Liebe Mitmenschen mit Autos

Bild: flickr.com/Barkaw  – CC BY-NC-SA 2.0

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Ich mag euch ja und bin immer sehr dankbar, dass ihr mir ab und an eure Karre leiht. Ich fahre selber sehr gern Auto und verstehe sehr gut, warum ihr an den Dingern hängt. Ich bin euch auch nicht mehr böse, dass ich mit dem Rad schon ein paarmal in euren Dingern hing. Schwamm drüber, es tut auch nicht mehr weh. Eine FUZO-Polemik.

In den letzten Tag bin ich zunehmend genervt von eurem Geseier über die Fußgängerzone, Begegnungszone oder einfach kurz: FUZO in der Wiener Mariahilfer Straße und wirklich enttäuscht darüber, mit welchen – teils astrein chauvinistischen –Argumenten ihr euch als politische unkorrekte Avantgarde wähnt und euer Recht einklagt, überall und jederzeit eine Tonne Blech durch die Stadt bewegen zu dürfen, um mit Lärm und Abgasen zu unser aller Wohlbefinden beizutragen. Ihr seid keine marginalisierte Gruppe, sondern eine Gruppe, die seit über sechzig Jahren alle anderen am Verkehr teilnehmenden Gruppen marginalisiert.

Das genuin unvernünftige Ding

Stimmt schon, ihr habt die Freiheit, Auto zu fahren. Aber glaubt mir bitte, dass eine Fußgängerzone nichts mit der Beschneidung eurer Bürgerrechte zu tun hat. Auf die Idee könnte man nämlich kommen, wenn ihr euch in euren Kommentaren als die letzten aufrechten Demokraten stilisiert, wobei ihr als urbane Menschen sehr viele Redneck-Qualitäten offenbart. Niemand will euch eure Freiheit nehmen, genuin unvernünftige Dinge zu tun, die nur euch ganz allein betreffen: Ihr könnt weiterhin, wenn ihr das wollt, vorm Einschlafen einen doppelten Espresso trinken, Chillipulver schnupfen, den Fön in der Badewanne verwenden oder von mir aus auch auf LSD Crack rauchen (oh, letzteres ist tatsächlich verboten, sorry). Euer Autofahren betrifft aber uns alle.

Eure Autos sind eine Umverteilungs­maßnahme von uns zu euch

Wir alle finanzieren euer Autofahren mit. Dabei geht es nicht nur um Dinge wie Abwrackprämie oder Pendlerpauschale. Wir alle bezahlen auch die Straßen, die vornehmlich ihr benützt. Klar, die LKWs, die das Zeug, das ich im Supermarkt oder sonst wo kaufe, liefern, befahren die auch. Die fahren aber nicht so sinnlos – sorry, ineffizient – durch die Gegend wie ihr. Wenn das so wäre, gebe es keine Frächter mehr, weil die alle pleite wären.

Bild: flickr.com/Daniel Kapulla – CC BY 2.0

Bild: flickr.com/Daniel Kapulla – CC BY 2.0

Eure Regeln sind für uns sinnlos

Wir sind alle mit Regeln konfrontiert, die es nur gibt, damit ihr ungestört Autofahren könnt. Ungestört heißt eben auch, ohne uns an- oder umzufahren. Die Reglementierung öffentlicher Verkehrsflächen ist vor allem auf eure Bedürfnisse zurückzuführen und nicht auf unsere. Eine Stadt, in der nur Fußgänger unterwegs sind, würde gar keine Regeln brauchen, kaum Flächen kennen auf denen man nicht gehen oder stehen dürfte. Mit Radfahren wird es dann schon etwas komplizierter. Eine Rechtsregel würde aber wohl reichen und es gäbe noch immer genug Platz, um zu Fuß oder per Rad ungefährdet und zügig voran zu kommen. Eure Autos brauchen aber ganz viele Regeln, die uns alle in unseren Freiheiten beschneiden und zum Stillstand zwingen. Dennoch warten wir meist, weniger geduldig als ungeduldig, bevor uns eine Lampe erlaubt, jetzt die Straße überqueren zu dürfen. Von einer „Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer“ zu schwadronieren, wie das Christian Weissinger, Initiator der Facebook-Seite „Gegen Mariahilferstraßenumbau“, tut, entbehrt in Anbetracht des Ausmaßes des Automobilverkehrs jeglicher Grundlage.

Eure Autos besetzen unseren Lebensraum

Wenig gerecht scheint mir auch, dass Grünflächen im 6. Wiener Gemeindebezirk (Mariahilf) nur zwei Prozent, Verkehrsflächen (dabei sind Parkplätze miteingeschlossen) aber 30 Prozent ausmachen – die entsprechenden Zahlen für den 7. Bezirk (Neubau) liegen bei drei Prozent bzw. 24 Prozent. Ich benutze die Straßen auch – zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit Öffis. Dabei brauch ich aber nur temporär einen Bruchteil des Platzes, den ihr permanent belegt. Auch hier kann man nicht ernsthaft von Gleichberechtigung sprechen. Eure Karren brauchen allein beim Rumstehen – was sie ja so gut wie immer tun – schon ca. zehn Quadratmeter. Ganz ehrlich, das was ihr dafür zahlt, dass ihr unser aller Lebensraum mit eurem Privatgerümpel zumüllen könnt, ist, gelinde gesagt, ziemlich lächerlich. Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, wie man Raum in der Stadt sinnvoller als für Straßen oder Parkplätze nutzen könnte? Wäre es nicht auch schön, wenn Kinder, die in Neubau aufwachsen, vom Anblick eines Baumes und nicht eines Autos überrascht wären? Ja, das war gerade populistisch, aber irgendjemand muss ja auch mal an die Kinder denken.

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Eure Autos schädigen auch unsere urbane Umwelt

Natürlich, es wär auch vernünftig, die Ressourcen, die die Herstellung und der Betrieb eurer Autos verbrauchen, anderweitig zu verwenden. Ich bin zwar weit davon entfernt zu behaupten, dass ihr selbst abgedrückt habt, gebe aber zu bedenken, dass für die Aufrechterhaltung der Rahmenbedingungen eines „fossilistischen“ – also auf Erdöl basierenden – Lebensstils Kriege geführt werden. Euer Autofahren ist ein zentraler Eckpfeiler dessen. Ganz zu schweigen davon, dass eure Abgase den Klimawandel anheizen. Nicht mit dem Auto fahren, würde das natürlich verlangsamen. Keines zu besitzen uns Chancen eröffnen, die Auswirkungen des Klimawandelns abzufedern. Eine davon ist nämlich ein längerfristiges Ansteigen der Temperaturen in Wien. Dem lässt sich nicht nur durch die Aufrüstung unsere Gebäude in stromsaugende Kühltruhen beikommen. Effizienter und ökologischer wäre es, auf Verdunstungskühle zu setzen. Das funktioniert aber nur, wenn wir das Wasser im Sommer in der Stadt halten können. Dazu könnte man Fassaden und Dächer begrünen und dort, wo eure Autos jetzt rumstehen, Grünflächen schaffen und Bäume pflanzen. Aber da stehen ja eure Autos rum, weshalb wir eben einfach alle ein bisschen mehr schwitzen. Aber klar, eure Autos haben eh bereits jetzt eine Klimaanlage – und verbrennen so noch ein bisschen mehr Sprit.

Eure Autos sind ein Sicherheitsrisiko – sie töten uns und euch selbst

Physik find ich des Weiteren auch ungerecht, vor allem den Teil mit „T=1/2mv²“. Das heißt nämlich, dass kinetische Energie von der Masse und von der Geschwindigkeit zum Quadrat dieser abhängt. Da Fahrradfahrer tendenziell etwas leichter und langsamer sind, als ihr es in euren Autos seid (und auch keine Knautschzone haben), schneiden sie im direkten Duell eher schlecht ab. Fußgänger genauso, habt ihr vielleicht aber ohnedies schon bemerkt. Und selbst wenn sich Fahrradfahrer „rowdyhaft“ verhalten, haben die nur einen Bruchteil eures Schadenpotentials. 2012 wurden in Wien 265 Fußgänger und 127 Fahrradfahrer schwer verletzt, diesen stehen 73 schwer verletzte PKW-Lenker gegenüber. Gesamt 24 Personen starben im Wiener Straßenverkehr, darunter 16 Fußgänger, aber nur (bitte nicht falsch verstehen) zwei PKW-Lenker.

Back to the FUZO

Wenn euch das alles wirklich neu ist, dann lasst die Karre in Zukunft einfach öfter einmal stehen, und wir reden einfach nicht mehr darüber. Passt schon. Geht zu Fuß, fahrt mit dem Rad oder nehmt die Öffis. Wenn ihr das aber eh schon seit Jahren wisst, dann hilft es auch nicht, öffentlichen Verkehr und Fahrradfahren attraktiver zu machen. Dann ist das einzige, das funktioniert, euch das Autofahren zu vermiesen. Und das klappt nun mal am besten, in dem man Verkehrs- und auch Stellflächen anderen Verkehrsteilnehmern exklusiv zur Verfügung stellt. Sorry Leute, aber Raum ist in einer so dicht bebauten Stadt wie Wien nun mal begrenzt, und ihr braucht einfach zu viel davon.

Ob die FUZO in ihrer aktuellen Form der Weisheit letzter Schluss oder Kurzschluss ist, darüber kann und wird man streiten. Deswegen heißt es ja aber auch Testphase. Was aber wohl bleiben wird, ist das Fahrverbot auf der Mariahilferstraße und die Intensität des Verkehrs in den Parallelstraßen. Natürlich dürft ihr weiterhin darüber jammern, wenn ihr euch und eure Kumpels permanent zustaut. Aber Leute, für den Stau seid nur ihr selber mit eurem Verhalten verantwortlich. Die Rahmenbedingungen werden sich (hoffentlich und vernünftigerweise) nicht mehr zu euren Gunsten verändern. Seit der Reichsgaragenordnung 1939 galt die „autogerechte Stadt“ als Leitbild, aber das verblasst mittlerweile zusehends (oder wurde mittlerweile auch schon von Puber übersprayed, womit ich nun die beiden großen Sommerthemen zusammengeführt hätte).

Nutzt doch die Testphase und versucht neue Arten der Mobilität für euch zu entdecken. Solltet ihr selbst Anrainer an einer der Ausweichstraßen sein, organisiert euch und regt weitere Verkehrsberuhigungen an, wenn ihr nicht in und an eurem eigenen Mobilitätsverhalten ersticken wollt. Wahlweise könnt ihr auch gern vor euch hinsudern und raunzen. Aber ab jetzt bitte still und leise. Über sechzig Jahre hat das Auto die Stadt dominiert und nun ändert sich das halt langsam. Deal with it! Die Stadt gehört uns allen und nicht nur euren Karren.

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