Fairer Kakao: „Wir müssen pragmatisch sein“
Während der weltweite Kakaopreis einbricht, steigt in Österreich seit Jahren die Nachfrage nach fair produzierten Kakao. Zeigt sich hier ein größerer Wandel in der Kakaoproduktion? Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich, sagt ja. Wir fragen warum.
Es sind nur zwei Zahlen, die auf dramatische Veränderungen am Kakaomarkt hinweisen. Rund 3.050 Dollar war eine Tonne Kakao an der New Yorker Börse im Juni 2016 wert. Neun Monate später sind rund 2.000 Dollar. Diese gewaltigen Preisverschiebungen innerhalb des verhältnismäßig kleinen Kakaomarkts sind nicht neu, seit Hartwig Kirner vor zehn Jahren Geschäftsführer von Fairtrade Österreich wurde. Die niedrigen Preise haben aber empfindliche Auswirkungen auf die Kakaobauern. Arbeitsintensiv bauen sie eine langsam wachsende Pflanze an. Bis zu sieben Jahre dauert es bis eine Jungpflanze genug Ertrag abwirft, um wirtschaftlich zu sein.
Gleichzeitig zu dem Abwärtstrend des Kakaopreises steigt in Österreich die Zahl an Produzenten und Konsumenten, die bereit sind, mehr für Schokolade zu bezahlen. Kakao ist deshalb für Kirner zu einem vielversprechenden Zukunftsmarkt des fairen Handels geworden. Ein Gespräch über die Hintergründe und Auswirkungen des Nachfragebooms nach dem fair-produzierten, schwarzen Gold des Alltags.
BIORAMA: Bei einer Reise haben Sie vor kurzem Kakaobauern in der Elfenbeinküste besucht: Wie sieht der Kakaoanbau in der Realität aus?
Hartwig Kirner: Es sind sehr einfache Arbeitsbedingungen, unter denen dort gearbeitet wird. Auch die Infrastruktur ist teilweise sehr schlecht. Im Kakaomarkt haben wir generell eine große Anzahl von sehr armen Kleinbauernfamilien, die mit dem was sie produzieren kaum ein gutes Auskommen finden. Im Durchschnitt besitzen sie nur zwei bis drei Hektar Anbaufläche. Das ist leider zu klein, um große Sprünge machen zu können. Wir müssen den Markt verändern, sodass die Bauern von ihrer Arbeit besser leben können. Nicht nur aus altruistischer Motivation heraus, sondern damit junge Landwirte überhaupt ein Interesse am Kakaoanbau haben.
Im vergangenen Dreivierteljahr ist der weltweite Kakaopreis um fast die Hälfte eingebrochen: Was sind die Auswirkungen für die Bauern?
Hartwig Kirner: Die Kakaobauern erhalten nicht sofort weniger für ihre Ware. Auch ist die Fairtrade-Prämie vom Börsenpreis unabhängig. Neben der Abhängigkeit von den Rohstoffbörsen und Zwischenhändlern beeinflusst vor allem in Westafrika, wo 70 Prozent des weltweiten Kakaos angebaut werden, der Staat das Preisgeschehen am Kakaomarkt. In der Elfenbeinküste, dem größten Kakaoproduzenten, setzt der Staat den Kakaopreis fest. Daher schlägt sich dieser nicht sofort auf das Einkommen der Bauern nieder, sondern zeitverzögert, wenn beispielsweise der Staat seinen allgemeinen Kakaopreis senkt. Dies verbessert die Situation der Bauern nur bedingt, dain Zeiten des Niedrigpreises die Bauern aufgrund der langen Anbauzeiten nicht spontan auf andere Anbaufrüchte umsteigen können. So dauert es beispielsweise rund sieben Jahre, bis junge Kakaopflanzen erstmals einen nennenswerten Ernteertrag abwerfen. Wir haben jahrzehntelang am Kakaomarkt sinkende Preise gesehen. In den letzten Jahren hat sich der Preis stabilisiert. Nun geht es wieder nach unten. Das ist weder für die Bauern, noch für die Schokoladeindustrie erfreulich. Die Motivation für Bauern, speziell für junge Landwirte, mit dem Kakaoanbau weiterzumachen, ist gering. Gerade in Westafrika haben wir ein Altersproblem. In Ghana ist das Durchschnittsalter bei knapp sechzig Jahren.
Wie wird die Fairtrade-Prämie in diesen Regionen verwendet?
Hartwig Kirner: In der Elfenbeinküste wurden mit den Prämiengeldern neue Kakaobäume gekauft. Das heißt, die Mitglieder dieser Kooperative erhalten kostenlos Setzlinge. Diese neuen Bäume haben den doppelten bis dreifachen Ertrag, aber eben nicht sofort. Deshalb werden die Bauern dazu angehalten ihre Bäume sukzessive auszutauschen. Der Baumbestand in der Elfenbeinküste ist veraltet und am Ende seines Ertragszyklus angekommen. Es ist dringend notwendig, dass diese Bäume ausgetauscht werden. Zudem werden mit der Fairtrade-Prämie Schulen finanziert.
Wie unterscheiden sich in der Elfenbeinküste die Arbeitsbindungen von Fairtrade-Landwirten von konventionellen Bauern?
Hartwig Kirner: Ein großes Problem bei der Kakaoproduktion ist die ausbeuterische Kinderarbeit. Hier muss zwischen Kindern, die auf dem Feld der Eltern in einem vertretbaren Rahmen mithelfen, so dass zum Beispiel der Schulbesuch davon nicht behindert wird, und jenen unterschieden werden, die von Mali in die Elfenbeinküste gebracht werden und dort als Knechte arbeiten müssen. Die Fairtrade-Standards verbieten diese Art der Kinderarbeit natürlich strengstens. Zusätzlich werden die Kinder in der Schule aufgeklärt, damit sie keine gefährlichen Tätigkeiten durchführen, wie etwa schwere Säcke zu tragen oder mit der Machete Kakaobohnen aufzuschlagen. Fairtrade-Kakao stammt zudem ausschließlich von Kleinbauernfamilien, die sich in Kooperativen demokratisch zusammenschließen Dadurch haben sie eine größere Marktmacht und müssen nicht mehr ihren Kakao an fahrende Zwischenhändler verkaufen.
Könnte es deshalb zukünftig zu einer Krise in der Kakaoproduktion kommen?
Hartwig Kirner: Experten befürchten, dass das Angebot von Kakao am Markt eng werden könnte. In Schwellenländern wie China, Brasilien und Indien steigt die Nachfrage nach Kakao. Die Gefahr ist, dass der Anbau nicht im gleichen Maße wie die Nachfrage ansteigt. Das ist vermutlich einer der Gründe, warum sich die Schokoladeindustrie in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt und Corporate Social Responisibility-Programme vorantreibt. Dadurch verbessern sich der Umgang mit den Bauern und auch die Produktionsmethoden.
Unterschiedliche Siegel, wie UTZ oder Rainforest Alliance, stehen deshalb mittlerweile in Konkurrenz zu Ihrem Fairtrade-Siegel. Befürchten Sie, dass Standards gesenkt werden und Fairtrade als Marke darunter leidet?
Hartwig Kirner: Das würde dann eintreffen, wenn es bei den Standards einen Wettbewerb nach unten gäbe. Einen solchen würde Fairtrade nicht mitmachen. Derzeit sieht es ohnehin so aus, als würde es einen Wettbewerb nach oben geben. Ein Beispiel: Nicht nur die Kakaomasse ist Bestandteil von Schokolade, sondern auch Kakaobutter. Die meisten Schokoladefirmen kaufen die Butter zu. In der Vergangenheit wandte Fairtrade bei der Zertifizierung den normalen Industriedurchschnittsfaktor an. Dieser besagt, dass für einen Kilogramm Kakaobutter 1,25 Kilogramm Kakaobohnen verarbeitet werden müssen. Tatsächlich werden für die Butter 2,5 Kilogramm Kakaobohnen verwendet. Bei der Produktion bleibt Pulver über, das in den Industriedurchschnittsfaktor nicht einberechnet wird. Deshalb hat Fairtrade zugunsten der Kakaobutterproduzenten auf die richtigen Faktoren geändert. UTZ hat vor kurzem nachgezogen. Da die Schokoladeproduzenten jetzt ein Wert von 2,5 Kilogramm Kakaobohnen für die Butter bezahlen müssen, steigt in Summe die Absatzmenge der Kakaoproduzenten. Wir haben also gemeinsam den Kakaomarkt für die Produzenten verbessert. Wir sehen nicht andere Siegel, sondern den konventionellen Markt als „Konkurrenz“. Wichtig für die Produzentenorganisationen ist, dass der Anteil an zertifiziertem Kakao insgesamt steigt.
Fairtrade Österreich hat das Fairtrade-Kakao-Programmsiegel eingeführt. Um dieses zu erhalten, muss nicht mehr das gesamte Produkt, sondern nur der Kakao fair produziert werden. Bei Schokoladeprodukten kann beispielsweise konventioneller Zucker verwendet werden. Ist das für Sie mit „dem Wettbewerb nach oben“ vereinbar?
Hartwig Kirner: Mit dem Fairtrade-Kakao-Programm haben wir den Unternehmen eine Möglichkeit eröffnet, klar zu kommunizieren, dass es hier um den Kakao geht. Wenn ein österreichischer Schokoladehersteller österreichischen Zucker einkaufen möchte, können und wollen wir dem Unternehmen nicht verbieten in der Lieferkette diese Entscheidungen zu treffen. Wir hätten darauf bestehen können, dass wie bisher das gesamte Produkt fair gehandelt werden soll. In Deutschland haben wir jedoch gesehen, dass dasselbe Kakaoprogramm die Menge an fairem Kakao in drei Jahren verzehnfachen konnte. Das verdeutlicht, dass unser Schritt mit dem Siegel nachzuziehen, der richtige war. Die Fairtrade-Standards für den Kakaoanbau werden dadurch nicht verändert, die Absatzchancen für die Kakaobauern steigen jedoch. Die Zuckerbauern leiden nicht darunter. Denn sie sind vom zusätzlichen Kakao-Absatz sowieso nicht betroffen. Manchmal muss man pragmatisch in den Markt hineingehen. Zurzeit setzen Schokoladefirmen primär auf die Kakaobohne als ihr Nachhaltigkeitsvehikel und Fairtrade will ihnen dabei helfen. Die Befürchtungen wären berechtigt, hätten wir nicht auch einen starken Zuwachs an Fairtrade-Kakao in Österreich.
Sehen Sie das Fairtrade-Kakao-Programm als primären Grund für die Steigerungsraten im Fairtrade-Kakaomarkt in Österreich?
Hartwig Kirner: Sicherlich konnten wir durch das Fairtrade-Kakao-Programm neue Partner gewinnen, die zuvor kein Interesse an Fairtrade hatten. Es hat für mich wenig Sinn, Unternehmen dazu zu zwingen, gleich vollkommen auf Fairtrade umzustellen. Es ist gut, den ersten Schritt zu setzen und in den nächsten Jahren vielleicht einen weiteren Schritt zu machen, denn den Großteil der Rohstoffkosten einer Schokolade stellt ohnehin Kakao dar. Auf der Verpackung ist zwischen dem Fairtrade-Kakao-Programmsiegel und dem Fairtrade-Siegel ein klarer Unterschied erkennbar. Nur weil Fairtrade zwanzig Jahre gut funktioniert hat, spricht das nicht dagegen, mit unserem Siegel etwas Neues zu versuchen.
Wie viel Prozent der in Österreich verkauften Schokoladeprodukte hat ein Fairtrade – oder ein Fairtrade-Kakao-Programmsiegel?
Hartwig Kirner: Wir haben keine genauen Marktzahlen, schätzen aber so zirka fünf Prozent. Das ist in einem so großen Markt, wie jenem der Schokoladeproduktion, nicht unerheblich. Bei den jetzigen Steigerungsraten sehe ich ein Potenzial, diesen Anteil noch zu vergrößern. Der Kakaomarkt ist neben dem Bananen- und Kaffeemarkt der wichtigste für uns. Derzeit sind keine neue Fairtrade-Standards bzw. –Produktkategorien geplant, stattdessen wollen wir zuvor den bestehenden Bauern einen höheren Absatz ihrer Fairtrade-Rohstoffe ermöglichen. Es bringt nichts, in neuen Märkten gegen riesige Wiederstände anzukämpfen, wenn wir mit dem gleichen Aufwand in bereits bestehenden Märkten wie dem Kakao- oder Kaffeemarkt viel bewegen können, weil auch von Seiten der Unternehmen ein Wille zur Nachhaltigkeit besteht.
Welche Herkunft hat der fair-gehandelte Kakao in Österreich?
Hartwig Kirner: Ein überdurchschnittlich großer Anteil des Fairtrade-Kakaos stammt aus Lateinamerika. Denn die Edelkakaosorten kommen primär aus dieser Region. Die Firma Zotter und EZA, zwei der größten österreichischen Fairtrade-Anbieter, kaufen einen Großteil ihrer Schokolade aus dieser Region. Je breiter der Fairtrade-Kakaomarkt in Österreich wird, desto stärker wird auf Kakao aus Westafrika zurückgegriffen. Die Elfenbeinküste und Ghana werden für uns zu immer wichtigeren Faktoren.
Weltweit liegt der Anteil beim Edelkakao gleichbleibend bei fünf Prozent. Spricht dies für schlechte Qualität am Schokolademarkt?
Hartwig Kirner: Natürlich ist Schokolade zu günstig. Bei all den wertvollen Rohstoffen ist eine hundert Gramm Tafel mit zwanzig Cent schlicht zu billig. Allgemein ist aber ein Trend zu höherpreisigen Produkten spürbar. Im mittelklassigen und Premiumbereich sind die Schokoladenpreise und die Qualität gestiegen. Es werden mehr Schokoladen mit einem höherprozentigen Kakaoanteil verkauft. Das sind Zeichen dafür, dass Schokolade mehr an Wert gewinnt.
Aus ihrem letzten Jahresbericht für 2015 geht hervor, dass sich der Bio-Anteil am Kakao seit 2009 verringert hat – gehen Sie davon aus, dass der Anteil im Zuge dieser Entwicklung wieder steigen wird?
Hartwig Kirner: Das ist die Falle der Statistik. Der Anteil ist zwar geringer geworden, die Menge hat sich in den letzten Jahren sogar leicht erhöht. Es gibt nicht weniger bio-fairen, sondern ein größeres Wachstum bei nicht biologisch angebautem Kakao. Das heißt, es stellen zurzeit vor allem nicht Bio-Hersteller auf Fairtrade um. Prinzipiell ist das natürlich nicht schlecht, da der nicht BioMarkt größer ist, und die Umstellung von konventionell auf Fairtrade ein erster Schritt ist. Die perfekte Verknüpfung – und auch unser Ziel – ist aber die Umstellung auf Bio- und Fairtrade-zertifizierten Kakao.
Was bedeutet diese Entwicklung für Fairtrade-Kakao in Österreich?
Hartwig Kirner: Bei Kakao sind wir noch lange nicht am Ende des Wachstumszyklus angekommen. Die Tendenz ist klar positiv. Die Konsumentinnen und Konsumenten sind großteils dazu bereit mehr für ihre Schokolade zu bezahlen. Auch Unternehmen sind daran interessiert, auf fair produzierten Kakao umzustellen. Eine Verdoppelung unseres Kakaovolumens in Österreich in den nächsten Jahren ist sicherlich keine Utopie.
Du fragst dich wozu das ganze? An dieser Stelle informiert BIORAMA über eine Studie zu den Produktionsbedingungen in Schokoladeherstellung.