Gefundenes Fressen #8: Ethik Essen

Bild: honey & bunny, ulrike koeb, daisuke Akita

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Hier schreiben Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter über Essen als essentielles politisches und kulturelles Thema. Zum Achten. 

Essen ist zweifellos ein ethischer Akt. Menschen halten sich bei der Auswahl, der Zubereitung und beim Verzehr von Nahrung ziemlich streng an Regeln. Konventionen wie Tischmanieren oder Geschmacksabfolgen werden in der Familie oder der „Gesellschaft“ rigoros durchexekutiert. Wir wissen sehr genau, was wir wo, wie und mit wem in den Mund stecken dürfen und was nicht. Der Philosoph Harald Lemke stellt dazu fest, „dass das Essen gleichsam ein normativ vermintes Gebiet und ihre [der Methodik der Gastrosophie, Anm.] nicht letztbegründbare Wahrheit gesellschaftlich heftig umkämpft ist.“ (Lemke, 2008, S.218). Sich diesen ethischen Regeln des Ernährungsverhaltens nicht unterzuordnen, bedeutet auch die Werte, auf denen sie fußen, bis hin zu den religiösen Universen, mit denen sie in Zusammenhang stehen, nicht zu respektieren (vgl. Kaufmann, 2006, S.19).

Gerade beim Essen treffen gegenwärtig verschiedene Ethische Modelle aufeinander. Auf der einen Seite steht der Glaube an das „westliche Wirtschaftsdogma“, demzufolge ewiges Wirtschaftswachstum zu stetig zunehmendem Wohlstand für alle Bevölkerungsgruppen führt. Und das Essen ist noch immer das wichtigste Wirtschaftsgut dieses Planeten. Auf der anderen Seite denken immer mehr Menschen darüber nach, ob uneingeschränktes Wachstum zu Ressourcenverschwendung, Umweltschäden bis hin zum Klimawandel und zu sozialen Verwerfungen in armutsgefährdeten Gebieten führt. Der Raub von Wasser oder fruchtbarem Boden oder die Ausbeutung arbeitender Menschen unter sklavenartigen Bedingungen werden immer wieder thematisiert. Und auch diese ethische Perspektive schließt das Essen als essentielles Element mit ein. Während der reichere Teil dieser Welt nach günstigen „Kolonialwaren“ (nomen est omen) zu hungern scheint, kann eben dieser Bedarf zu echtem Hunger, zu kriegerischen Auseinandersetzung und somit auch zu Migrationsbewegungen führen. Die Welt ist offenbar globalisiert.

Hoffnungsvoll verweisen wir aber auf den Ursprung der Zivilisation: Die Tischgemeinschaft ist ein Ritual des Teilens und der Fairness. Der Wille und die Fähigkeit des Menschen, Essen an Schwache abzugeben unterscheidet uns von den meisten anderen Säugetieren. Und beim Essen wird gesprochen. Vielleicht entsteht bei Tisch eine Neuinterpretation der Ethik.

#sustainablefooddesign #ethischessen #eatsustainable


Über Gefundenes Fressen:

Jeder Bissen ist ein politischer Akt. Was wir wann wie und warum essen, kann unwürdige Arbeitbedingungen, Bodenerosion in Zentralafrika oder brennende Amazonasflächen auslösen. Die Frage des täglichen Essens hat nichts mit Diäten, Rezepten oder Gourmetkritiken zu tun sondern mit CO2 Emissionen, Fracking oder Gentechnologie. Jeder Biss ist Kultur. Jedes Schlucken ist Politik. Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter wollen in ihrem Blog das Essen als essentielles politisches Thema in der Mitte der Gesellschaft positionieren, weil die Aufnahme der alltäglichen Kalorien nicht nur eine Frage von Genuss und Geschmack sondern auch der Lebenseinstellung und Denkweise einer Gesellschaft ist. Erst das Fressen, dann die Moral? Nein.

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