Frozen – Office Edition
Frieren am Arbeitsplatz? Temperaturempfinden ist individuell, aber trainierbar.
Der nächste Winter kommt bestimmt. Was die einen heiß ersehnen, lässt andere völlig kalt – häufig sogar wortwörtlich. Am Arbeitsplatz lässt das Stimmung und Konzentration oftmals gen Nullpunkt sinken. Denn selbst wenn es rechtlich betrachtet warm genug wäre, muss man das noch lange nicht so empfinden: In Deutschland liegen die Untergrenzen bei geringer körperlicher Belastung bei 20 und in Österreich bei 19 Grad. Nicht einmal bei einer laut der Universität Helsinki produktivitätsfördernden Raumtemperatur von 22 Grad wird allen gleichermaßen warm ums Herz werden. Eher nur Männern: Laut einer US-Studie bevorzugen Männer Temperaturen um 22, Frauen dagegen 25 Grad.
Gerade rund um das Jahr vollklimatisierte US-Büros sind mit 20 bis 23 Grad häufig zu kalt – vor allem für Frauen: 40% aller Frauen frieren im Büro, dagegen nur 18% aller Männer, so eine US-Studie. Schuld daran ist ein 40-jähriger, 70 Kilogramm schwerer weißer Anzugträger aus den 1960er-Jahren. Er diente als Referenzmodell für die Einstellung von Klimaanlagen und bildet auch heute noch einen weitgehend unhinterfragten Standard, der auch noch im 21. Jahrhundert für »Gänsehaut« sorgt.
Die beiden Studien verdeutlichen zudem, dass es beim Thema Temperatur stark unterschiedliche Präferenzen gibt. Denn während die Körpertemperatur über 8 Milliarden Menschen hinweg mit 36 bis 37 Grad beeindruckend stabil ist, sind die Schwankungen im Temperaturempfinden deutlich größer. Verantwortlich dafür sind die jeweils individuellen körperlichen Eigenschaften hinsichtlich Wärmeproduktion,
-speicherung und -empfinden.
Temperaturempfinden lässt sich trainieren?
Wärme entsteht als Nebenprodukt der Muskelaktivität. Die Muskelmasse wiederum ist vom persönlichen Trainingszustand abhängig. Geschätzt mehr als zehn Prozent der Bevölkerung schummeln aber bei der Wärmeproduktion: Sie verfügen über braunes Fettgewebe, das Energie direkt in Wärme umwandeln kann. Das schützt Neugeborene vor Auskühlung, verschwindet aber bei den meisten Menschen in den ersten Lebensjahren. Die Fähigkeit zur Wärmespeicherung hängt dagegen vor allem vom Verhältnis von Volumen zu Hautoberfläche, Fettpolstern und Dicke der Haut ab.
Wärmeproduktion und -speicherung bilden die Grundlagen für das System der Thermoregulation. Dieses baut auf über 300.000 Kälte- und etwa 30.000 Wärmerezeptoren auf durchschnittlich 1,5 bis 2 Quadratmeter Hautfläche – besonders viele im Bereich des Gesichts. Über Nervenbahnen laufen diese Informationen im Hypothalamus zusammen. Dieser arbeitet wie ein Thermostat und vergleicht beständig die Soll- mit der Ist-Temperatur und aktiviert entsprechende Regelkreisläufe – Zittern, um die Temperatur zu erhöhen, Weitung der Gefäße, Erhöhung der Durchblutung und Schwitzen zum Kühlen.
Dieses System der Thermoregulation ist aber nicht erfahrungsresistent – wer lange in kalten Breiten lebt, passt sich besser an die niedrigen Temperaturen an – und lässt sich durch regelmäßigen Aufenthalt in kalter Umgebung trainieren. Wechselbäder, kalt-warmes Duschen, Saunabesuche und auch Kneippen verbessern zudem die Kapazität der Blutgefäße zur Wärmeregulation. Das Kälteempfinden ist aber auch von der Tagesverfassung abhängig: Wer müde ist, friert schneller, weil sich die Blutgefäße erweitern und in Folge die Körpertemperatur sinkt.
Frieren Frauen leichter?
Während das individuell durchaus anders sein kann, gelten Frauen als kälteempfindlicher. Im Schnitt verfügen Männer über mehr Muskelmasse, ein günstigeres Verhältnis von Hautflächen zu Volumen und eine dickere Haut – selbst wenn das im Arbeitsalltag nicht immer augenscheinlich sein sollte. Die Kälterezeptoren sitzen bei Frauen näher an der Oberfläche und sind somit exponierter. Die weibliche Thermoregulation begünstigt die Erhaltung der Kerntemperatur auf Kosten von Händen und Füßen, was als Schutzfunktion für ungeborene Kinder gedeutet wird. Ähnlich verhält es sich mit der durch das Hormon Östrogen begünstigten höheren Fettproduktion: Diese dient der besseren Isolation, zugleich aber auch als Nährstoffspeicher. Zumindest in der Theorie: Ein entsprechend hoher Körperfettanteil wird durch sozial vorherrschende Körperideale ausgebremst. Wer schön sein will, muss frieren.
Auch ältere Menschen frösteln schneller: Die Muskelmasse nimmt im Alter ab und die Haut wird dünner. Damit wird es schwieriger, die Körpertemperatur zu regulieren. Verstärkt wird dies oftmals durch einen krankheitsbedingt gedrosselten energetischen Grundumsatz.
Die Suche nach der Wohlfühlzone
Die zwei offensichtlichsten Möglichkeiten, für Wärme zu sorgen, sind physikalische Maßnahmen wie das Zuführen von Hitze (mittels Heißgetränken) und die Optimierung der Isolationskapazität (Kleidung). Wer einen Heizstrahler oder Ähnliches am Arbeitsplatz aufstellen möchte, sollte das unbedingt mit den Vorgesetzten abklären. Nicht nur verbraucht der Strom, den das Unternehmen bezahlt, es knüpfen sich auch versicherungsrechtliche Fragen daran: Wer haftet bei einem etwaigen Brandfall oder bei unsachgemäßer Bedienung?
Eine andere Möglichkeit, es sich erträglicher zu machen, ist die Senkung des Kälteempfindens durch Abhärtung oder die Erhöhung des Energiedurchsatzes durch Morgensport – zumindest in der Theorie möglich. Auf ausreichend Schlaf zu achten ist ebenso hilfreich, wenngleich nicht immer leicht mit dem vorhergehenden Vorschlag zu kombinieren.
Letztlich führt kein Weg daran vorbei, sich gemeinsam auf eine Raumtemperatur zu einigen, mit der alle MitarbeiterInnen am Arbeitsplatz leben können und die nicht wahlweise zu Frostbeulen oder Hitzewallungen führt. Die Erfahrung zeigt, dass die Frage der richtigen Raumtemperatur oftmals ein ausgezeichneter Reibungspunkt ist und für hitzige Debatten sorgen kann, die die Kälte zumindest kurzfristig vergessen machen.