Von Bordcomputern und Radspielplätzen
Digital Bike: Wie man die Verkehrssicherheit von Kindern auf dem Fahrrad steigern kann.
9128 registrierte Fahrradunfälle von Kindern im Alter zwischen sechs und 15 Jahren gab es 2019 auf deutschen Straßen. Dabei waren die Kinder entweder nur Mitfahrende oder selbst am Steuer, so eine Statistik des deutschen Statistischen Bundesamts (Destatis). Damit sind Fahrradunfälle bei Kindern nach Autounfällen die häufigste Art von Straßenunfällen. In Österreich waren es laut Statistik Austria 2016 557 Unfälle mit Beteiligung von fahrradfahrenden Kindern. Das ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl Deutschlands eine geringere Zahl, dennoch war es in dem Jahr die vierthäufigste Unfallart von Kindern in Österreich. Laut der Studie von Destatis war das häufigste Fehlverhalten der fahrradfahrenden Kinder die falsche Straßenbenutzung, also beispielsweise das Fahren gegen eine Einbahn, gefolgt von Fehlern beim Abbiegen und Wenden sowie falschem Verhalten bei der Vorfahrt und dem Vorrang.
Fehlverhalten von fahrradfahrenden Kindern wird unter anderem durch das geringere Gefahrenbewusstsein im Vergleich zu Erwachsenen und auch durch die im Kindesalter noch nicht voll ausgeprägten motorischen Fähigkeiten begründet, so ein Bericht des Projekts Vorkids der Deutschen Hochschule der Polizei aus 2018, der damit zwei Gründe aufzählt, warum Kinder im Straßenverkehr vom Vertrauensgrundsatz ausgenommen sind.
Eine Möglichkeit, die motorischen Fähigkeiten zu verbessern, können Radmotorikparks sein. Solche Parks, die in Dänemark Radspielplätze genannt werden, bieten mithilfe verschiedener Stationen und Übungen Kindern einen sicheren Platz, um das Fahrradfahren zu erlernen und zu üben. Der erste Radmotorikpark im deutschsprachigen Raum entstand 2020 in Wien, wo Alec Hager, der sich der Vertretung von FahrradfahrerInneninteressen verschrieben hat, die dänische Idee in einem rund 8000 Quadratmeter großen Park mit 17 verschiedenen Stationen plante.
An einer anderen Möglichkeit, die versucht, Fehlverhalten von Kindern im Verkehr zu minimieren, hat die Geomobile GmbH aus Dortmund mit ForschungspartnerInnen, bestehend aus deutschen Universitäten und HerstellerInnen von Fahrradprodukten, gearbeitet. Das Projekt mit dem Namen Safety4bikes untersuchte zwischen 2017 und 2019 drei Jahre lang Assistenzsysteme für Fahrräder, die das Verkehrsverhalten von Kindern beobachten und in brenzligen Situationen auf das richtige Verhalten im Straßenverkehr aufmerksam machen, um die Sicherheit zu erhöhen.
Alec Hager hat die Idee der Radspielplätze nach Österreich gebracht, 2020 wurde in Wien der erste Radmotorikpark geöffnet. Bild: Peter Provaznik/Radvokaten.
Daten können Sicherheit schaffen
Die im Projekt entwickelten Assistenzsysteme analysieren beispielsweise Daten aus Sensoren am Helm und am Rad, Positionsdaten sowie Funknachrichten anderer Fahrzeuge und geben über eine Kombination aus visuellen, akustischen und haptischen Signalen Hinweise zu Verkehrsregeln und Gefahren. Die Ausgabe der Hinweise erfolgt mithilfe von Signalen am Rad, dem Helm oder einer Datenbrille. Laut einem der Autoren der Studie, Andreas Hein von der Universität Oldenburg, seien die Assistenzsysteme, die bei Safety4bikes entwickelt wurden, auch modular, also einzeln, einsetzbar. Zur Vorbeugung von Verkehrsunfällen entwickelte das Forschungsprojekt mit einem Volumen von 2,5 Millionen Euro außerdem eine altersgerechte App, die im Vorhinein eine Route berechnet, die bestmöglich Gefahrenstellen ausschließt oder frühzeitig auf diese hinweist.
Für das in der Automobilindustrie bereits bestehende Assistenzsystem mit dem Namen Car2x, das über drahtlosen Datenaustausch die Kommunikation zwischen einem Pkw und dessen Umwelt ermöglicht, wurden von Safety4bikes Erweiterungen vorgeschlagen, um die Bedürfnisse von FahrradfahrerInnen besser abzubilden und deren Sicherheit zu erhöhen. Andreas Hein erklärt die Technologie: »Wenn beispielsweise ein Auto in die Kurve fährt und es zu einer Kollision kommen kann, berechnet das unser System und gibt entsprechende Warnhinweise.« Das funktioniert sowohl bei Autos als auch bei Fahrrädern. Je mehr Fahrzeuge die Technologie besitzen, desto größer ist der Sicherheitsgewinn. Hein rechnet mit der Nutzung eines Smartphones als Bordcomputer, das die Sensorsignale verarbeitet und an das Kind weitergibt. Das kann zum Beispiel visuell erfolgen, indem man das Handy am Lenker befestigt – sicherer seien akustische Signale über den Helm.
Für den früheren Sprecher der Wiener Radlobby und derzeitigen Geschäftsführer des Vereins Radvokaten, Alec Hager, ist die Idee von Assistenzsystemen an Fahrrädern keine Option für mehr Sicherheit von fahrradfahrenden Kindern im Straßenverkehr: »Wir müssen uns darum kümmern, dass der Verkehr so fehlerverzeihend und auch so menschenfreundlich wie möglich ist. Ein Verkehr, der kindergerecht ist. Assistenzsysteme helfen nicht, wenn der Verkehr nicht fahrradgerecht ist.« In einem »menschengerechten Verkehrssystem« gebe es keine Notwendigkeit für technische Lösungen. Hager bewertet die Einführung von Assistenzsystemen für Fahrräder sogar als kontraproduktiv. Er sieht bei fahrradfahrenden Kindern durch die Benutzung technischer Hilfsmittel die Möglichkeit eines gefährlichen Gewöhnungseffekts.
Rote Ampel für Assistenzsysteme
In einer Evaluationsstudie von Safety4bikes, das zu 76 Prozent vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, wurden die Assistenzsysteme gemeinsam mit Kindern an einem Verkehrsübungsplatz auf ihre Praxisfähigkeit getestet. Die KoordinatorInnen des Projekts der Geomobile GmbH zeigen sich zufrieden, dennoch hätten die eingesetzten Technologien Verbesserungspotenzial: Die größte Schwierigkeit seien die Erhebung sicherheitsrelevanter Geodaten und die Miniaturisierung der Assistenzsysteme an Rad und Helm.
Andreas Hein ist Direktor der Abteilung Assistenzsysteme und Medizintechnik an der Universität Oldenburg. Bild: Offis.
Bis zu einer möglichen Markteinführung braucht es aber ohnehin noch eine Menge Geduld. Zwischen zehn und zwanzig Jahre, schätzt Andreas Hein, werde es dauern, bis auch Fahrräder auf dem technischen Stand sind, der eine Umsetzung des Projekts ermöglicht. Bis dahin wird für ein sicheres Fahrerlebnis für Kinder unter anderem eine gute analoge Kommunikation zu anderen VerkehrsteilnehmerInnen wichtig sein. Um für mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu sorgen, bedarf es zumindest sowohl AutofahrerInnen als auch FahrradfahrerInnen, die gut geschult sind. Zumindest in diesem Punkt sind sich alle einig.