Ein köstliches Leben
Sie tauschen Anzug gegen Schürze, bauen Küchen auf Rädern, veranstalten Dinner im Gewächshaus und erzählen essbare Geschichten – die neuen Food-Entrepreneure.
Es brodelt im Lebensmittelsektor: Das Angebot an handwerklich hergestellten Produkten und regionalen Geschmackserlebnissen wächst. Angetrieben von einem hohem Qualitätsbewusstsein und noch größerer Leidenschaft und Neugier entdecken selbsterlernte Köche und Produzenten das kulinarische Erbe ihrer Heimat wieder. Sie verfolgen Zutaten bis zum Ursprung zurück, wollen die Verbindung zwischen einer Region und ihrer Bevölkerung wiederherstellen und der Anonymität beim Lebensmittelkauf entgegenwirken. Mit kleinen Manufakturen, kreativen Ladenkonzepten und fantastischen Vehikeln hauchen sie ganzen Vierteln neues Leben ein und prägen unsere alltägliche Esskultur. Der Gestalten Verlag hat der neuen Generation der Food-Entrepreneure ein ganzes Buch gewidmet und schildert in dessen Vorwort die Umstände, die weltweit für Aufbruchsstimmung gesorgt haben. »A Delicious Life« stellt die Akteure dieser Genussbewegung vor und nimmt den Leser mit in ihre Gärten, Shops und Gasträume.
Hunger auf den ersten Blick
Tolle Fotos, interessante Persönlichkeiten und Design, das sich sehen lassen kann – »A Delicious Life« ist ein Augenschmaus auf 240 Seiten. Einige Projekte werden nur kurz angerissen, besonders interessant sind aber die ausführlichen Profile dazwischen, die über den Werdegang und die Beweggründe einzelner Unternehmer erzählen – etwa die der amerikanischen Mast Brothers. Für die beiden bärtigen Ex-WG-Mitbewohner ist Schokolade verkosten wie alte Mark Twain-Geschichten lesen: »Sie erzählt von Abenteuern, Unabhängigkeit und einem starken Freiheitsgeist«. Der meist in Weiß auf Fotos gesetzte Text macht dem Auge zeitweilen das Lesen schwer. Umso besser gelingt es dem Verlagshaus, die visuelle Kultur der gegenwärtigen Lebensmittelszene einzufangen, die an Design und Branding dieselben Qualitätsansprüche zu stellen scheint wie in Hinblick auf die Auswahl ihrer Rohstoffe. Neben Produzenten begegnet man im Buch auch Stadtfarmern, Küchenkünstlern und den Herausgebern von eindrucksvollen Foodzines, die allesamt neben dem Appetit auch den eigenen Unternehmergeist wecken.
Wer sind die neuen Food-Entrepreneure?
So vielfältig wie ihre Betriebe und Produkte sind auch die Unternehmer. Einige kommen aus der Film- und Werbebranche, so wie die Macher von Marou, der ersten Ursprungsschokolade aus Vietnam. Mazen Hajjar war Kriegsreporter im Libanon, bevor er die erste Mikrobrauerei im Mittleren Osten startete. Die Foodies Adolf und Monika ließen sich auf ihren Weltreisen inspirieren und setzen ihre mitgebrachten Rezepte unter dem New Yorker Label »Saucy by Nature« um. Nina Junghans hat sich in Paris in Macaroons verliebt und beglückt damit heute die Berliner Kundschaft von Art Sucré. Mal gab ein Urlaub den Ausschlag zur Geschäftsidee, mal basiert sie auf Kindheitserinnerungen. Im Fall der Macher von Quinn Popcorn war es die Geburt ihres Sohnes, die sie dazu anspornte, besseres Mikrowellen-Popcorn herzustellen.
Alles hedonistische Idealisten?
Zugegeben, mit den ursprünglichen Lebensmittelhandwerkern haben die vorgestellten Food-Entrepreneure mit ihrer ausgeprägten Ästhetik, ihren idealistischen Ansprüchen an Produktion und unkonventionelle Vertriebswege nicht viel gemein. Das hat unser heutiges Zeitalter mit knappen Ressourcen und undurchsichtigen Lebensmittelketten mit den vergangenen aber auch nicht. Oder wie Küchenchef Dan Barber es im Buch beschreibt: »Auch wenn wir als Träumer gesehen werden, sichern wir Foodies die Zukunft von gutem Essen; wir fordern unsere Gewohnheiten heraus und sind offen für neuen Geschmack. Was aber noch wichtiger ist: wir sind nicht offen für jegliche Art von Kompromiss, wenn unsere Gesundheit und die Zukunft des Geschmacks auf dem Spiel stehen«. Ein inspirierendes Lese- und Blättervergnügen.
»A Delicous Life – New Food Entrepreneurs« ist im Gestalten Verlag erschienen.
Köstliche Trends
1. Mut zur Einfachheit: Gute natürliche Rohstoffe ohne Zusatz. Die Marke Feinschlicht trägt sogar im Namen, worauf es ihrem Macher ankommt.
2. Zu Kunden kommen: Fahrbare Eisdiele mit Nitro-Einspritzung, Frachtcontainer mit Pizzasteinofen oder Gin-Bar-Fahrrad – die neuen Gastronomen sind mobil.
3. Verpackungskunst: Schokolade verpackt als Tagebuch und Gläser aus geschmolzenem Zucker sind zu schade zum Wegwerfen.
4. Interdisziplinär: Wenn Lebensmitteldesigner, Künstler, Produzenten, Wissenschaftler und Köche zusammenarbeiten, entstehen essbare Landschaften und multisensorische Ausstellungen.
5. Raum mehrfach nutzen: Küche, Feinkostladen und Event-Space lassen sich gut kombinieren – Haven’s Kitchen in New York macht’s vor.
6. Natürlich urban: Stadtbienen, Mikro-Fischfarmen, Dachhühnerställe und Gemeinschaftsgärten holen die Natur zurück in die Stadt.
7. Nachhaltig wirtschaften: Aus vermeintlichem Unkraut werden Köstlichkeiten, aus Resten Fine-Dining-Gerichte.
8. Die guten alten Zeiten: In Berlins erster nachhaltiger Fisch-Räucherei und beim Einmachen von Obst und Gemüse leben alte Traditionen neu auf.
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