„Die Bohrungen würden die Gesellschaftsverhältnisse dort auf den Kopf stellen“
Das Thema Fracking wird überall in Europa diskutiert – auch im niederösterreichischen Weinviertel. Jürgen Marschal und Elisabeth Semrad haben für ihre Satire „Schwarzer Veltliner“ den energiepolitischen Debatten an den Stammtischen der Region gelauscht. Und Biorama hat mit beiden darüber geredet.
Die Fracking-Debatte ist gerade auf dem besten Weg, zur zweiten großen europäischen Debatte in der Energiepolitik neben der Debatte um die Nutzung der Atomenergie zu werden. In grünlichen Ohren klingt es irgendwie anachronistisch, mitten in bewohnten Landstrichen Europas nach Schiefergas zu bohren. Die Technik des Hydraulic Fracturing ist selbst auch garnicht ganz neu. Inzwischen allerdings gilt sie als marktreif. Wobei noch immer fraglich ist, ob es in Europa Sinn macht, in großem Stil Schiefergasvorkommen auszubeuten, indem man einen Chemikaliencocktail in tiefliegenden Gesteinsschichten presst, um das entweichende Gas an die Erdoberläche zu „pumpen“.
In den Vereinigten Staaten ist der Fracking-Boom schon in vollem Gange. Mit großem Juhu wird dort eine Energieautarkie für die nächsten Jahrzehnte gefeiert. Das geht – wer hätte das gedacht – vor allem zu Lasten der Umwelt, und zu Lasten der Gesundheit der Menschen in betroffenen Fördergebieten. Denn beim Fracking kommen auch krebserregende Quarzsande zum Einsatz. Fast überall, wo die üblichen verdächtigen Unternehmen der Petro-Industrie Probebohrungen ankündigen, und zum Teil auch schon recht konkrete Planungen zur Erschließung von Schiefergasvorkommen bekanntgeben, gibt es Widerstand gegen die umstrittene Fördermethode. Auch wenn der Energiekommissar der Europäischen Union, der eloquente Günter Oettinger (CDU), schon einmal davor warnt, es würde eine „zu emotional geprägte Diskussion“ ums Fracking gefüht, und verlangt, „wir müssen bereit sein, gewisse Zumutungen in Kauf zu nehmen und Risiken einzugehen, wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen.“ – Fracking ist längst Thema an den Stammtischen in vielen Gegenden Europas. Eine dieser Gegenden ist das niederösterreichische Weinviertel. Der Cartoonist und „Willkommen Österreich“-Autor Jürgen Marschal hat gemeinsam mit Elisabeth Semrad („Theater im Wirtshaussaal“) ein Theaterstück geschrieben, das sich in Form eines klassischen Bauernschwanks am dem Thema Fracking nähert. Über ihre Satire „Schwarzer Veltliner“ hat sich Biorama mit den beiden unterhalten.
Biorama: Ist Fracking im Weinviertel ein Thema, das am Stammtisch diskutiert wird?
„Ja, vor allem im Raum Poysdorf. Derzeit ist es wieder mal eher ruhig, aber sobald das Thema von den Medien, Wirtschaft oder Politik wieder aufgegriffen wird, gehen auch die Diskussionen immer wieder los. Wir haben auch mit Betroffenen gesprochen und von Leuten gehört, die plötzlich wegen ihrer Meinung zum Thema oder wegen ihres Einsatzes gegen die Bohrungen nicht mehr am eigenen Stammtisch erwünscht waren und nun alleine im Wirtshaus sitzen. Das interessante ist vor allem die Emotionalität der Debatte. Der Weinbauvereinsobmann von Poysdorf hat angeblich eine lange Liste von Leuten, die sich an den Bohrturm anketten wollen, sollte mal einer errichtet werden. Das Weinviertel hat sich in den vergangenen Jahren zu einer beliebten Tourismusregion entwickelt, viele vermuten nun, dass Fracking alle Anstrengungen wieder zunichte machen würde. Wenige Kilometer weiter östlich und südlich von Poysdorf, Richtung Gänserndorf, sieht die Sache schon wieder anders aus. Dort hat die OMV ein sehr gutes Image, Weinbau ist nur Nebensache und die Ablehnung ist nicht ganz so stark.
Was macht die Debatte um Fracking im Weinviertel so interessant und satire-tauglich?
„Puh, die Frage ist eher, was nicht. Die Bohrungen würden die Gesellschaftsverhältnisse dort auf den Kopf stellen. Jemand, der derzeit ein erfolgreicher Winzer mit großem Weingut ist und auf Tourismus setzt, den könnten die Bohrungen ruinieren. Auf der anderen Seite könnte aber jemand, der bisher vielleicht ein ärmlicher Nebenerwerbsbauer war, plötzlich Millionär werden, wenn man ausgerechnet seine Grundstücke für die Bohrungen teuer verpachten möchte. Dass das Verhalten der Politiker satire-tauglich ist, braucht man wohl eh nicht weiter zu erwähnen. Interessant ist hierbei vor allem der innere Konflikt, dem manche Politiker aus der Region ausgesetzt sind. So müssten sie laut Parteimeinung zwar eigentlich für die Bohrungen sein, zugleich sind sie aber auch wieder dagegen, weil sie z.B. selbst ein Weingut haben bzw. der Freundeskreis aus Gegnern besteht. Uns wurde auch erzählt, dass den Anführern der Anti-Fracking-Initiativen von Vertretern aus der Wirtschaft Geld angeboten wurde, wenn Sie mit dem Widerstand aufhören. Das ist schon beängstigend. Da wir im Stück selbst keine Meinung machen wollten und kein moralisches Anti-Fracking-Stück schreiben wollten, sind natürlich auch die Fracking-Gegner Thema. Manche versteigen sich oft in blinden Aktionismus und nehmen es selbst nicht ganz so genau mit Fakten. Das berühmteste Beispiel sind die Videos von brennenden Wasserleitungen, aus denen Gas kommt, was aber nachweislich nicht durch Fracking verursacht wurde. Bei uns im Stück führt das dann dazu, dass die Gegner auf den Demo-Plakaten die Umweltverschmutzungen per Photoshop noch ein wenig dreckiger aussehen lassen und bei der Unterschriftenliste auch gleich für die verstorbene Oma und den Hund unterschreiben.“
Ist es die Debatte ums Fracking, die euch dazu gebracht hat, eine Satire darüber zu schreiben, oder habt ihr nach einem Thema aus der Provinz gesucht, und seid dann auf Fracking gestoßen?
„Wir haben im Frühjahr 2012 zufällig die Ausschreibung vom ‚Viertelfestival Niederösterreich 2013‘ gelesen. Das Thema war ‚Brandungszone. Das Weinviertel im Umbruch, im Aufbruch.’ Und da kamen wir dann eigentlich sofort auf das Thema Schiefergas.“
„Schwarzer Veltliner“ setzt auf Darstellerinnen und Darsteller aus der Region. Die Form des Stücks ist die des klassischen Bauernschwanks. Weshalb so viel Tradition und Heimatverbundenheit?
„Das hat eigentlich nichts mit Heimatverbundenheit oder Tradition zu tun, sondern eher pragmatische Gründe. Da wir – Elisabeth Semrad und Jürgen Marschal – selbst aus dem Weinviertel sind, haben wir zuerst mal in unserem persönlichen Bekanntenkreis nach Darstellern gesucht. Das hatte auch gleich den Vorteil, dass die Darsteller selbst schon einiges von der Fracking-Debatte mitbekommen hatten und gut Bescheid wussten. Außerdem wollten wir, dass die Schauspieler im Dialekt sprechen, um authentisch zu bleiben. Die Rollen die dann noch offen waren, haben wir in Wien gecastet. Beim Inhalt war eigentlich von Anfang an klar was wir wollten: Viel schwarzen Humor. Kritisch, manchmal auch hart und derb, aber unparteiisch und ohne Moralkeule.
Bei der Form haben wir länger gebraucht. Wir wollen ein Stück mit klassischer Dramaturgie, Anfang, Mitte, Ende und nicht irgendwelche Textflächen oder formalen Experimente. Für den Schwank hatten wir uns dann aus zwei Gründen entschieden. Erstens fanden wir es interessant, ein gesellschaftskritisches Stück über Umweltverschmutzung, Gier, Korruption zu versuchen in einer Gattung, die normal Themen wie den Besuch der bösen Schwiegermutter oder die Verkuppelung der ewigen Jungfrau behandelt. Und zweitens, da wollen wir auch gar nicht Lügen: Wir wollen möglichst viel Publikum. Die Menschen gehen eben eher dort hin, wo sie vermuten, dass sie lachen können. Wenn auf dem Plakat steht ‚Ein Schwank in zwei Akten’ bringt man selbst in Dörfern mit kaum 500 Einwohnern hoffentlich 70 oder 80 Leute in den Saal, während zum Butoh-Ausdruckstanz übers Thema Schiefergas die Besucher wohl an einer Hand abgezählt werden können. Oder schlimmstenfalls an einem Finger. Ganz so streng haben wir uns dann an die Gattung eh nicht gehalten. Es gibt neben dem Heurigen im Weinviertel im Stück auch noch einen zweiten Schauplatz, nämlich ein Büro in Wien.“
Das Stück spielt im Jahr 2020. Zum Zeitpunkt der Handlung ist das Fracking im Weinviertel bereits Realität. Glaubt Ihr, dass es soweit kommen wird?
„Unser Stück beginnt damit, dass die ersten Bohrtürme errichtet werden. Ob es dann auch dazu kommt, dass gefrackt wird, das wollen wir nicht verraten…
Zum Fracking in der Realität: Ja, wir glauben beide, dass es zu Schiefergasbohrungen kommen wird. Den Bau eines Fußballstadions kann man durch Protest vielelicht dauerhaft verhindern, oder den Abriss eines Umweltschutzgebietes auch noch, aber der Druck nach den letzten Energie-Ressourcen zu suchen ist groß und wird weltweit noch größer. Man kann es verzögern, aber irgendwann wird man wohl überall den letzten Tropfen Öl und das letzte Gas heraufholen. Sei es nun unter dem Eis in Alaska, irgendwo tief unten im Meer oder unter den Weinbergen des Weinviertels.
Schwarzer Veltliner – Das Schiefergas-Theater
Ensemble: Theresa Manschein, Jacqueline Sattler, Mathias Dachler, Christian Roupec, Klaus Schaurhofer, Florian Schuhmann
Termine & Karten:
Donnerstag, 09. Mai 2013, 19:30 Uhr Poysdorf – Eisenhuthaus *
Freitag, 10. Mai 2013, 19:30 Uhr Herrnbaumgarten – Heuriger Umschaid
Samstag, 11. Mai 2013, 19:30 Uhr Wolkersdorf – Buschenschank Simonides *
Sonntag, 12. Mai 2013, 15:00 Uhr Gaweinstal – Marktmühle Gaunersdorf *
Freitag, 17. Mai 2013, 20:30 Uhr Eibesthal – Saal unter der Kirche
Samstag, 18. Mai 2013, 19:30 Uhr Falkenstein – sieben:schläfer *
Sonntag, 19. Mai 2013, 18:00 Uhr Ulrichskirchen – Pfarrstadl
Montag, 20. Mai 2013, 19:30 Niederkreuzstetten – 9er Bar
* bei Schönwetter im Freien
Eintritt: Vorverkauf: 10,- / Abendkassa: 13,-
Karten im Vorverkauf erhältlich bei oeticket.at, Erste Bank, Raiffeisen Bank, Volksbank, Libro
Weitere Infos: http://2013.viertelfestival-noe.at/de/schwarzerveltliner/