Dicke Luft
Durchs Schneegestöber radeln ist längst salonfähig. Relativ neu hingegen ist der Versuch, daraus eine eigene Nische zu basteln. Ein Überblick über die jüngsten und extremsten Auswüchse des Fatbike-Segments – Winterreifen waren erst der Anfang.
Als die damals noch kleine Fahrrad-Firma Surly – wohlgemerkt aus Amerikas Eisschrank Minnesota – 2005 mit ihrem Modell Pugsley den Spaß mit den 10cm-plus-Reifen (Breite!!!) ins Rollen brachte, war allen sofort klar, dass es sich dabei um ein zukünftiges Kult-Modell handeln würde. Der »Pug«, benannt nach dem dicken Spross der Addams Family, gilt als erstes echtes Fatbike, wobei die in der Wellenreiter-Szene der 50er Jahre sehr beliebten Balloonbikes für die Fahrt an den (Sand-)Strand, welche zwar nicht annähernd die Reifendimension besaßen, wohl aber der selben Idee zu Grunde lagen, ganz offensichtlich Pate standen. 26“-Gummis mit enormem Querschnitt, verheiratet mit extrem breiten Felgen, um sowenig Luftdruck wie möglich fahren zu können. Denn je mehr Aufstandsfläche der Reifen hat, umso weniger würde er auf losem oder weichem Untergrund einsinken. Erdacht für Fahrten auf Schnee und Sand, ein Minderheitenprogramm, könnte man meinen.
Fünf Jahre nach der Einführung des Pugsleys und dem Einstieg mehrerer anderer Firmen in das vergleichsweise junge aber enorm schnell wachsende Segment setzt Surly mit dem Moonlander und neuen, noch dickeren Laufrädern eins drauf und baut seine Vormachtstellung aus. Trivia zur Konkurrenz: Der größte Konkurrent kommt amüsanterweise aus der selben Kinderstube. Salsa Cycles, auch dem QBP-Konzern zugehörig und ebenso aus Bloomington, Minnesota, schickt mit zwei Aluminium- und einem Titan-Modell Namens Mukluk – yupik für Stiefel – die Ergänzung zu den Stählernen aus dem Hause Surly ins Rennen, genau zur richtigen Zeit, um es den Jüngern des Americana Backwood Revival zu ermöglichen, sich auch im städtischen Kontext zu Recht als Musher bezeichnen zu dürfen. Firmen, die den Bandwagon auch noch erwischt haben, Firmen mit Namen wie Sandman, Speedway Cycles, Chain Reaction oder Origin8, können bei so einem Aufgebot nur in Deckung gehen.
Andere nutzen das Kielwasser des großen Umiak und bieten mehr oder weniger nützliches, mittlerweile jedoch stark assoziiertes Zubehör, Allen voran Revelate Design. Von im besten Falle an einer Jeff Jones H-Bar fest montierten und Polar-erprobten Fäustlingen, sogenannten Pogies, bis hin zu maßangefertigten Frame- und Tankbags zur Erweiterung der ohnehin schon großzügig vorhandenen Transportflächen, hoffentlich bedingt durch extra breite Old Man Mountain Gepäcksträger, bietet Eric Parsons Zubehör für das große Abenteuer auf den noch größeren Rädern, natürlich handmade und straight outta Alaska. Für den Mitteleuropäer gilt nur noch, auf die Erfindung des Anwendungsgebiets frei Haus als Zubehör zu hoffen. Doch das SUV hat’s ja bekanntlich auch ohne geschafft.