Iss mehr (gutes) Fleisch! Flexitarier auf dem Vormarsch

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Wir saturierten Wohlständler haben die schlechte Gewohnheit, zu viel billiges Fleisch zu essen. Würden wir doch alle mehr auf die Qualität achten.  

Ich grille für mein Leben gern! Letzten Sonntag beim Familiengrillfest: ich gehe in meiner archaischen Rolle als Grillmeister und Familienernährer auf, lass mich durch das Grillmeisterbier und mehr noch das herrlich auf den Punkt gegarte Roastbeef vom Tiroler Almochsen inspirieren, während ich in lauter zufriedene Gesichter blicke. Meine vegetarische Tochter sitzt natürlich mit am Grill, genießt ihr gegrilltes Gemüse und den Nudelsalat und hat kein Problem mit uns Fleischfressern. Die Gedanken, die mir dabei gekommen sind, möchte ich heute mit dir teilen.

Wir saturierten Wohlständler haben keinen Fleischbedarf,…

… keinen Fleischhunger, wir haben eine (schlechte) Gewohnheit, nämlich die, „schlechtes Fleisch“ zu essen – oder besser gesagt: Fleisch „schlecht zu essen“, nämlich ohne Bewusstsein, ohne Ehrfurcht, ohne (echten) Genuss. Ich sage deshalb „wir“, weil das auch bei mir bis vor gar nicht allzu langer Zeit so war. Heute begegne ich Fleisch wieder mit der ihm gebührenden Achtung. Ausgezeichnete österreichische Fleischprodukte machen mir das leicht, wenngleich natürlich schon erheblich teurer als früher. Ich esse dafür weniger davon. Vor allem in der Gastronomie, wo ich Kellner und Kellnerinnen regelmäßig nerve mit der Gretchenfrage: „Wo habt‘s es denn her?“ Trendforscher, die natürlich für alles einen treffenden Namen parat haben, bezeichnen solcherart vom Fleischfresser-Saulus zum tierwohl- und umweltbewegten Paulus Geläuterte neuerdings mit dem Kunstwort „Flexitarier“. Wir Flexitarier essen Fleisch nur mehr dann, wenn wir dabei nicht das Gefühl haben müssen, unsere Fleischeslust beruht auf Ausbeutung von Erde, Tier und Mensch in der industriellen Fleischproduktion. Natürlich sind wir dabei nicht so naiv, zu glauben, dass unser bewusster Fleischkonsum die letztgenannte Pest von der Erde tilgt – jedenfalls nicht sofort.

Tierleid, Umweltzerstörung, unmenschliche Arbeitsbedingungen usw. usw. in der industriellen Fleischproduktion feiern natürlich weiterhin fröhliche Urständ. Aber: als massentaugliches Rezept erscheint mir bewusster Fleischkonsum mittel- bis langfristig der mit Abstand erfolgversprechendste Weg raus aus jener Sackgasse. Ja, liebe Vegetarier und Veganer, das glaube ich wirklich! Und ich kann es auch begründen. Übrigens treffe ich mich darin mit keiner geringeren als Österreichs charmantester kulinarischer Botschafterin in Deutschland, Sarah Wiener, die unter dem Titel „Vegan ist auch keine Lösung“ ihr Statement zu veganen Weltrettungsphantasien abgegeben hat.

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Als Hauptargument gegen Alternativen zur industriellen Fleischproduktion…

hört man oft reflexartig, mit diesen extensiven Methoden könne der weltweit unheimlich wachsende Fleischbedarf nicht gestillt werden. Folglich gebe es keine Alternativen im großen Stil und all jene Praktiken, die heute immer noch, oder wieder gelebte Realität sind, wie die extensive Weidehaltung, werden als etwas hingestellt, das nur eine Premiumnische bediene, niemals aber den „Fleischbedarf“ der Massen decken werde können. Also, weiter gewirtschaftet wie bisher, schließlich muss dieser Hunger ja gestillt werden. Aber fragen wir doch mal ein bisschen anders: gibt es diesen „Fleischbedarf“, diesen „Fleischhunger“ überhaupt? Objektive Antwort: Nein! Der Mensch bedarf des Fleisches überhaupt nicht, wie Millionen von Vegetariern und Veganern beweisen. Bedarf ist das falsche Wort. Geschäft trifft’s schon eher. Fleisch, so wie es heute im globalen Stil produziert und gehandelt wird, ist ein Geschäft, schlicht und einfach! Und zwar eines mit ganz ganz wenigen Gewinnern und einer ganzen Latte an Verlierern. Allen voran: „Mutter Erde“, die uns alle ernährt. Der enorme Ressourcenverbrauch der globalen industrialisierten Fleischproduktion ist ganz klar eine Sackgasse! Sollten wir also nicht folgerichtig überhaupt kein Fleisch mehr essen? Und zwar alle, ausnahmslos? Wie es eben jene Gruppierungen längst fordern. Wiederum objektive Antwort: Nein! Das ist die falsche Schlussfolgerung. Ich will noch nicht einmal in den Chor all jener Vernünftigen einstimmen, deren Mantra „Wir müssen weniger Fleisch essen!“ seit Jahr und Tag erklingt. Dass ich nicht besonders glücklich bin über jene, die mit bestem Gewissen mir und allen Tiertötern und Fleischessern ins Gewissen reden: „Ihr dürft überhaupt kein Fleisch mehr essen!“, dürfte inzwischen klar geworden sein.

Ich sage dagegen: Iss mehr gutes Fleisch und iss es so gut wie möglich! Das tut dir gut, dem Tier gut und der Umwelt. Das läuft zwar ebenfalls auf weniger Fleisch hinaus, betont aber viel stärker die aktive Rolle, die mir als Konsument dabei zufällt. Schließlich heißt das, dass ich mich aktiv dafür interessieren muss, woher mein Fleisch kommt, wie es produziert und gehandelt wurde – und: wie ich es am genussvollsten zubereite, wie ich es wieder zu einem kulinarischen Ereignis mache, wie und mit wem ich den Fleischgenuss zelebriere, wie ich ihn „heilige“ (man denke nur an die vielen religiös rituellen Gebräuche rund um Fleisch und den Verzehr davon: das „Festessen“, „das Osterlamm“, „die Weihnachtsgans“, „den Sonntagsbraten“ usw.)

Mach doch deine nächste Grillparty zu so einem Fest! Und nicht zu einer Aktionsfleischvertilgung!

Das halte ich für eine wirklich zielführende und revolutionäre Herangehensweise. Stell dir vor, was alles passiert, wenn das Kreise zieht! Wenn Produktion und Handel hier aufgefordert werden im großen Stil umzudenken, wenn sie nicht auf ihrem billigen Fleisch sitzen bleiben wollen. Ein leichter Trend in diese Richtung ist spürbar. Wir Flexitarier, die Fleisch nur mit gutem Gewissen genießen, stehen vor der Tür. Ist Österreich nicht dafür prädestiniert, uns Flexitariern Tür und Tor zu öffnen? Uns willkommen zu heißen? Uns zu Ehren, das beste Fleisch anzubieten und immer mehr davon? Sind die Voraussetzungen dafür nicht denkbar günstig – noch? So wie unsere Landwirtschaft aufgestellt ist?

Freilich ist hier nach oben noch viel Luft – da will ich mir und dir nichts vormachen! Ich wünsche mir, dass immer mehr Konsumenten immer mehr Bauern dazu animieren, in dieser Höhenluft zu produzieren. Verarbeiter und Handel werden den Weg mit Freuden mitgehen. Warum sollte das nicht möglich sein?

Damit du mich nicht falsch verstehst: Ich sage umgekehrt keinem, der sich für fleischlose Ernährung entschieden hat, er solle doch gefälligst Fleisch essen. Ganz sicher nicht. Diese Welt verträgt noch eine ganze Menge mehr Vegetarier und Veganer. Was sie jedoch nicht vertragen, weil nicht ernähren können würde, wäre eine vegetarische oder gar vegane Menschheit. Diese „blasphemische Behauptung“ werde ich demnächst in einem zweiten Teil ausführen. Und mit den Überlegungen zuAlternativen zur industriellen Fleischproduktion verbinden, wie sie in Österreich gang und gäbe sind.

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Schauen wir uns also die Weidehaltung von Mastrindern…

oder auch sogenannten Zweinutzungsrassen ein bisschen genauer an. Eine Zweinutzungsrasse ist etwa das Fleckvieh, welches 75 Prozent des österreichischen Rinderbestandes ausmacht. Zweinutzung heißt einfach, es werden Milchkühe zur Milch- und Fleischproduktion (männliche Kälber – alte Tiere) gehalten.

Was passiert (idealerweise) in der Weidehaltung:

  • Das Rind, das Kalb frisst (fast) ausschließlich jenes, wofür sein Verdauungsapparat geeignet ist, nämlich Weidegras, Heu oder Grassilage,
  • dabei keinem Menschen (wortwörtlich) irgendetwas weg,
  • erzeugt organischen Dünger für eine Kreislaufwirtschaft, trägt diesen gar selbst auf die Weide,
  • wirkt mit an der Biodiversität (eine gesunde, sich selbst in natürlichen Zusammenhängen erhaltende Vielfalt an Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen),
  • hilft so mit, Humus aufzubauen, den Garant für nachhaltige Fruchtbarkeit
  • und bindet CO² im Boden
  • sprich: macht sich nicht eines der „Verbrechen schuldig“, dessen „die Kuh“ von diversen Ideologen pauschal angeklagt wird. Im Gegenteil: gut gehaltenes Rind ist gut für die Umwelt, „CO² neutral“, und ein perfekter Energielieferant für den Menschen, der das im Gras gespeicherte Protein, die Unmengen an Energie nur über den Umweg Fleisch und Milch sich selbst zuführen kann!

Und hier kommt mein Generaleinwand gegen die vegane Utopie einer fleischlosen Welt: Der Mensch kann kein Gras fressen! Ca. 60 Prozent der weltweit nutzbaren agrarischen Fläche ist aber Grasland – ist nicht oder nur sehr bedingt geeignet für irgendeine andere Art pflanzlicher Produktion. Auch in Österreich liegt der Anteil von besonders biodiversem Grünland inklusive Almflächen an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche bei annähernd 50 Prozent – ist aber leider (!) stark rückläufig. Insbesondere die extensivste Form der Rinderhaltung, die zugleich arbeitsintensive Almbewirtschaftung geht stark zurück. Almflächen wachsen zu. Der Wald holt sich zurück, was ihm mühevoll in Jahrhunderten abgerungen worden ist.

Es ist also zuzugeben, dass das Ideal der Weidehaltung auch in Österreich im Rückgang ist. Ich halte das für eine bedenkliche Entwicklung und begrüße alle vorhandenen Bemühungen, die Weidehaltung wieder salonfähiger zu machen. Du kannst das ebenfalls unterstützen nach meiner oben skizzierten Idee.

Die Idee einiger Veganer, weltweit ganz auf tierische Produktion zu verzichten,…

…ist dagegen eine, die bei genauerem Hinsehen ihren Schwächen offenbart. Abgesehen von der unleugbaren Unmenge an umgewandelter essbarer Energie, die dabei ungenutzt bleiben müsste, können sich Veganer noch mit der Frage beschäftigen, wie die gewünschte Pflanzenproduktion – soll sie nicht auf Gedeih und Verderb auf Kunstdünger, sprich chemisch-synthetisch erzeugtem,  angewiesen sein –  ohne Kuh und co funktionieren soll, die in einer optimalen Kreislaufwirtschaft auch den Dünger für nichtindustrielle Pflanzenproduktion liefern. Vegan UND ökologisch geht nur mit Beteiligung von Vieh – sorry, da fährt ganz objektiv die Eisenbahn drüber.

Ich bin ja ganz einverstanden mit der veganen Kritik am Status quo in Sachen Fleischproduktion. Der Status quo der globalen Soja, Mais- und Weizenproduktion ist um nichts besser! Zu schweigen von den veganen Trendprodukten, mit denen sich die Lebensmittelindustrie gegenwärtig bereichert. Alles, was aus dem Kreislauf Erde, Pflanze, Tier, Erde dermaßen heraus genommen ist, wie es die industrielle, monokulturelle Pflanzen- wie Tierproduktion heute im Weltmaßstab ist, ist verheerend. Keine Frage.

Und damit komm ich zu meiner Ausgangsüberlegung zurück. Wenn ich mich, egal ob als Fleischesser oder fleischlos mich ernährender Mensch, auf diese Zusammenhänge, die heillos aufgetrennt worden sind, besinne, wenn ich bäuerliche Arbeitsweisen, die in diesen Kreisläufen – so gut als möglich – noch produzieren, erkenne, diese Arbeitsweisen unterstütze, indem ich mich ganz bewusst für deren zwar teurere, aber gesündere, besser schmeckende Produkte entscheide, dann sehe ich keinen Grund, warum Vegetarier, Veganer und Fleischesser einander etwas vor halten sollten. Auf beste regionale und saisonale Lebensmittel, wie sie in Österreich jetzt schon zu haben sind und wie ich sie durch meine Kaufentscheidung und den bewussten Genuss noch viel mehr in Produktionszwang bringe: darauf sollten sich alle Vernünftigen einigen können. Und Fleisch ist dann selbstverständlich mit von der Partie. Allen Ideologen der Fleischlosigkeit zum Trotz.

Und dann finden wir uns auch ganz cool und entspannt…

und ja, beinah feierlich und festlich bei der Grillparty ein am nächsten Sonntag. Wo das fein marmorierte, leicht durchzogene Steak, der langsam gewachsene Schweinsbauch und die saftige Hühnerkeule einträchtig neben filetierten Zucchini- und Tomatenscheiben liegen, alles dem einen und selben ewigen Kreislauf entnommen – und bei einem Glas Bier oder bestem österreichischen Rebensaft stoßen Vegetarier, Veganer und Fleischesser auf eine bessere gemeinsame Zukunft an, die sie jetzt und hier mit bewusstem Genuss und der entsprechenden Geisteshaltung bereits einläuten.


Zum Autor: Peter Fuchs ist Blogger bei Land schafft Leben.

Land schafft Leben ist österreichischen Lebensmitteln auf der Spur. 2014 in Schladming von Bergbauer Hannes Royer gegründet, veranschaulicht der unabhängige und unpolitische Verein auf seiner in Österreich einzigartigen Informations- und Dialogplattform www.landschafftleben.at den Wert und die Produktionsbedingungen österreichischer Lebensmittel entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Transparent und authentisch, ohne zu werten. Ziel ist es, den Konsumenten eine bewusste Kaufentscheidung zu ermöglichen, die auf dem Wissen um die Zusammenhänge der Lebensmittelproduktion beruht. Von Apfel über Huhn und Milch bis zur Zwiebel wird nacheinander jedes in Österreich hergestellte Lebensmittel anhand verschiedenster Kriterien sowie kritischer Themen detailliert beleuchtet und überprüft. 26 Förderer, darunter Verarbeiter und Vertreter des Lebensmittelhandels, ermöglichen durch ihre finanzielle Unterstützung die Vereinsarbeit. Vertreter aus Landwirtschaft, Wissenschaft und Forschung sowie Repräsentanten von Ministerien, Interessenvertretungen und Verbänden stehen Land schafft Leben als Ansprechpartner zur Verfügung und liefern wertvolle Informationen.

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