Graz: Protest gegen Murkraftwerk
Nur einen Tag nach der Grazer Gemeinderatswahl am 5.Februar ging plötzlich alles ganz schnell. Entlang der Mur wurde mit der Rodung von rund 16.000 Bäumen begonnen, die nun dem geplanten Wasserkraftwerk weichen müssen. Die Proteste verstummen nicht. Wir waren vor Ort.
Dichter Nebel bedeckt Graz, das Wetter spiegelt die Gemüter jener Grazer und Grazerinnen wider, die sich bei Minusgraden im stillen Protestmarsch zur Olympiawiese, nahe der Puntigam-Brücke begeben. Es ist der Ort, wo das vieldiskutierte und folgenreiche Murkraftwerk entstehen soll.
Der Anblick, der sich den Demonstrierenden bietet, ist wahrlich schockierend. Ost- und Westufer der Mur gleichen einem Schlachtfeld, bereits in der ersten Woche wurden Tausende der teils 100-jährigen Bäume gefällt. Hinter den Absperrungen sind nun mehrere Bagger am Werk – wie Mikadostäbchen werden die kreuz und quer liegenden Stämme von den gigantischen Greifzangen umfasst und geordnet.
„MurDer“, „Lasst‘s die Mur in Ruah“ liest man auf den Plakaten der Protestierenden, Wortfetzen wie „einfach nur traurig“, „die Mur soll ewig fließen“ und „was soll der Scheiß?“, dringen von ringsum zu uns durch. Auch zahlreiche Wissenschaftler bekämpfen das steirische Projekt, das den Grazern nicht nur den Kahlschlag entlang des Flusses beschert, sondern auch das Rauschen der Mur zum Verstummen bringen wird. „Fluss kommt von fließen. Ein stehender Fluss ist kein Fluss, sondern ein Stuss! Und Stuss ist laut Duden ein Nonsens, ein Unfug, eine sinnlose Aktivität“, ereifert sich der Universitätsprofessor Rudolf Zechner. Ein Tümpel mitten im Stadtzentrum – wie argumentieren die Verfechter des Projekts diesen immensen Eingriff in das Grazer Stadtbild?
Diffuse Faktenlage, viele Meinungen
Die Energie Steiermark AG, Hauptbetreiber des Projekts und ein Unternehmen, das zu 75 % im Eigentum des Landes Steiermark steht, hat ein eigenes Dialogbüro eingerichtet. Es soll die Bevölkerung über die Vorteile des Wasserkraftwerks informieren. Große Bilder hängen an den Wänden und machen Lust auf das neue Ökotraumland Graz. Der Sprecher der AG, Urs Harnik-Lauris, führt dazu aus, dass durch die Leistung des Werks bis zu 20.000 Haushalte mit Strom versorgt, künftig 60.000 Tonnen CO2-Emmissionen eingespart und Bäume anderorts neu gepflanzt werden – ein eindeutiger Mehrwert eben: „100 % Öko-Strom aus der erneuerbaren Energiequelle Wasser gewinnen.“ Wohlklingende Worte für umweltbewusste Ohren – doch zu welchem Preis? Der ehemalige Generaldirektor des Naturhistorischen Museums, Bernd Lötsch, ist heute ebenfalls anwesend. Dass Wasserkraft die willkommene Rettung sei, um Treibhausgase zu verringern und den Ausstieg Österreichs aus fossiler Energiegewinnung voranzutreiben, bestreitet er vehement. „Diese Kraftwerksprojekte leisten keinen nennenswerten Beitrag zur CO2-Reduktion“, so Lötsch, „der Energieverbrauch muss reduziert werden, aber diesen einfach umweltfreundlich zu decken versuchen, ist der falsche Ansatz.“ Tatsächlich mutet es paradox an, von „erneuerbar“ zu sprechen und gleichzeitig einen Teil der Natur unwiederbringlich zu zerstören. Die Faktenlage über die Effizienz des Wasserkraftwerks ist diffus, doch dass Österreich keinen Bedarf an der Errichtung neuer Kraftwerke hat, weiß E-Control-Vorstand Walter Boltz, der von 130 % Kapazitätsreserven berichtet.
Am Thema Murkraftwerk scheiden sich die Geister auch innerhalb der Grazer Stadtpolitik. ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl, der sich 2008 noch deutlich gegen ein derartiges Projekt aussprach, zählt heute zu den Befürwortern. Die Vizebürgermeisterin Elke Kahr von der KPÖ weigerte sich eine Budgetvereinbarung zu unterzeichnen, die das Murkraftwerk ohne vorheriger Volksbefragung unterstützte. So resultierte die Auseinandersetzung schließlich in Neuwahlen am 5. Februar 2017. Siegfried Nagl geht als Sieger hervor und kann sogar wenige Prozentpunkte zulegen. Ein Tag nach der Wahl fallen bereits die Bäume.
Es geht um das ganze Stadtbild
Zurück zum Puchsteg: „VOLKSBEFRAGUNG JETZT! Unsere Mur, unsere Entscheidung!“, lautet die Forderung der Protestgemeinschaft. Sie ist sich einig, dass hier demokratische Rechte untergraben werden: „Bei Themen wie dem Kauf von Baugründen – irgendwo am A* von Graz – werden wir befragt, aber wenn sich das komplette Stadtbild wandelt, soll man zusehen und nicken?“
Die Bürgerinitiative „Rettet die Mur“ unter der Leitung von Clemens Könczöl sammelte die erforderliche Anzahl an Unterschriften und reichte den Antrag für eine Volksbefragung im September 2016 ein. Dieser wurde jedoch von Gemeinderat und Landesverwaltungsgericht abgewiesen. Für Clemens Könzcöl noch kein Grund aufzugeben „man kann den Bürgern ihr Recht auf Mitbestimmung bei einem Projekt wie diesem nicht nehmen.“ Er ruft weiterhin zum gewaltfreien Protest auf – und geht in die nächste Instanz.