Früchte aus Übersee: „Was zählt, ist die Transparenz“
Volkert Engelsman, Geschäftsführer von Eosta, erklärt, warum er lieber Bio-Äpfel aus Argentinien als konventionelle Äpfel aus Tirol isst. Und warum das mit der Regionalität so eine Sache ist.
Banane, Ananas und Co. bringen im Winter Farbe auf den Teller und sagen als bunte Vitaminlieferanten dem Winterblues den Kampf an. Doch immer mehr Verbraucher sorgen sich um die Umweltbilanz der exotischen Früchte. Schließlich sind diese meist aus Übersee importiert und damit auf den ersten Blick alles andere als „regional“. Volkert Engelsman, Geschäftsführer von Eosta, einem internationalen Handelsunternehmen für Bio-Obst und -Gemüse, rät jedoch zu einem differenzierteren Regionalitätsbegriff. Wichtig sei immer, sich als Verbraucher vorab über den Händler zu informieren – unabhängig davon, ob nun der Erzeuger um die Ecke oder aber am anderen Ende der Welt lebt. Dann spreche auch nichts gegen den Einkauf der exotischen Früchte.
Laut dem „Ernährungsreport 2016“ ist es 76 Prozent der Deutschen wichtig, dass die Lebensmittel aus der Region stammen. Herr Engelsman, was steckt hinter diesem Trend?
Volkert Engelsman: Wenn Verbraucher von Regionalität sprechen, dann ist dies ein hochgradig emotional besetzter Begriff: Sie sprechen dann nicht in erster Linie von räumlicher Nähe, sondern vor allem von Glaubwürdigkeit und Authentizität. Mit einem regionalen Hersteller verbinden sie eine Beziehung zwischen Erzeuger und Verbraucher, die in der modernen Nahrungsmittelindustrie vielfach verloren gegangen ist. Denn wenn der Erzeuger um die Ecke wohnt, dann sind seine Anbaumethoden für mich als Verbraucher transparent. Ich kann mich mit eigenen Augen von seiner Anbauweise überzeugen, kann ihn fragen, ob er auch selbst von seinem Gemüse isst oder was vom Preis an der Kasse für ihn übrigbleibt.
Je weiter ein Erzeuger jedoch vom Verbraucher entfernt ist, desto mehr muss er sich auf die Einschätzung von Dritten verlassen, um eine informierte Kaufentscheidung treffen zu können. Deshalb setzen wir von Nature & More schon immer auf größtmögliche Transparenz, um wieder eine Bewusstseinsbrücke zwischen Verbraucher und Erzeuger zu schlagen. Nur durch umfassende Information lässt sich Vertrauen aufbauen.
Aber ist „regional“ denn nicht grundsätzlich besser?
Volkert Engelsman: Tatsächlich müsste man erst einmal klären, was überhaupt unter „regional“ zu verstehen ist. Wie bereits angedeutet, verbindet der Verbraucher damit eher eine gefühlte als eine räumliche Nähe. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass er je nach Produkt unterschiedliche Toleranz- und Akzeptanzschwellen angibt, was „regional“ ist und was nicht. Bei Gemüse wie Brokkoli umfasst die Region meist wirklich nur die unmittelbare Umgebung. Bei Obst würde der Durchschnittsverbraucher sagen: ‚Ja, Äpfel am liebsten aus der Region. Aber wenn ich in Berlin wohne, habe ich auch kein Problem damit, wenn das Obst aus dem Alten Land oder Tirol kommt.‘ Hier wird der Begriff also schon ein bisschen breiter. Und wenn’s dann beispielsweise um Zitrusfrüchte geht, dann kann auch Spanien, Sizilien oder Griechenland als Region wahrgenommen werden. Offensichtlich gibt es also eine Art Staffelung, die sich nicht an einem bestimmten Kilometer-Radius vom eigenen Standort aus festmachen lässt. Um eine bewusste Kaufentscheidung treffen zu können, reicht die unscharfe Kategorie „regional“ also allein nicht aus.
Ich sage immer: eine gute Ananas ist 70 Prozent guter Geschmack und 30 Prozent die Geschichte dahinter.
Was würden Sie Verbrauchern denn sagen, die lieber zu einheimischen Bio-Äpfeln greifen als zu Bio-Äpfeln aus Argentinien?
Volkert Engelsman: Sie haben auf jeden Fall Recht. Allerdings würde ich ihnen auch einige Punkte zu bedenken geben. Die Vorstellung zum Beispiel, dass heimisches Obst eine bessere Umweltbilanz hat, trifft nicht grundsätzlich zu. Nach einem halben Jahr Lagerung (vor allem bei Ultra Low Oxygen (ULO)-Lagerung) ist der Energieaufwand für einen deutschen Bio-Apfel zum Beispiel größer als für einen frisch geernteten Bio-Apfel aus Argentinien, der per Schiff nach Deutschland transportiert wird. Und nicht nur das: Auch der Geschmack leidet durch die lange Lagerung natürlich – darüber sollte sich jeder Verbraucher bewusst sein.
Abgesehen davon, sollte auch nicht nur den Klima-Fußabdruck in die eigene Kaufentscheidung einbezogen werden. Wie hält es der Erzeuger zum Beispiel mit Wasser, Biodiversität, Boden oder sozialen Kriterien? Wir von Nature & More geben dem Verbraucher so viele Informationen wie möglich an die Hand, damit er eine eigene und informierte Kaufentscheidung treffen kann. Und wenn er sich dann entscheidet, dass der Klima-Impact für ihn wichtiger ist als der soziale Fußabdruck, gerne. Ich sage immer: eine gute Ananas ist 70 Prozent guter Geschmack und 30 Prozent die Geschichte dahinter.
Bio-Äpfel aus Argentinien oder konventionelle Äpfel aus Tirol, wozu würden Sie hier greifen?
Volkert Engelsman: Sofort zu den Äpfeln aus Argentinien. Die schmecken wesentlich besser, frischer, knackiger. Außerdem sind sie besser für’s Klima, wenn einheimische Äpfel nicht gerade Saison haben. Und nicht zuletzt unterstützt man durch den Kauf eine nachhaltige Landwirtschaft, die den Menschen vor Ort ein stetes Auskommen sichert. Eine Art Entwicklungshilfe, wenn man so will.
Wir haben fantastische Projekte in der patagonischen Wüste in Argentinien, wo ein Pfarrer indigenen Jugendlichen hilft, Bildung zu erhalten, sich in der Freizeit sportlich zu betätigen, regelmäßig und vollwertig zu essen (One Cent for the Future-Kampagne). Das ist doch spitze – und wir sind froh, solche Projekte durch unsere Bio-Äpfel mit möglich zu machen!
Mit der Nachfrage nach Übersee-Bio geben wir den Landwirten in Entwicklungs- und Schwellenländern zudem ein wichtiges Signal. Nämlich, dass Bio eine lohnenswerte, zukunftsfähige Alternative ist zum Chemie-Einsatz in der konventionellen Landwirtschaft. Wir schaffen für sie positive Anreize, auf Bio umzustellen. Der positive Beitrag, den wir durch unseren Kauf dort leisten, kommt uns letztendlich auch hier wieder zugute – schließlich leben wir ja alle auf dem gleichen Planeten.
Tropische Früchte wie Ananas und Mango wachsen klimabedingt nicht bei uns. Worauf sollten Verbraucher beim Kauf achten?
Volkert Engelsman: Transparenz ist bei den Produkten ganz entscheidend: Und zwar nicht nur in Sachen Herkunft, Erzeugung, Transport, sondern gerade auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit unter besonderer Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Aspekten. Am besten sollten Verbraucher dabei auf Produkte von Erzeugergemeinschaften setzen, die nicht nur pestizidfrei arbeiten, sondern auch etwas für den Boden und die Biodiversität tun sowie sich für faire Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter einsetzen. Dazu gehört für mich, dass die Mitarbeiter ihre Kinder ernähren und in die Schule schicken können, anständig leben und wohnen können, ordentliche Arbeitsverträge haben, soziale Absicherung und eine respektvolle Behandlung genießen. Darauf sollte auf jeden Fall geachtet werden – denn mit jeder Kaufentscheidung, die wir treffen, stimmen wir dafür ab, in welcher Welt wir leben wollen.
Ad personam: Volkert Engelsman, Eosta:
1990 gründete Volkert Engelsman das Bio-Handelsunternehmen Eosta mit dem Ziel, ein Unternehmen zu schaffen, das Ökonomie und Ökologie harmonisch verbindet. Heute zählt Eosta zu den größten Handelsunternehmen für Bio-Obst und -Gemüse weltweit. Für das eigens entwickelte Trace & Tell-System der Eigenmarke Nature & More, mit dem die Herkunft der Produkte bis zum Erzeuger zurückverfolgt werden kann, ist Eosta bereits mehrfach mit internationalen Nachhaltigkeitspreisen ausgezeichnet worden. Zudem engagiert sich das Unternehmen in zahlreichen Kampagnen. Mit der internationalen Kampagne „Save Our Soils – Rettet unsere Böden“ setzt sich Eosta für die Verbreitung bodenfreundlicher Bio-Anbaupraktiken ein. 2016 rief das Unternehmen nun die internationale Kampagne zur Preistransparenz „Was unser Essen wirklich kostet“ gemeinsam mit der IFOAM – Organics International ins Leben. Mehr zu Nature & More und zur Kampagne unter: www.natureandmore.de