Gespaltene Wahrnehmung

Ja_Nein_Vielleicht

 

Die Einstellung zur Grünen Gentechnik ist in unterschiedlichen Regionen der Welt geradezu gegensätzlich und
spaltet Meinungen wie Kontinente.

Die Haltung zur grünen Gentechnik in Europa ist laut zahlreichen Umfragen großteils abweisend. Das Eurobarometer 2010 ergab eine erhöhte Skepsis gegenüber der Anwendung der Gentechnik im Lebensmittelbereich. Nur mehr 23% der Befragten in allen 27 EU-Mitgliedsstaaten stimmten gentechnisch veränderten Lebensmitteln ganz oder überwiegend zu, 2005 waren es noch 27%. In den USA machen sich die Verbraucher wegen Gen-Food keine Sorgen. Wie aus jährlichen Befragungen des International Food Information Council (IFIC) hervorgeht, ist die Grundeinstellung der US-Konsumenten über die letzten Jahre stabil: Eine Mehrheit habe Vertrauen in die Lebensmittel-Sicherheit und keine oder wenig Bedenken gegenüber Gentechnik im Lebensmittelbereich. Woher rührt diese offensichtliche Zweigeteiltheit der Einstellungen?

Europas anderer Zugang

Einen Erklärungsversuch wagt Helge Torgersen vom Wiener Institut für Technikfolgenabschätzung (ITA), der seine Erfahrungen vor allem aus Eurobarometer-Umfragen und vergleichenden Motivuntersuchungen der letzten Jahre bezieht: »Beherrschende Themen waren Gesundheitsrisiken und Umwelteinflüsse durch ›genetische Verschmutzung‹ in der Landwirtschaft. Letzteres ging einher mit der Kritik an einer zunehmend industrialisierten Landwirtschaft, die sich auch im BSE-Konflikt zeigte. Hier liegt vermutlich auch ein Grund für die Differenz zwischen den Haltungen zur grünen Gentechnik in den USA und Europa: Jenseits des Atlantiks gilt Landwirtschaft als industrieller Sektor und weniger Bürger als in vielen europäischen Ländern stoßen sich an der Produktionsweise von Nahrungsmitteln. In Europa besteht hingegen eine Tendenz, landwirtschaftliche Produktion mit anderen Inhalten zu verknüpfen – z.B. in Frankreich mit lokalen Lebensmitteln unter dem Begriff ›terroir‹, in deutschsprachigen Ländern mit Bio und in Großbritannien mit einem Misstrauen in die Regierung nach BSE.«

Auch das Fehlen von individuellem Nutzen für den Konsumenten gilt für Torgersen als Motiv für die Abwehrhaltung in Europa sowie der in den Umfragen bejahte Hinweis auf den alleinigen Nutzen für große Produzenten. Dennoch, auch in europäischen Ländern mit mehrheitlicher Gegenwehr gibt es Befürworter. Was die Geister letztlich scheidet, dürfte aus dem Verhältnis von Risiko- und Nutzenwahrnehmung abzulesen sein. In einer dementsprechenden Untersuchung basierend auf Eurobarometerdaten haben sich laut Torgersen zwar keine Typen, aber zumindest drei Gruppen herauskristallisiert: »Viele, die aufgrund von Risikowahrnehmung grüne Gentechnik ablehnen; einige, die sie aufgrund von allgemeiner Nutzenwahrnehmung akzeptieren und ein paar, die zwar Risiken sehen, den Nutzen aber höher einschätzen. Letztere haben im Schnitt höheres Sachwissen.«

Dagmar Urban, Helge Torgersen

Links: Dagma Urban, Greenpeace Gentechnik-Sprecherin; Rechts: Helge Torgersen, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Technikfolgen-ABschätzung (ITA) im Bereich Biotechnologie und Medizintechnik

Und doch keine Einheit

Typologien sind vor allem schwierig, weil die Verhältnisse innerhalb Europas – trotz scheinbar ähnlicher Ablehnung – von Land zu Land differieren. Für Torgersen und laut französischen Studien hängt das mit dem unterschiedlichen Stellenwert der Landwirtschaft und von Essen allgemein zusammen. Zudem spielen Naturvorstellungen und die Relevanz von »Natürlichkeit« eine Rolle. So stimmten im Eurobarometer 2010 zwar im Schnitt 70% der Aussage zu, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel vollkommen unnatürlich sind. Bei Betrachtung der Ergebnisse nach Ländern zeigte sich, dass die Befragten auf Zypern und in Griechenland der Aussage am häufigsten zustimmten. Am anderen Ende des Spektrums fanden sich die Befragten in Irland und auf Malta mit deutlich unter 30% Zustimmung. Differenzen in der Einstellung gab es auch, als es um den nationalen wirtschaftlichen Nutzen ging. Während im Durchschnitt 50% der Europäer der Aussage nicht zustimmten, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel förderlich für die eigene Wirtschaft sind, wurde dies in Spanien – einem Land, in dem EU-weit flächenmäßig das meiste Gv-Saatgut angebaut wird – mehrheitlich bejaht.

Starker Wandel nicht in Sicht

Die Akzeptanzlage in Europa in den letzten 20 Jahren hat sich nur wenig geändert: Selbst bei Abwesenheit einer öffentlichen Debatte in Umfragen wird ein leichter oder deutlicher Überhang an Ablehnung ersichtlich. Für Torgersen ist dies zwar erstaunlich, macht für ihn aber dennoch etwas deutlich: »Diese Reproduzierbarkeit lässt vermuten, dass auf absehbare Zeit das Thema grüne Gentechnik negativ besetzt bleiben dürfte.« Auch Dagmar Urban, Kampagnenbeauftragte bei Greenpeace, ortet eine konstant stark ablehnende Haltung der Europäer in den Eurobarometer-Umfragen seit 1991, zwischen 2007 und 2010 sogar eine europaweit gestiegene Ablehnung. Raum für Veränderungen in der Einstellung sieht Urban in den Ländern jenseits des Atlantik: »In den USA oder auch in Südamerika wurden in den letzten 15 Jahren des kommerziellen Gentech-Anbaus bereits viele negative Erfahrungen gesammelt – hier ist also von Betroffenen immer größerer Widerstand zu spüren. Immer lauter werden in letzter Zeit jedenfalls die Stimmen von Bäuerinnen und Bauern, beispielsweise in den USA oder in Argentinien.«

VERWANDTE ARTIKEL