Gastrodiplomatie: Politik geht durch den Magen
Essen spielt im Dialog zwischen Regierungen und der Öffentlichkeit eine derart wichtige Rolle, dass es dafür sogar eine Bezeichnung gibt: Gastrodiplomatie.
Der Wikipedia-Eintrag zu den Begriffen »Culinary Diplomacy« und »Gastrodiplomacy« vom 2. Juli 2013 mag erst gut ein Jahr alt sein, zeremonielle Mahlzeiten aber haben bereits seit den frühen Tagen der Diplomatie für Staaten und ihre Repräsentanten eine wesentliche Bedeutung. Schon im antiken Griechenland kamen konkurrierende Städte beim Mittagsmahl zusammen, um Streitthemen zu diskutieren und Verträge zu ratifizieren. Der ehemalige britische Premierminister, Winston Churchill, war bekannt für seine »Tabletop Diplomacy« und seine Vorliebe dafür, politische Gespräche beim Abendessen zu führen. Bis heute werden die politische Agenda, mulitlaterale Meetings und Verhandlungen rund um Mahlzeiten geplant und dabei Räumlichkeiten, Sitzordnung und Menüfolge genutzt, um non-verbale Botschaften zu senden. Als Präsident Obama und Präsident Medvedev 2010 den formellen Rahmen des Weißen Hauses verließen, um bei Ray’s Hell Burger leger zu Mittag zu essen, gingen die Fotos davon um die Welt.
Alessandra Roversi, MA in Food Culture & Communications, hat sich im Rahmen ihrer Masterarbeit[1] damit auseinandergesetzt, inwiefern unterschiedliche Staaten kulinarische bzw. Gastrodiplomatie betreiben. »Der Unterschied zwischen den beiden Konzepten liegt vor allem im Publikum, an das sie sich richten«, erklärt sie. Während sich kulinarische Diplomatie auf Eliten und diplomatische Kreise beschränke, ziele Gastrodiplomatie auf die breite Masse, insbesondere die ausländische Öffentlichkeit ab, erläutert Roversi. So hätten in den letzten Jahren mehrere Nationen Kampagnen mit dem Ziel gestartet, ihr kulinarisches Erbe über die Landesgrenzen hinaus zu vermarkten, um damit das Image ihres Landes zu stärken und wirtschaftliches Investment durch Tourismus und Handel anzukurbeln. Die meisten Kampagnen gehen von kleinen und mittelgroßen Staaten aus und richten sich momentan noch primär an Amerika und Hauptstädte, so Roversi. Ein Umstand, den sie darauf zurückführt, dass Esskultur als soft power gilt, die sich Staaten zunutze machen können, um ihr Defizit an militärischer oder wirtschaftlicher hard power zu kompensieren und ihr politisches Standing zu verbessern.
Mit der nationalen Esskultur von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe gelistet zu werden, steht hierbei bei vielen ganz oben auf der To-do-Liste. Frankreich ist dies 2010 mit der hohen Form der französischen Kochkunst als einem der ersten Länder gelungen. Vergangenes Jahr sind auch die japanische Kochkunst des Washoku, die koreanische Kimchi-Zubereitung und die uralte georgische Weinausbaumethode in Amphoren zum Weltkulturerbe erklärt worden. Mit BIORAMA hat Alessandra Roversi über Rolle und Chancen der Gastrodiplomatie gesprochen.
BIORAMA: Gibt es Erfolgsgeschichten von Staaten, denen es gelungen ist, ihre Esskultur als soft power einzusetzen?
Alessandra Roversi: Die Erfolgsmessung hinsichtlich soft power ist immer problematisch. Edward R. Murrow, ein ehemaliger Geschäftsführer der Informationsagentur der USA, hat einmal gesagt: »Keine Kasse klingelt, wenn ein Mann seine Meinung ändert.« Trotzdem können wir Länder beobachten, die signifikante Gastrodiplomatie-Programme implementiert haben und in den letzten Jahren auf der kulinarischen Bühne der Welt mehr geboten haben als andere. Peru und die Nordic Cuisine etwa haben dadurch an Popularität gewonnen und werden weltweit geschätzt.
Welche Länder sind die Big Player in Sachen Gastrodiplomatie? Wie sieht’s mit Europa aus?
Bei der berühmtesten Landesküche denken die meisten an Frankreich oder Italien. Dabei haben beide kein explizites Gastrodiplomatie-Programm mit definierten finanziellen oder personellen Ressourcen, wie es seit 2002 etwa in Thailand, Malaysien, Taiwan und Südkorea, aber auch in Peru und den Nordländern der Fall ist. Einige europäische Länder haben sich aktiv dafür eingesetzt, um mit ihrem kulinarischen Erbe von der UNESCO gelistet zu werden, eine gastrodiplomatische Strategie haben sie aber noch nicht entwickelt.
Im Fall von Korea ist von »Kimchi Diplomacy« die Rede, bei Taiwan von »Dim Sum Diplomacy«. Weshalb diese Reduzierung auf ein Nationalgericht?
Das sind simple Schlagworte für Kampagnen. Es ist viel einfacher, ein Gastrodiplomatie-Programm zu präsentieren, das sich in einem Wort zusammenfassen lässt. Essen wurde schon immer gerne verwendet, um eine nationale Identität auszudrücken: Krauts für die Deutschen, Frösche für die Franzosen oder Makkaroni für die Italiener. Leider werden solche Bezeichnungen häufig abschätzig gebraucht. Viele Länder sind aber stolz auf ihre Assoziation mit einem Produkt.
2015 findet die Expo in Mailand statt. Eine potenzielle Bühne für gastrodiplomatische Kampagnen?
Die Weltmessen sind seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein wichtiges Marketinginstrument für Nationen. Da das Thema der Expo 2015 einen kulinarischen Bezug hat (Anm. d. Red.: »Feeding the Planet« ist das Generalthema), wird es spannend werden zu sehen, wie sich Länder mit ausgeklügelten Gastrodiplomatie-Programmen im Vergleich zu anderen am Event präsentieren.
Gastrodiplomatie & kulinarische Diplomatie
Auslandsbeziehungen, in deren Rahmen Regierungen und Institutionen nationale Lebensmittel und Kochkunst als Kommunikationsmittel einsetzen.
Ziele:
- Einfluss bei Verhandlungen erhöhen
- Image stärken
- Inlandsinvestitionen werben
- Lebensmittelexporte und -handel fördern
- Gastro-Tourismus steigern
[1]
Alessandra Roversi MA, Visceral Diplomacy: how governments use food to engage with foreign audiences, Oktober 2013, Pollenzo