Faktencheck Pflanzenfarbe: Was ist möglich, was nicht?
Wie viel ist (noch) dran an den alten Mythen und neuen Irrglauben rund um Naturhaarfarben?
Umwelt- und gesundheitsfreundliches Haarefärben ist für viele schnell zusammengefasst: Henna. Knapp und kurz, dennoch selten emotionslos. Oft zum Märchen ausgemalt und persönlich grundiert von leidvoller Selbsterfahrung oder eben der einer Freundin der Freundin. Manch Opfer trug in Folge gar grünes Haupthaar, angeblich dauerhaft. Viele schrecken aus Angst vor potenziellen Missgeschicken, manche mit ästhetischen Vorbehalten: Der unverkennbare orange-rote Ton scheint für manche schon von weitem laut „Bio“ zu schreien.
Natürlich – aber fad?
Dabei ist es ein glattes Vorurteil, das Fans subtilerer und breiter Farbmöglichkeiten oft von Naturhaarfarben absehen lässt. Neben Rot und Rotbraun gibt es viele Nuancen. Mit natürlichen Farben bewegen wir uns im ganzen Spektrum von Blond bis Schwarz. Die Mischung verschiedener Pflanzenkomponenten macht’s möglich. Die Rottöne stammen vom pulverisierten Blatt des Hennabaums. Andere Pflanzen, die Farbveränderungen ermöglichen sind etwa Indigo (Reng) für blaue bis blau-schwarze Töne; Weizen, Kurkuma und Cassia für Gelb, also Blond-Nuancen. Rubia intensiviert Rottöne, Nagar Matha ergibt ein sanftes Braun. Hibiskus kann bei dazu geeigneter Naturhaarfarbe sogar Pink bis Lila hervorbringen – was dann gar nicht mehr so sanft und natürlich daherkommt.
Das Tückische: Entscheidend ist die Ausgangsfarbe und die Vorbehandlung. Um mit dem Thema vertraut zu werden, empfiehlt sich vor allem Anfängern deshalb der Besuch eines Naturfrisörs.
Natur ist nicht gleich Natur / Green-Colour-Washing
Manche vermarkten den Mythos Henna gnadenlos. So bedienen sich gewisse industrielle Hersteller noch immer des Prädikats „Henna“ im Produktnamen, um natürliche und Bio-Qualität zu suggerieren, obgleich in ihren Produkten auch bedenkliche Stoffe wie allergene Formaldehydabspalter (z. B.: Imidazolidinylharnstoff, Diazolidinylharnstoff,) oder karzinogene aromatische Amine (z. B.: Phenylendiamin oder Aminophenole) enthalten sind.
Der kritische Blick vermeidet also manche Inhaltsstoffe und achtet auf geprüfte Labels. Diese garantieren, dass als problematisch und hautreizend geltende Stoffe vermieden oder zumindest minimiert sind. Zu den bedenklichsten Stoffen in Haarfärbemitteln gehören neben den bereits erwähnten: Resorcin, Ammoniak, Wasserstoffperoxid, PEG/PEG-Derivate sowie halogenorganische Verbindungen.
Anders als in konventionellen Präparaten finden sich in Naturhaarfarben eben Stoffe mit von Natur aus pflegenden und heilenden Eigenschaften. (Im Ayurveda finden sie deshalb auch bei anderen medizinischen Indikationen Anwendung, etwa im dermatologischen Bereich.) So pflegt in der indischen Heilkunst zum Beispiel Henna, Rhabarberpulver, Cassia oder Neem auf vielfältige Weise die Haut.
So geht’s: Richtig (natur)färben
Die Argumente gegen Naturhaarfarben werden weniger. Richtig angewendet kann man sehr breit agieren. Mit einigen Kniffen, ein wenig Experimentierfreunde und dem Bewusstsein, dass wirklich jedes Haar anders ist, lassen sich auch die Nachteile, welche Naturhaarfarben nachgesagt werden, wettmachen.
Anwendung bei vorbehandeltem Haar
Man kann chemisch vorbehandeltes Haar natürlich färben, allerdings sollten seit der chemischen Färbung 4 bis 6 Wochen vergangen sein. Probesträhnen sind sinnvoll, denn das Ergebnis ist stets individuell und schwer vorhersehbar.
Farbspektrum und -aufnahme
Extreme Farbänderungen im allgemeinen und von Dunkel auf Hell sind nicht erzielbar. Von Hell auf Schwarz ist allerdings möglich. Gänzlich homogen wird die Färbung im Gesamteindruck aber nie, die individuellen Farbnuancen und -unterschiede innerhalb der Naturhaarfarbe bleiben erhalten. So ergibt sich ein natürliches Haarbild mit weichen Abstufungen. Von Vorteil: Der „Helmeffekt“ einheitlicher Überfärbung wird vermieden; auch ein starker und auffälliger Kontrast beim Nachwuchs fällt weg.
Färbeprozess
Der Färbeprozess basiert auf einer physikalischen und enzymatischen Reaktion, die Haarstruktur wird nicht dauerhaft verändert. Die Farbstoffe dringen nicht in den Haarkern ein. Eine Schutzschicht umhüllt das Haar, das Haar wird weder geöffnet, noch wird in seine Struktur eingegriffen.
Die chemische permanente Färbung hingegen basiert auf einer oxidativen Reaktion, die das Haar strukturell dauerhaft verändert und in das Haar eindringt und es so brüchig macht.
Einwirkzeit
Erstaunlich ist, dass helle Pflanzenfarben kürzer als konventionelle Produkte einwirken müssen. Bei dünkleren Farbtönen ist mit ungefähr 45 bis 60 Minuten zu rechnen. Lediglich beim allerersten Färben kann der Einwirkprozess länger dauern, da das Haar oft noch von Rückständen anderer Pflegeprodukte umhüllt ist. Der Naturfrisör empfiehlt eine entsprechende Reinigung.
Grauabdeckung
Hier ist Übung und Geduld gefragt, ein Färben grauer Haare ist mit dem richtigen Mischverhältnis dennoch möglich. Auch für eine Grauabdeckung muss das Haar frei von Filmbildnern (Silikone, Conditioner u. Ä.) sein. Am besten testet man hier langsam an einzelnen Strähnen, um die individuelle Reaktion des Haars kennenzulernen.
Achtung: Henna soll mit kochendem Wasser angerührt werden. Zitronensaft kann die Leuchtkraft verbessern. Indigohaltige Farben sollen jedoch nicht mit Wasser, das heißer als 50°C ist, angerührt werden, andernfalls kann das Farbergebnis sonst rötlich werden.
Das Haar kann blau- oder grünstichig werden, wenn Indigo pur angewendet wird. Also zuerst mit rotem Henna und danach mit schwarzen Pflanzenhaarfarben färben.
Haltbarkeit
Pflanzenhaarfarben gelten in der Färbelehre als semipermanente Farben, überstehen bis zu 24 Haarwäschen und sind also länger anhaltend als eine Tönung, aber nicht permanent.
BIORAMA #54