Cooler in Grün
Fassadenbegrünungen schaffen Lebensraum und kühlen auf natürliche Weise.
Die Sommermonate waren heiß. Das entspricht nicht nur dem subjektiven Empfinden der Menschen, sondern ist auch mit Daten belegbar. Aufnahmen aus dem Sommer 2017 zeigen, dass in manchen Bereichen der Stadt Krems um 10 Uhr früh bereits die 33-Grad-Marke überschritten wurde. Für Abkühlung in urbanen Hitzeinseln soll in Krems künftig mehr Grün auf Dächern und Fassaden sorgen. Im Rahmen des Projekts Greenovate Krems wurde im vergangenen Jahr ein Leitfaden anhand von zwei Projekten in der Kremser Altstadt erstellt, der Gemeinden und BauträgerInnen bei der Umsetzung von klimarelevanter Gebäudebegrünung unterstützen soll.
Wichtig sei bei der Umsetzung vor allem die Partizipation, wie Christine Rottenbacher, Lehrgangsleiterin des Zentrums für Umweltsensitivität an der Donau-Universität Krems, die das Projekt wissenschaftlich begleitet, erklärt: »Es gibt nach wie vor eine starke Diskrepanz zwischen ›beobachten‹ und ›wirklich umsetzen‹. Leute beobachten diese Prozesse zwar, wollen ihren Balkon aber selbst nicht begrünen, weil sie beispielsweise Angst davor haben, dass dann mehr Insekten in der Wohnung sind. Das muss man besprechen und ernst nehmen. Die Umsetzung ist bedeutend einfacher, wenn man eine Gruppe an Menschen hat, die bestimmte Werte bereits vertritt und auch teilhaben will.«
Grüne Klimaanlage
»Grün statt Grau« heißt es auch bei der gleichnamigen Kompetenzstelle für Bauwerksbegrünung, die mit ihrem mobilen Ausstellungsraum MUGLI in ganz Österreich Vermittlungsarbeit leistet. Das Credo: Aus kahlen Wänden sollen grüne vertikale Lebensräume werden, die zudem im Sommer eine kühlende und im Winter eine dämmende Funktion haben. »Eine Begrünung an der Fassade ist praktisch eine grüne Klimaanlage, die die Umgebungsluft kühlt. Zusätzlich schafft man damit auch Lebensräume, es gibt Pollen- und Nektarquellen, zum Beispiel für Wildbienen, aber auch für andere Insekten, die wiederum dienen als Nahrungsquelle für Vögel. Die Begrünung trägt damit auch zur Biodiversität bei«, erklärt Elisabeth Gruchmann-Bernau von GrünStattGrau.
Welche Begrünungssysteme bei welchen Gegebenheiten umsetzbar sind und wie verschiedene unterstützende Technologien funktionieren, wird BesucherInnen im Rahmen von Führungen im MUGLI erklärt. Mithilfe eines Periskops kann dabei beispielsweise auch ein begrüntes Dach mit Wildbienenhotel und Photovoltaikanlage erkundet werden.
Zudem erhalten InteressentInnen auch eine Erstberatung, so Elisabeth Gruchmann-Bernau: »Viele Menschen haben gerade im vergangenen Sommer schon etwas über das Thema gehört und wollen wissen, wie man die Sache am besten angeht. Man sieht im MUGLI genau, was dahintersteckt, wie beispielsweise eine automatische Bewässerung aussieht und worauf man achten muss.«
Grundsätzlich wird zwischen bodengebundener und wandgebundener Begrünung unterschieden, zudem sind auch die Wuchseigenschaften der Pflanze entscheidend. Sogenannte Selbstklimmer bilden Haftscheiben oder Wurzeln aus und haften selbst direkt an der Fassade. Ein klassisches Beispiel dafür wären Efeu oder Wilder Wein. Bei Schling- oder Windpflanzen braucht es Seile zur Unterstützung, Spreizklimmer benötigen hingegen ein netzartiges Rankgerüst. Nur wenn die Voraussetzungen stimmen, können die Pflanzen optimal wachsen.
Kühlleistung von 45 Klimakühlgeräten
Wurde das perfekte Konzept für den Standort gefunden, leisten Pflanzen enorm viel. An der Fassade der MA48 Wien wachsen bereits seit 2010 rund 16.000 verschiedene Pflanzen im Rahmen einer fassadengebundenen Begrünung. Das Projekt wurde wissenschaftlich von der Universität für Bodenkultur in Wien begleitet, die erhobenen Daten zeigen sehr deutliche Auswirkungen.
Die Verdunstungsleistung auf der rund 850 Quadratmeter großen bepflanzten Fläche entspricht der Kühlleistung von etwa 45 Klimakühlgeräten mit jeweils 3000 Watt Kühlleistung und acht Stunden Betriebsdauer. Zudem unterscheidet sich die Oberflächentemperatur an sonnigen Tagen von der gemessenen Temperatur direkt an der Putzfassade um bis zu 15 Grad Celsius. Im Winter dämmt der »grüne Pelz« hingegen und sorgt für geringeren Wärmeverlust nach außen.
Während sowohl das subjektive Wohlbefinden als auch die Temperaturen an der Fassade durchaus beeinflusst werden können, hält sich der positive Einfluss auf unser Klima je nach System allerdings in Grenzen, warnt Christine Rottenbacher: »Die fassadengebundene Begrünung wird oft mit Trinkwasser gewässert, das ist eigentlich nicht nachhaltig. Natürlich ist es ein hübsches Element und es erbringt für das Gebäude selbst eine Kühlleistung und steigert auch das Wohlbefinden, aber der Boden muss geöffnet werden, wenn man über Nachhaltigkeit, Regenmanagement und Klimawandelanpassungen spricht.«
Eine Alternative bietet die bodengebundene Fassadenbegrünung, bei der der Boden geöffnet und eine Regenwasserzuleitung hergestellt werden muss, damit Pflanzen wachsen können. In Sachen Nachhaltigkeit leiste diese Form der Begrünung wesentlich mehr, zudem sei sie bei guter Umsetzung auch etwas pflegeleichter, sagt die Expertin.
Geeignet sind Fassadenbegrünungen nicht nur bei Großprojekten, sondern auch beim klassischen Einfamilienhaus, so Elisabeth Gruchmann-Bernau von GrünStattGrau: »Auch im privaten Bereich kann eine Fassadenbegrünung einen großen Nutzen haben, etwa wenn man die Südfassade eines Hauses begrünt und so eine Beschattung der Bausubstanz erreicht. Man kann damit auch die Gebäudehülle vor Wettereinflüssen und starken Temperaturschwankungen schützen.«
Vor der Umsetzung bietet GrünStattGrau den Greening Check als digitales Erstberatungstool, bei dem der Istzustand, der Sollzustand und das Begrünungsziel erhoben werden, um in einem weiteren Schritt genau zu analysieren, welche Begrünungssysteme geeignet sind. Wer sein Haus in Niederösterreich mit einem begrünten Dach ausstattet, bekommt im Rahmen der Wohnbauförderung ein Förderdarlehen, in Zukunft wird dieses auch auf begrünte Fassaden ausgeweitet.
BIORAMA #-4