohner der stark salzigen Lacken sind Kleinkrebse und Rädertiere, von denen beispielsweise Säbelschnäbler, Stelzenläufer oder Löffelenten, die hier ein europaweit bedeutendes Brutvorkommen aufweisen, profitieren. Die Verlandungszonen werden von Graugänsen, einer Reihe von Entenarten, von Möwen, Seeschwalben und Watvögeln bevölkert. An manchen Lackenrändern hat die Südrussische Tarantel ihre westliche Verbreitungsgrenze.
Im Wechsel der Jahreszeiten schwankt der Wasserstand in den äußerst seichten Becken zwischen maximal 60 cm und völliger Austrocknung. Die Niederschläge im Herbst und Winter gleichen die starke Verdunstung des Sommerhalbjahres aus. Vor allem kurz vor dem Austrocknen erreicht der Salzgehalt bis zu 100 Gramm pro Liter.
Nur selten Fische, aber immer Vögel
Für die fortwährende Nutzung als Fischgewässer war auch früher die Wassertiefe zu gering. Wirtschaftliche Bedeutung hatten die Lacken bis ins 20. Jahrhundert trotzdem: Das kristallisierte Soda, ungarisch »Zick«, wurde im Hochsommer in den trockenen Lackenbecken zusammengekehrt und in »Sodafabriken« zu Waschsoda verkocht. Der Beginn der industriellen Waschmittelproduktion bedeutete das Ende dieser Erwerbstätigkeit.
Seit den 1960er-Jahren bilden die Salzlacken des Seewinkels die Grundlage eines stets wachsenden Naturtourismus. Als die ÖsterreicherInnen mit dem Begriff »Neusiedler See« noch die Strandbäder und später die Radwege assoziierten, kamen HobbyornithologInnen aus Deutschland, der Schweiz und Großbritannien im Frühjahr und im Herbst an die Lacken, um zu beobachten, zu fotografieren oder zu filmen.
Die Abhängigkeit vom Grundwasser
Die aktuelle Bedrohung der verbliebenen Seewinkellacken ist an der Oberfläche kaum sichtbar: Bleibt der Grundwasserspiegel über längere Zeit niedrig und vom salzführenden Horizont im Boden der Lacke getrennt, gelangen keine Salze mehr an die Oberfläche – die Gefahr der »Aussüßung« steigt. Mit ergiebigen Niederschlägen kann sich dann zwar weiterhin das Lackenbecken füllen, es fehlt aber durch den veränderten Chemismus* das typische Nahrungsangebot. Für manche »Stars« in der Vogelwelt, denen Jahr für Jahr die Birdwatcher hinterherreisen, werden also solche Lacken kein passender Lebensraum mehr sein.
Die Grenzen des Nationalparks
Die Größe der intensiv bewirtschafteten Ackerflächen außerhalb des Nationalparks sinkt zwar tendenziell, der Klimawandel mit immer längeren Hitzeperioden und unterdurchschnittlichen, ungünstig verteilten Niederschlägen lässt aber den Wasserbedarf in der Landwirtschaft steigen. Es sind also nicht nur die ab dem Spätmittelalter angelegten Entwässerungsgräben, die vielen Lacken die Grundwasserverbindung rauben – hier haben Maßnahmen seit Mitte der 1990er-Jahre bereits sicht- und messbare Verbesserungen gebracht. Politisch kaum durchsetzbar erscheint aber die Reduzierung der Grundwasserentnahme im direkten Umfeld des Nationalparks, obwohl die diesbezüglichen Zusammenhänge in umfangreichen Forschungsprojekten und Modellversuchen deutlich dargestellt sind.
Das aufwändige Naturraummanagement im Nationalpark – mit Beweidung an den Lackenrändern, im Seevorgelände und auf den Hutweiden – kann zwar dafür sorgen, dass auch in Zukunft die sensiblen Lebensräume für salztolerante Pflanzen und bodenbrütende Vogelarten offengehalten werden, Maßnahmen gegen einen sinkenden Grundwasserspiegel kann die Nationalparkverwaltung aber freilich nicht setzen. Zur Bewusstseinsbildung aller Beteiligten für die damit verbundenen – mittelfristig auch touristischen – Probleme ist es allerdings nicht zu spät.
Sodaschnee besteht hauptsächlich aus Natriumbikarbonat (Na2CO3), es kommen aber auch Glaubersalz (Na2SO4), Bittersalz (MgSO4) und Kochsalz (NaCl) vor.
Chemismus beschreibt den Stoffwechsel der Sodalacken. Sie überdauern die Jahrtausende durch ihren Gehalt an Soda (ihre Alkalität = ihr Säurebindungsvermögen).
Alois Lang ist seit der Gründung des Nationalparks 1993 im Management tätig – mit Schwerpunkt auf Öffentlichkeitsarbeit, Ökotourismus und internationale Zusammenarbeit. Bild: Archiv NP Neusiedler See.