Großmutterkuhhaltung

Geschmack und Wert der alten Kühe.

Zwei Kühe in Schwarz und Weiß.
Fleisch von alten Kühen ist nicht zu verwechseln mit »gereiftem« Fleisch. Bild: Istock.com/Thomas Marx.

Feine Schmeckerinnen und Schmecker haben ein Leuchten in den Augen, wenn sie irgendwo »Alte Kuh« lesen oder hören. Es hat sich herumgesprochen, dass das Fleisch betagter Rinder besonders gut sein soll. Immer öfter tauchen Gerichte in den Menükarten der heimischen Gastronomie auf. Zu Recht?
Die Idee kommt aus dem Norden Spaniens, dem Baskenland. Wobei ›Idee‹ eigentlich das falsche Wort dafür ist. Die Basken haben immer schon ältere Kühe gegessen. Einerseits, weil sie wissen, dass Fett ein Geschmacksträger ist und reife Rinder im günstigen Fall ziemlich viel davon haben, zweitens, weil das Fleisch um einiges günstiger war. Zumindest bevor es zum Hype und zur gesuchten Delikatesse wurde, wohlgemerkt. Dort, im Baskenland, heißt die alte Kuh natürlich nicht alte Kuh. Sie heißt Txogitxu. Kein einfacher Name. Er setzt sich aus mehreren baskischen Begriffen zusammen und ist streng genommen ein markenrechtlich geschützter Name. Beantragt hat diesen Markenschutz der baskische Metzger Imanol Jasca, der es irgendwie geschafft hat, zum Gesicht und Aushängeschild des Altkuhhypes zu werden. TXO (eigentlich Txotx) steht dabei für den baskischen Apfelwein. Genauer gesagt, nicht für den Wein selbst. »Txotx!«, sprich »Tschotsch«, ist der Ausruf baskischer Kellermeister, wenn ein Fass, ein Kubela, geöffnet wird. GI (Gipuzkoa) ist die Region rund um San Sebastián und TXU steht für Txuletón, den T-Bone-Cut. Alles in allem eine spannende kulinarische Erfindung, wenn auch, wie gesagt, mit einer bereits längeren Tradition.
Was aber heißt »alte Kuh« genau? Das Qualitätsrindfleisch, das wir kennen, kommt in der Regel von Färsen. Das sind weibliche Rinder, knapp drei Jahre alt und kinderlos. In Österreich heißen sie Kalbinnen. Eine Txogitxu-Kuh ist dagegen mindestens fünf Jahre alt (oft auch deutlich älter) und hat gekalbt. In der Regel mehrfach. Und wie wir wissen, haben Schwangerschaften das Potential, dass sie sich auf die Rippen schlagen (können). Ein Effekt, der im Fall der Kuh allerdings höchst willkommen ist. Das Fleisch wird dadurch intramuskulär von Fettgewebe durchzogen, das durch das Alter einen gelben Touch bekommt. Genau hier liegt das Geheimnis der geheimnisvollen Steaks: das Fett (gelb und weich von Alter, Futter und dem Reifen des Cuts), die Fülle der Muskulatur und der Grad der Marmorierung (sprich die Kombination von beiden).

Mehrere rohe Stücke Fleisch aus der Vogelperspektive.
Leicht durchzogen. Steaks von alten Kühen auf Theresia Palmetzhofers Grill – eine der wenigen Frauen in der ansonsten schwer von Männern dominierten Welt der preisgekrönten SpitzenköchInnen. Bild: BIORAMA/Jürgen Schmücking.

Auch Junges kann agen

Achtung. Zurzeit ist auch häufig von »gereiftem Fleisch« die Rede. Oder vom Dry Ageing. Auch dabei geht es ums Alter, und manche Metzger (hier ist von Männern die Rede) versuchen, sich in der Dauer der Reifung zu übertreffen. Dabei geht es aber um das Fleisch, nicht um das Tier. Freilich ist gereiftes Fleisch von alten Kühen die Königsklasse im Steakgeschäft. Aber »agen« kann man auch das Fleisch jüngerer Tiere. Das nur, um die beiden Begriffe klar abzugrenzen. Ob es allerdings sinnvoll ist, etwa das Fleisch von Jungbullen reifen zu lassen, ist mehr als fraglich. Das liegt vor allem daran, dass Jungbullenfleisch genau das fehlt, womit alte Kühe punkten: Fett. Die Marmorierung, also die intramuskulären Fetteinschlüsse, gehen bei jungen männlichen Rindern gegen null. Das Fleisch ist ausgesprochen mager und damit ein glatter Gegenpol zum fein maserierten Fleisch alter Kühe. Genau genommen ist das magere Fleisch vierjähriger Stiere das günstigste, das am Markt zu bekommen ist.

Geschmacksfragen

Aber auch hierbei ist nicht alles kulinarisches Gold, was alt ist. Eines der wesentlichen Kriterien dafür, dass das Fleisch alter Kühe zur Delikatesse wird, ist, dass sie viel davon hat. Viele Kühe verlieren durch mehrmaliges Kalben und langjähriges Milchgeben an Muskelmasse. Passende Tiere zu finden, die für die Produktion des entsprechenden Fleisches geeignet sind, ist gar nicht so einfach. Haben ProduzentInnen doch ein Tier mit ausreichender Fleischfülle und brauchbarer Fetteinlagerung gefunden, wird die Kuh einer Endmast unterzogen, um zusätzlich zum intramuskulären Fett auch eine Fettabdeckung auf der Muskelmasse zu erreichen. Außerdem wird durch diese Mast das feste Gewebe durch feine Fettfasern »aufgebrochen«.

Bezugsquellen für Fleisch alter Kühe:
Lomo Alto

Auf dem Hof und im Handel erhältlich ist das Fleisch alter Kühe aus Hofschlachtung vom Biobetrieb von Katharina und Martin Sageder in Oberösterreich. Die Kühe haben ein Mindestalter von sechs Jahren, die ältesten werden 15 Jahre alt.

Kuh-Leasing

Tipp für eine Bezugsmög­lichkeit, bei der man sich durch ein Leasingmodell aussuchen kann, wie alt die eigene Kuh werden darf – vermittelt nebenbei auch ein Gefühl dafür, was die anständige Haltung der Tiere an Zeit, Infrasturktur und Futter im Jahr kostet:
meinbiorind.de

Geschmacklich, da sind sich Spitzenköchinnen und Spitzenköche einig, ist das Fleisch alter Kühe kaum zu übertreffen. Viele von ihnen, darunter auch Theresia Palmetzhofer vom Gasthaus zur Palme in Neuhofen an der Ybbs, Helmut und Philipp (Vater und Sohn) Rachinger vom Mühlviertler Mühltalhof oder auch das gerade neu aufgesperrte voi.bio in Salzburg, das neben verschiedenen Frühstücksangeboten und einem Bistro-Konzept auch ein ambitioniertes Fine-Dining-Menü anbietet und der alten Kuh darin ein spannendes Gericht widmet.
»Nussig«, »typisch Rind« oder »unglaublich intensiv« sind die Zuschreibungen der Kochprofis, wenn es um die Frage geht, wie alte Kuh überhaupt schmeckt. In der Tat sind es Intensität und ausgeprägter Fleischgeschmack, die das sensorische Bild prägen. Dazu kommen Nuancen und Töne, die wir vom herkömmlichen Rindfleisch nicht (mehr) kennen. Vor allem in einem Punkt ist das Fleisch anderen Sorten und Typen überlegen. Es hat einen unfassbar langen Abgang. Konkret bedeutet das, dass ein Bissen von einem kurzgebratenen Steak derart lange als Eindruck am Gaumen präsent bleibt, dass es eine Freude ist. Für viele ist das vielleicht auch etwas überraschend. Noch ein Punkt. Das Fleisch ist zwar zart, aber nicht so butterzart wie etwa ein blue rare gebratenes Filetsteak. Das hat damit zu tun, dass sich über die Jahre nicht nur der Geschmack des Fleisches intensiviert, sondern auch die Festigkeit zunimmt. Die Sehnen legen an Kraft zu, das Kollagen wird kräftiger und das Fleisch damit insgesamt bissfester. Und ja, das Fett ändert seine Farbe. Schneeweiße Fettauflagen sind bei alten Kühen nicht mehr drin. Das Fett wird dunkler und bekommt einen deutlich gelblichen Schimmer. Sieht unansehnlich aus, schmeckt aber über die Maßen gut.

Ein Stück Fleisch am Knochen auf einem Teller.
2021 kosteten sich die Chefinnen und Chefs des Kochcampus durch diverse Rindercuts. Ein Porterhouse von einer alten Kuh war klarer Sieger dieses Tastings. Mehr dazu auf biorama.eu/kochcampus. Bild: BIORAMA/Jürgen Schmücking.

Moralfragen

»Man muss neben der Frage des Geschmacks schon auch die Frage des Respekts stellen. Wie sieht das Leben so einer Milchkuh aus? Der Mensch nimmt ihr das Kalb, damit er ihr dann die Milch nehmen kann. Dann wieder ein Kalb, damit es weiter Milch gibt. Und so weiter in einem fort, bis sie ausgedient hat – und ihrer letzten Verwendung als Essen zugeführt wird. Als Koch ist es deshalb das Mindeste, ihr in der Küche mit Respekt und Achtsamkeit zu begegnen. Und mit Dankbarkeit. Weil nach so einem Leben ein so außergewöhnliches Fleisch zu geben: das ist wahrer Großmut.« Das schreibt der oben bereits erwähnte Helmut Rachinger. Jetzt muss man natürlich sagen, dass es Großmut nur dann sein kann, wenn ein gewisses Maß an Freiwilligkeit im Spiel ist. Davon kann man bei Tierschlachtungen nicht ausgehen. Egal, wie lange, glücklich oder erfüllt das nutztierische Leben davor gewesen ist. Aber im Kern hat er recht. Douglas McMaster, der Zero-Waste-Zampano vom Londoner Restaurant »Silo«, hat in seinem Manifest geschrieben, dass es nur drei ethisch vertretbare Nutzungen von Fleisch gibt. Das eine sind invasive Arten, die ein Störfaktor für lokale Ökosysteme sind. Das andere ist »Roadkill«, also Wild, das nicht der regulären Jagd zum Opfer fiel, sondern dem Straßenverkehr. (Hierzulande aus rechtlichen, hygienischen und vielen anderen Gründen nicht denkbar, als Idee aber durchaus nachvollziehbar.) Und letztlich das Fleisch ausgedienter Milchkühe. Aus genau dem Grund, den auch Helmut Rachinger anführt.
So gut das Fleisch alter Mutterkühe auch ist, es ist nach wie vor eine Nische. Am Markt hat das Fleisch älterer Tiere nicht gerade die besten Karten. In der Regel wird es für die Wurstherstellung oder sogar für Hundefutter ver(sch)wendet. Der große Markt verlangt nach Kalbinnen und Jahrlingen. Schnelle Mast, schnelles Geld, wenig Geschmack. Wie gesagt. Wir müssen umdenken.

BIORAMA #92

Dieser Artikel ist im BIORAMA #92 erschienen

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