Frankreichs Ur-Kino – Werner Herzogs „Die Höhle der vergessenen Träume“
Werner Herzogs neue Doku “Cave of Forgotten Dreams” fühlt sich an wie eine Exkursion der besonderen Art mit einem schrulligen Lehrer.
Die Chauvet-Höhle im Flusstal der Ardèche wurde 1994 entdeckt, nachdem sie Jahrzehnte lang durch einen Felssturz gleichsam versiegelt war. Die Gemälde sind dementsprechend gut erhalten – ein Umstand, den es zu wahren gilt, weshalb der Zutritt zur Höhle bisher nur sehr wenigen Menschen erlaubt war. Werner Herzog gelang es, einen Deal für eine Drehgenehmigung auszuhandeln und lädt nun, mit all seiner kindlichen Begeisterungsgabe, dazu ein, ihn zu begleiten. Das Voice-Over seiner aparten Stimme passt dabei ideal zu jenem wundersamen Ort und verleiht dem Film das charmante Herzog-Flair. Dadurch, dass der Film in 3D gedreht wurde, wird der Eindruck gewonnen, tatsächlich mit ihm und seiner Crew in die Höhle hinabzusteigen und die Wandmalereien beinahe selbst aus direkter Nähe zu erleben. Zwischendurch lässt Herzog Personen zu Wort kommen, die mit der Materie an sich nicht unmittelbar zu tun haben und erweitert so das Spektrum unserer Reflexion auf seine sehr eigentümliche Art und Weise. So mag der Talking Head eines Parfumspezialisten in einer Dokumentation über Paläolithische Kunst etwas bizarr anmuten. Im Herzogschen Spektrum taucht derartiges jedoch wie selbstverständlich auf und erwirkt eine kauzige Mischung aus wissenschaftlicher Dokumentation und persönlich-philosophischem Zugang zu jenen Wundern der Natur. Dass er dabei durchaus etwas zu weit vom eigentlichen Sachverhalt abschweift und allerlei philosophische Gedankenexperimente aufstellt, ist schwer von der Hand zu weisen. Werner Herzog ist nunmal ein eigentümlicher Regisseur, auf dessen Stil man sich bewusst einlassen muss. Nimmt man ihn als den verschrobenen, etwas weltfremden Menschen, der er zu sein scheint, kann man sich mit ihm auf diese 90-minütige Entdeckungsreise begeben und an seiner überschwänglichen Begeisterung teilhaben. Durch die sehr limitierten Drehbedingungen wird die dokumentarische Illusion der reinen Abbildung stets durchbrochen, indem beispielsweise ein Teil der vierköpfigen Crew ins Bild tritt. Dies verstärkt den Eindruck des Mit-Dabei-Seins und unterscheidet den Film von typischen IMAX-Dokumentationen. Die Wände der Höhle weisen starke Wölbungen auf – eine Tatsache, die sich die Höhlenmenschen zunutze machten. Die Malereien sind so arrangiert, dass sie – in Kombination mit einem Spiel aus Licht und Schatten – die Illusion des bewegten Bildes hervorrufen. Werner Herzog lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster mit seiner Behauptung, dies wäre die Urform des Kinos. Während üblicherweise außergewöhnliche Personen im Zentrum seiner Filme stehen, sind die Hauptpersonen diesmal Phantome, deren Lebensweise es nur zu erahnen gilt. Was von ihnen übrig ist bildet das Zentrum dieser exzentrischen Dokumentation und bietet Inspiration zum schwärmerischen Entdeckungsgeistes Werner Herzogs.
Rezensiert von Artemis Linhart – Wertung: 8/10