Tierisch schlecht
Auf der Suche nach dem Einhorn: Aufblasbares Wasserspielzeug ohne PVC und frei von anderen Problemstoffen.
Vom Freibad bis zum Malibu Beach sind die quietschbunten Schwimmreittiere Symbol für Badespaß. Und zwar längst nicht nur mehr für den von Kindern. Doch die, wie Untersuchungen nahelegen, wiederholt die Grenzwerte überschreitenden Mengen enthaltener Problemstoffe können nicht nur störend und reizend wirken, sondern durchaus bedenklich sein – für Mensch und Umwelt. Material, Beschichtung und Stärke von Schwimmtieren variieren, doch häufig kommt der Kunststoff Polyvinylchlorid, also PVC, zum Einsatz. Seltener ist die Haut der aufblasbaren Wassertiere aus thermoplastischem Polyurethan (TPU). Generell können Kunststoffprodukte aus einer Vielzahl von Substanzen zusammengesetzt sein, damit sie ihre Funktionalität, aber auch Designansprüche erfüllen, darunter Farben, Kleber und unzählige weitere Additive. Nicht selten etwa Phthalat-Weichmacher und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, kurz PAK.
Auch ohne vertiefte Chemiekenntnisse schrillen da inzwischen schon die Alarmglocken. Einige Substanzen wie beispielsweise Weichmacher können durch Speichel oder engen Hautkontakt aufgenommen und möglicherweise hormonähnlich wirken, viele der polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe gelten als krebserregend. »Ein Kind in der oralen Phase, das seine Umwelt gerade so kennenlernt, kann ich schwer davon abhalten, in alles Mögliche reinzubeißen«, mahnt die Lebensmittelchemikerin Andrea Büttner und ruft entsprechend vor allem Eltern kleiner Kinder zu reflektiertem Konsumverhalten auf. Sie ist Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung, auf Geruchs- und Sinnesforschung spezialisiert und forscht seit einigen Jahren zu Kontaminanten und Begleitstoffen in Kinderprodukten, unter anderem in Wasserspielzeug.
Nicht alles, was möglicherweise gesundheitsschädlich ist, wird erfasst – gleichzeitig tauchen immer wieder Produkte mit Schadstoffbelastungen weit jenseits der Grenzwerte auf dem Markt auf. Grundsätzlich erfolgen Prüfungen aufgrund der Masse und der ständigen Variation der Produkte nur durch Stichproben oder wenn EndverbraucherInnen etwas auffällt und sie ein Produkt zur Überprüfung melden – das landet dann womöglich im Institut von Andrea Büttner, die zu bedenken gibt: »Wir wissen gar nicht wirklich umfassend, wie der Markt für diese Produkte zusammengesetzt ist.« Es handle sich um schnelllebige Saisonware in einem ständig wechselnden Angebot. Der Ablauf bei Kontrollmechanismen könne deshalb derzeit nur »eher anekdotisch« ausfallen: »Wenn einmal etwas aus dem Verkehr gezogen wird, dann betrifft das Verbot nur dieses konkrete Produkt. Wir erleben aber, dass dasselbe Unternehmen aus denselben Materialien ein Produkt mit anderem Design auf den Markt bringt.«
Immer der Nase nach?
Wer ein Kunststoffprodukt vor sich hat, sollte Intensität und Art dessen Geruchs durchaus Aufmerksamkeit schenken. Das, was wir als typischen Kunststoffgeruch von Schwimmtieren oder auch Schwimmflügeln zu kennen glauben, ist vor allem der von enthaltenen Lösungsmitteln. Das hat zumindest 2018 eine Studie, an der auch Andrea Büttner mitarbeitete, ergeben, bei der systematisch an aufblasbarem Wasserspielzeug gerochen wurde. Tatsächlich konnten in den auffällig riechenden Proben auch erhöhte Lösungsmittelgehalte festgestellt werden. So konnten ForscherInnen in neun von 20 getesteten Proben relevante Mengen an Cyclohexanon nachweisen, das zu jenen Stoffen zählt, die beim Einatmen reizend wirken.
Außerdem enthielten acht Proben höhere und zwei Proben besonders hohe Gehalte des Stoffs Isophoron, der als potenziell krebserregend eingestuft wurde. Und in 14 Proben wurde das giftige Phenol in erhöhter Konzentration nachgewiesen, es steht im Verdacht, beim Verschlucken, aber auch bei Aufnahme über die Atemwege oder die Haut erbgutverändernd zu wirken.
Woran erkennt man nun »auffälligen Geruch«? Büttner klingt heute noch ein wenig erstaunt, wenn sie die Ergebnisse der bisherigen Studien zusammenfasst: »Unser evolutionär so alter Sinn funktioniert offenbar sogar bei so komplexen modernen Produkten: Kunststoff, der für uns untypisch intensiv, stechend unangenehm, mitunter süßlich riecht – manche beschreiben es als amarettoähnlich – oder brennend oder in der Nase reizend wirkt, kann oft auch schädliche Inhaltsstoffe enthalten.«
So zuverlässig der Geruchssinn in den Untersuchungsreihen in die richtige Richtung gelenkt hat, so ist er doch, wie die ForscherInnen betonen, kein Garant dafür, ein unbedenkliches Produkt vor der Nase zu haben. Manche Giftstoffe sind schlicht geruchlos, und viele Gifte schmeckt man auch nicht.
Anschaffung und Handhabung
Wer unbedenkliche Schwimmtiere sucht, hat es also nicht einfach. Nur manche HerstellerInnen in diesem bunten globalen Markt kennzeichnen ihre Produkte mit Angaben zu Material und Inhaltsstoffen – hier kann bei aufblasbarem Wasserspielzeug nach dem Hinweis »PVC-frei« Ausschau gehalten werden und wo PVC verwendet wurde, zumindest nach Produkten mit dem Hinweis »BPA-frei«. Schwimmtiere und auch Planschbecken bestehen oft nicht aus einem Stück Folie, sondern aus mehreren miteinander verschweißten Streifen davon. Diese Schweißnähte sind die Stellen, an denen die Schwimmfiguren gerne ein- und aufreißen. Die Maximalbelastbarkeit kann als Hinweis darauf dienen, wie gut die Schweißnähte verarbeitet sind.
Wer nicht nur etwas für sich tun will, sondern auch den Weg zu mehr Transparenz ebnen möchte: Eine Anfrage zum Material beim Hersteller muss von diesem beantwortet werden, falls bestimmte Phthalate oder einer der anderen Stoffe, die als besonders besorgniserregend unter der EU-Verordnung REACH identifiziert sind, ab einer Konzentration von 0,1 Prozent des Gesamtgewichts enthalten sind. »Das ist zugegebenermaßen gar nicht so wenig, aber absichtlich zugesetzte Stoffe kann man so erfassen«, betont Eva Becker vom deutschen Umweltbundesamt, Sektion für Chemikalien.
Wie erkenne ich ein besseres Produkt?
»Was wir empfehlen, ist, eine Anfrage über die App ›Scan for Chem‹ des deutschen Umweltbundesamtes zu machen«, betont Becker. Die kann an den Hersteller, aber auch jeden, der mit dem Produkt handelt, gestellt werden und muss von diesem auch beantwortet werden, sofern die gelisteten Substanzen in einer Konzentration über 0,1 Prozent enthalten sind.
Die App ist für alle Arten von Gebrauchsgegenständen eingerichtet – von Luftmatratzen bis zu Sportschuhen – und dafür gedacht, dass man im Geschäft vor dem Kauf den Barcode scannt und dann ein Ergebnis bekommt. Für 37.500 Gebrauchsgegenstände sind schon Daten in der Datenbank hinterlegt, für alle weiteren muss man noch – auch das geht über die App – bei der Firma oder dem Händler anfragen und die Antwort abwarten. Damit die Zahl der Produkte steigt, braucht es viele solcher Anfragen, die bei den Unternehmen einlangen. Denn statt diese einzeln zu beantworten, können die herstellenden Unternehmen in der Datenbank Profile anlegen und so den KonsumentInnen die Informationen zur Verfügung stellen. Die App gibt es in den Sprachen von 15 EU-Ländern. »Wir brauchen aber die VerbraucherInnen, damit es laufend mehr Informationen werden. Wir kriegen von den Unternehmen immer die Antwort: Wenn wir drei Anfragen pro Jahr bekommen, machen wir uns nicht die Mühe, dort die Informationen einzutragen«, erklärt Becker.
Am Tag nach der Regulierung
»Einige Weichmacher und Phthalate, die in Weich-PVC eingesetzt werden, wurden vergangenes Jahr EU-weit verboten«, weiß Becker. »Es ist möglich, dass derzeit über Abverkaufsware noch Produkte mit diesen Stoffen erhältlich sind.« Prinzipiell sei hier aber zumindest eine Reihe von Problemstoffen aus dem europäischen Angebot verschwunden.
Es kommt mitunter vor, dass ein verbotener Stoff durch einen noch nicht verbotenen ersetzt wird, der noch weniger bekannt ist, sich aber als mindestens genauso schädlich herausstellt. Die Gefahr einer solchen in der Europäischen Union als »Regrettable Substitution« bekannten »Problemlösung« besteht prinzipiell. Doch die EU habe das erkannt und versuche nun, ganze Problemstoffgruppen gleichzeitig zu regeln, erläutert Becker. »Im Einzelfall ist es natürlich trotzdem möglich, dass es vorkommt.«
Wie häufig diese Fälle auftreten, ist allerdings schwer zu sagen, denn eine systematische, umfassende Probenentnahme ist mit heutigen Verfahren nicht realisierbar, bedauert Andrea Büttner: »Ich habe mich vor Kurzem erst wieder vergeblich um eine Forschungsfinanzierung dazu bemüht.« Am Fraunhofer-Institut möchte man ein Verfahren für ein schnelleres Screening solcher Produkte auf Gefahrenstoffe entwickeln. Denn es gebe ausreichend Indizien, dass es zahlreiche Produktgruppen gibt, die regelmäßigen Kontrollen unterzogen werden müssen. »Wir brauchen dafür neue Tools für schnellere dezentrale Screenings auf verdächtige Produkte, am besten, bevor sie auf den Markt kommen.«
Unter anderem zur Verbesserung der chemischen Bewertung und Weiterentwicklung von Kunststoffprodukten, aber auch von Kunststoffabfällen läuft auch deshalb derzeit ein EU-finanziertes Forschungsprojekt, an dem 28 europäische Forschungseinrichtungen mitarbeiten – solche der Kunststoffindustrie wie auch der Universitäten. Darunter die Montanuniversität Leoben und auch wieder das Fraunhofer IVV und die Universität Erlangen-Nürnberg, wo Büttner als Projektverantwortliche die dringende Notwendigkeit betont, eine neue Sensorik und Diagnostik zu entwickeln, um sowohl bekannte Stoffe als auch Abweichungen von diesen zu erkennen: »Durch die wilden Mischungen von Komponenten, die eingesetzt werden, bilden sich mitunter ohne Absicht des Herstellers neue Substanzen.« Diese sogenannten NIAS – non-intentionally added substances – entziehen sich also weitgehend der Möglichkeit, durch Verbotslisten geregelt zu werden. Das Unwissen darüber, woraus unsere Kunststoffprodukte bestehen, behindert auch den Weg zur Circular Economy. Büttner ergänzt: »Spätestens bei Plastikmüll aus dem Meer sind wir damit konfrontiert, wenn wir versuchen, die Materialien wieder einzusammeln und zu recyceln. Eine Sisyphosarbeit, gerade wenn man bedenkt, welche Substanzen noch unter Witterungseinflüssen gebildet oder auch aus der Umwelt über andere Kontaminationswege aufgenommen werden können.« Die Expertin spricht sich klar für eine Umkehrung des Prinzips aus: »Eigentlich braucht es zertifizierte Inhaltsstoffe und Zulassungsprozesse und erstklassige Wiederverwertung von Kunststoffen. Denn eigentlich wären sie dann nicht Müll, sondern Roh- und Wertstoffe.«
Sowohl Büttner als auch Becker geben sich hörbar Mühe, Verständnis für die rege Nachfrage nach den recht problematischen Spaßprodukten aufzubringen, weisen aber doch darauf hin, dass es sich hierbei um eines der ersten Produkte handeln könnte, bei denen eine reflektierte Konsumentscheidung in Verzicht bestehen könnte. Büttner sagt klar: »Ich würde ein solches Produkt gar nicht kaufen und generell prüfen, ob es nicht Wege gibt, mit weniger Konsum nachhaltiger mit Kindern die Freizeit zu genießen.« Und Becker appelliert: »Wenn Sie meine ganz persönliche Meinung hören wollen: Unser Konsum kann einfach so nicht weitergehen, weil wir dabei sind, die Erde zu vernichten. Deswegen würde ich mir wirklich überlegen, ob ich das brauche. Und sonst drauf verzichten. Wir haben ein Mikroplastikproblem und die enthaltenen Chemikalien führen zu weiteren Problemen bei Mensch und Umwelt.«
Float on!
Eine Verringerung der Kontaminierung der Umwelt könnten wir nicht nur durch Verzicht, sondern auch schon durch längeren Gebrauch der Produkte erreichen. Viele der Wasserreittiere, -reifen und -inseln verenden nach ein paar Einsätzen defekt schon im Müll, wenn sie nicht gar am Unfallort zurückgelassen werden. Manche Schwimmtierliebe geht womöglich trotz voller Funktionsfähigkeit schon nach einem Urlaubsflirt den Weg vieler Saisonware, die keinen Platz im Rückreisegepäck mehr hat. Liebe zu den lebenden Meeres- und Seebewohnern lässt sich allerdings hervorragend leben, indem man besonders am Urlaubsort wenig vermeidbaren Müll verursacht und zurücklässt.
Und um gerade den Dingen, für die es noch keine umweltverträglicheren Alternativen gibt, ein möglichst langes Leben zu garantieren, wäre ein achtsamer Umgang umso wichtiger. Schwimmtiere und Luftmatratzen quer über den Kiesstrand hinter sich herzuziehen ist also auch der Umwelt zuliebe zu vermeiden. Wenn möglich, sollte bei Ausflügen Aufblasbares außerdem im Schatten auf seinen nächsten Einsatz warten. Auch eine Aufbewahrung im sauberen und trockenen Zustand verlängert die Lebensdauer.
Wer teilt sein Zimmer mit dem Stinktier?
Außerdem wird tatsächlich von einigen Stellen – etwa vom Chemical Sensitivity Network – davon abgeraten, mit seinem Schwimmspielzeug im selben Raum zu schlafen. Das Verstauen in Kinder- und Schlafzimmer ist nicht ratsam. Gilt auch für Hotelzimmer und Zelt. Wovon man laut Büttner jedenfalls absehen sollte: »Immer wieder erzählen Leute, dass sie ein Produkt gekauft haben, das so gestunken hat, dass sie es für ein paar Tage in den Garten gelegt haben, bis es erträglich wurde. Solche Produkte gehören angezeigt, sonst ändert sich nichts.«
Seit Jänner 2021 müssen alle Unternehmen, die in einem Produkt über 0,1 Prozent eines als besonders problematisch klassifizierten Stoffes verarbeiten, das in die Datenbank SCIP der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) melden.
Die EU listet derzeit 211 dieser besonders besorgniserregenden Stoffe (SVHC) auf.
Die dort gelisteten Produkte sollen öffentlich einsehbar werden und die Informationen sollen ab 2022 auch über die App Scan4Chem zugänglich sein werden.