Gefundenes Fressen #4: Fett

foto: honey&bunny / www.koeb.at

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Hier schreiben Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter über Essen als essentielles politisches und kulturelles Thema. Zum Vierten. 

Backen Sie Ihr Schnitzel in Schweineschmalz? Essen Sie überhaupt tierisches Fett oder gehören Sie zu Jenen, die Fettränder entfernen und wegwerfen? Produzieren Sie „food waste“ aus gesundheitlichen Gründen? Tierisches Fett ist bekanntlich so schädlich, dass ein 250 Gramm schweres, in pflanzlichem Öl gebratenes Stück Schweinefleisch als deutlich gesünder eingestuft wird, wie geschmälzte Krautfleckerl. Tierisches Fett ist der schlimmste Feind des fitten Körpers, also kein Nahrungsmittel mehr. Insofern dürfen Sie Schmalz, Grammeln, Nierenfett oder Fettränder bedenkenlos wegwerfen. Sie brauchen gar kein schlechtes Gewissen mehr zu haben.

Die Frage ob der Verzehr von tierischem Fett tatsächlich gesundheitsschädlich ist, überlassen wir lieber der seriösen Wissenschaft. Dessen Nahrhaftigkeit ist allerdings unbestritten. Es mag zum Beispiel für mittelalterliche Bauern sehr provozierend gewesen sein, wenn ihre ritterlichen Lehnsherren Tiere auf offenem Feuer brieten, statt sie in Töpfen zu kochen. Das wertvolle Fett tropfte in die Glut und verbrannte. Vielleicht hat die moralische Bewertung von Fett sogar die Reformation und damit den brutalen dreißigjährigen Krieg ausgelöst. Schließlich war es Katholiken an mehr als 150 Tagen des Jahres verboten, tierische Lebensmittel zu essen. Dazu gehörten auch Milchprodukte. Damit schränkte die Kirche den Gläubigen nördlich der Alpen den Verzehr des überlebenswichtigsten Fetts ein. Ölhaltige Pflanzen wie Oliven oder Sonnenblumen gedeihen bekanntlich eher in südlichen Regionen. Fasten bedeutete Hungerleiden. Jakob Zwingli veranstaltete sogar ein Wurstessen für Handwerksgesellen an einem Fasttag. Fett ist eine Glaubensfrage und daran hat sich bis heute nichts geändert.

In westlichen Kulturen unterscheidet man zwischen guten und bösen Fetten. Während etwa Olivenöl einen beispiellosen Aufstieg zum gesundheitsfördernden Wundermittel hinlegte (man spricht manchmal sogar von flüssigem Gold) will man bei tierischen Fetten nichts weniger als deren Vernichtung. Jogurt, Käse und sogar Wurst kommen mit null Prozent Fett in die Verkaufsregale. Was hat man mit dem herausgezauberten Fett eigentlich gemacht? Und das einzige Bewertungskriterium beim Fleisch ist dessen Magerkeit. Wo und wie das Vieh lebte oder darbte, wie es starb und was es fras ist wurst, solange es schön mager auf den Tisch kommt. Es ist schon absurd, dass unsere geliebte weil billige Massentierhaltung ausgerechnet fette Tiere hervorbringt.


 

Über Gefundenes Fressen:

Jeder Bissen ist ein politischer Akt. Was wir wann wie und warum essen, kann unwürdige Arbeitbedingungen, Bodenerosion in Zentralafrika oder brennende Amazonasflächen auslösen. Die Frage des täglichen Essens hat nichts mit Diäten, Rezepten oder Gourmetkritiken zu tun sondern mit CO2 Emissionen, Fracking oder Gentechnologie. Jeder Biss ist Kultur. Jedes Schlucken ist Politik. Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter wollen in ihrem Blog das Essen als essentielles politisches Thema in der Mitte der Gesellschaft positionieren, weil die Aufnahme der alltäglichen Kalorien nicht nur eine Frage von Genuss und Geschmack sondern auch der Lebenseinstellung und Denkweise einer Gesellschaft ist. Erst das Fressen, dann die Moral? Nein.

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