Fußball wie in Amazonien – Interview
Als Kontrastprogramm zur Fußball-WM in Brasilien lud das Klimabündnis uns ein, Fußball wie in Amazonien zu spielen, barfuß und mit anschließendem Flussbad. Den Ankick machte Almerinda Ramos de Lima, Präsidentin des Dachverbandes der indigenen Gemeinschaften am Rio Negro (FOIRN), wir sprachen mit ihr über den Klimawandel, die WM und den Kampf der Indigenen um ihre Rechte.
BIORAMA: Frau Ramos, wie gefällt Ihnen Österreich?
Almerinda Ramos de Lima (Ramos): Mir gefällt Österreich sehr gut, das Land und die Menschen, und auch die Regierung, wegen der Erfahrungen, die wir als indigene Organisation in Brasilien gemacht haben. Wir haben hier in Österreich gesehen, dass die Regierung, die Ministerien mit zivilen Organisationen zusammenarbeiten, wie auch mit dem Klimabündnis und dass dabei sehr interessante Projekte umgesetzt werden. Das ist etwas, dass es in der Form in Brasilien nicht gibt.
BIORAMA: Ist die Zusammenarbeit mit der brasilianischen Regierung schwierig?
Ramos: Für indigene Organisationen wie uns schon, ja.
BIORAMA: Wie lange gibt es die FOIRN schon und was ist ihr Ziel?
Ramos: Die FOIRN wurde vor 27 Jahren gegründet, mit dem Ziel für die Rechte der indigenen Bevölkerung einzustehen, es gab damals den Vorschlag der Regierung, unser Land in kleine indigene Besitzungen zu unterteilen, wir wollten aber das ganze zusammenhängende Gebiet als unser Land anerkannt und unter Schutz gestellt bekommen. Die Regierung wollte das nicht, sondern wollte das Land in kleine Stücke teilen, damit dazwischen die Bergbauunternehmen, die Goldwäscher und andere Firmen den Wald ausbeuten können. Um für das Recht auf unser traditionelles Gebiet zu kämpfen, wurde die FOIRN gegründet. Das zweite große Ziel war die Stärkung unserer eigenen Kultur, der indigenen Wertesysteme zum Umgang mit der Natur, der Sprache und anderem.
BIORAMA: Ist es gelungen, das Gebiet als ein zusammenhängendes indigenes Territorium anzuerkennen?
Ramos: Ja, es ist gelungen, 1998 hat die Regierung 114.000 km² zusammenhängendes Gebiet unter Schutz gestellt, vor einem Jahr ist es gelungen weitere 8.000 km² hinzuzufügen, so entstand eines der größten Regenwaldschutzgebiete in Amazonien und dadurch, dass es jetzt anschließt an das Schutzgebiet der Yanomami und an Schutzgebiete in Venezuela und Kolumbien ist es wahrscheinlich eines der größten zusammenhängenden Waldschutzgebiete weltweit. Es gibt allerdings auch noch andere Regionen am Rio Negro, die bisher nicht als Schutzgebiet anerkannt wurden, da kämpfen wir noch darum, dass die Regierung diesen Prozess weiterführt und abschließt.
BIORAMA: Was war Ihre persönliche Motivation sich in der indigenen Bewegung zu engagieren?
Ramos: Mein Vater war bereits in den 80er Jahren einer der Anführer der indigenen Bewegung, die um die Anerkennung des Landes gekämpft hat. Er hat die erste indigene Organisation in der Region am Uaupes Fluss gegründet, und damit habe ich schon als Kind diese Organisation kennengelernt und miterlebt, wie schwer es war überhaupt von der Regierung gehört zu werden, später habe ich dann auch begonnen, in Frauengruppen zu arbeiten. Ich war selbst Obfrau einer lokalen Frauenorganisation, die auch Mitglied der FOIRN ist und vor eineinhalb Jahren wurde ich dann zur Präsidentin des Dachverbandes gewählt.
BIORAMA: Als erste Frau oder?
Ramos: Ja!
BIORAMA: Was sind momentan die größten Probleme der Indigenen am Rio Negro?
Ramos: Unsere Hauptprobleme sind politischer Art, die FOIRN setzt sich dafür ein, dass die Rechte der Indigenen auch vom Staat respektiert und erfüllt werden. Wenn Probleme auftreten, kommen die Menschen zu uns und erwarten, dass die FOIRN für sie eintritt. Daher fordern wir von der Regierung ein, dass sie in unserer Region die Bevölkerung im Schulbereich, im Gesundheitsbereich und ähnlichem unterstützt. Das heißt, wir üben eine soziale Kontrolle auf die Regierung aus und verhandeln mit den Behörden und Politikern darüber, dass sie die Maßnahmen setzen, die uns zustehen. Außerdem gibt es viele konkrete Projekte, die unsere Organisationen vor Ort umsetzen und die dann als positive Beispiele für die Regierungspolitik dienen. Wir kartografieren unsere heiligen Orte und haben erreicht, dass sie als brasilianisches Kulturerbe anerkannt werden. Wir haben erreicht, dass die Sprachen der Indigenen als Unterrichtssprachen verwendet werden, das war zuerst schwierig, da man sie erst einmal verschriftlichen musste. Wir haben im Lehrplan das westliche Wissen mit indigenen Inhalten kombiniert. Die Regierung hat das anerkannt und zahlt nun die Lehrer in ca. 300 Grundschulen, die auf diese Art und Weise funktionieren, Mittel- und Oberstufenschulen haben hier noch Probleme. Wir arbeiten auch an einem Universitätsstudium für indigene Führungskräfte. Auch hier soll westliches mit indigenem Wissen verbunden werden, da kommt es schon mal vor, dass sich Klimaforscher aus Manaus und indigenen Schamanen über Klimaveränderungen unterhalten, die einen haben Datenreihen, die anderen sitzen jeden Tag vor ihrer Hütte und beobachten die Sterne. Sie sehen, dass sich die Insekten anders verhalten, wie die Fischwanderungen sich verändern oder dass die Früchte andere Reifezeiten haben.
BIORAMA: Wie macht sich der Klimawandel am Rio Negro am stärksten bemerkbar?
Ramos: Wir haben einen Mond- und Sternkalender, nach dem wir uns früher orientiert haben, das ist heute oft nicht mehr möglich, durch die Klimaveränderungen verändern sich auch Niederschläge und Trockenzeiten. Die Region liegt ja direkt am Äquator und auf Grund der Tausenden Jahre Lebenserfahrung in der Region konnten wir eben durch Beobachtung der Sterne und Mondphasen Regenzeiten und Trockenzeiten vorhersagen. Danach haben wir dann die Felder gerodet, getrocknet und angezündet um danach etwas anzupflanzen. Mittlerweile sind die Trockenzeiten entweder sehr extrem und halten so lange an, dass die Pflanzen vertrocknen oder es regnet durch und wir können die Felder nicht abbrennen und müssen noch ein weiteres Jahr mit den alten Feldern durchkommen, das ist schwierig, weil die Böden in der Region sehr schlecht sind.
BIORAMA: Wie kam es zur Gründung des Klimabündnisses?
Johann Kandler (Klimabündnis): Das Klimabündnis ist entstanden nach der Ermordung von Chico Mendes, er war einer der Anführer der Kautschukzapfer im Südwesten Amazoniens, wo ich selbst mit ihm gearbeitet habe, und auch mit anderen, die den Widerstand der Kautschukzapfer organisiert haben. Sie wehrten sich gegen die Großgrundbesitzer, die in die Region eingedrungen sind und die Einheimischen teilweise brutal vertrieben und riesige Flächen gerodet haben. Die Zerstörung wurde immer schlimmer und so auch der Widerstand der Kautschukzapfer. Daraufhin haben die Großgrundbesitzer einen Auftragskiller geschickt um Chico Mendes zu ermorden, das war 1988. Das Thema der Regenwaldzerstörung war damals sehr stark. Mit der Nachricht vom Tode Chico Mendes‘ entstand die Idee eine Partnerschaft zu gründen zwischen europäischen Städten und Gemeinden und indigenen Organisationen im Regenwald Amazoniens um diese Menschen zu unterstützen. Die Unterstützung ist dann auf dreierlei Arten passiert: In erster Linie politisch, indem man durch die Kontakte mit indigenen Organisationen den Behörden vor Ort bewusst macht, dass die Indigenen Aufmerksamkeit in Europa, in Nordamerika haben, und sie dadurch praktisch gezwungen hat, auch die indigenen Führungskräfte zu empfangen und mit ihnen zu reden, was vorher völlig unvorstellbar war. Dann die ideelle Unterstützung indem wir gesagt haben wir müssen vor allem in Österreich an der Bewusstseinsbildung arbeiten, damit die Leute hier ihr Leben verändern, um die indirekten Effekte auf die Waldzerstörung durch Fleischkonsum, Sojaverbrauch oder andere Rohstoffe, wie Bauxit für Aluminium oder Tropenhölzer einzudämmen. Wir wollen diese Zusammenhänge aufzeigen und dadurch indirekt den Kampf der Indigenen unterstützen. Das Dritte war dann erst die finanzielle Unterstützung, aber nicht durch Spenden, sondern als eine solidarische regelmäßige Unterstützung, die die Mitgliedsgemeinden übernommen haben. Damit war es möglich, den Indigenen langfristig Sicherheit zu geben. Sie können darauf vertrauen, dass über Jahre Unterstützung kommt. Das hat sicher dazu beigetragen, dass die FOIRN eine der stärksten indigenen Organisationen geworden ist, die heute nicht mehr ignoriert werden kann, im Gegenteil heute sind sie in vielen Arbeitsgruppen vertreten, mit der Regierung und mit den Ministerien.
BIORAMA: Brasilien ist ein „Schwellenland“, das sich gerade enorm entwickelt, dabei hört man in Klimadiskursen immer wieder das Argument „Wir brauchen die Rohstoffe, die Ressourcen des Regenwaldes um uns weiterzuentwickeln“, ist es schwierig, diese Vorstellung von Fortschritt zu überwinden?
Ramos: Das ist ein Entwicklungsmodell, das die Interessen der indigenen Bevölkerung nicht mit einbezieht, und auch nicht die Interessen der ärmeren Bevölkerung Brasiliens, sondern vorrangig die des Agrobusiness und der Großgrundbesitzer sowie der Bergbauunternehmer, die die natürlichen Reichtümer des Regenwaldes ausbeuten wollen und sich dabei bereichern, während ein großer Teil der Bevölkerung kaum einen Nutzen davon hat. Aus unserer Sicht ist das kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt, daher versuchen wir da gegenzusteuern. Unsere Idee von Entwicklung hat viel mit Nachhaltigkeit zu tun.
BIORAMA: Auch im Vorfeld der Fußball-WM 2014 kam immer wieder das Argument sie sei gut für Brasilien, es kämen so viele Investoren und viel Aufmerksamkeit ins Land. Sehen Sie die WM als Chance auf Probleme aufmerksam zu machen?
Ramos: Die Streiks und Proteste, die in den letzten Monaten stattgefunden haben, zeigen, dass den Menschen bewusst ist, dass eigentlich nur eine kleine Gruppe von Leuten von dieser Weltmeisterschaft profitiert und dass die Probleme der Bevölkerung in den letzten Jahren nicht beachtet worden sind. Jetzt haben wir die Chance die Aufmerksamkeit zu nützen, Druck zu machen, zu zeigen, wie schwer die Arbeitsbedingungen sind, für Busfahrer, für Lehrer und andere. Wenn sie ihre Forderungen einbringen, dann sagt die Regierung es gibt kein Geld, aber wenn sie dann Stadien bauen sehr wohl. Der Großteil der Brasilianer wird von der WM nichts haben. Als Beispiel: In Manaus wurde ein luxuriöses Stadion gebaut, wo aber nur vier Spiele stattfinden, die Eintrittspreise sind so hoch, dass wir Indigenen gar nicht daran denken können uns so ein Spiel anzusehen und was danach sein wird, weiß eigentlich niemand, weil in Manaus niemals so viele Menschen zu einem Fußballspiel gehen.