Würzig, wurmig, wundervoll: garum
Teil 5 unserer Serie über ESSEN IN DER ANTIKE: Fischsauce kennen wir heute vor allem aus der asiatischen Küche. Auch im alten Rom war eine Sauce aus vergorenem Fisch eines der beliebtesten Gewürze.
Die Eingeweidefabriken
Schöne Orte können das nicht gewesen sein. Man stelle sich Becken voll verfaulender Fische samt Eingeweiden unter der prallen Sonne vor. Die daraus gewonnene Flüssigkeit, von den Römern garum (bzw. liquamen) genannt, war die wohl beliebteste Gewürzsauce der Antike.
Menschen, deren Nasen, wie in meinem Fall, schon beim feinsten Hauch aus Richtung der Fischtheke in Merkur und Interspar unter großer Herausforderung leiden , können sich wohl nur schwer vorstellen, welche Geruchsbelastung an den Produktionsstätten geherrscht haben mag. Auch die Vorliebe der Griechen, Römer und Karthager für solch ein Gewürz ist für einen gestandenen Mostviertler, dessen Geschmacksknospen mit Salz, Pfeffer und vielleicht etwas Petersilie von den Beilagenkartoffeln geprägt worden sind, schwer nachvollziehbar.
Aber nun im Ernst – man muss das Ganze vielleicht aus einer anderen Perspektive betrachten. Für die mediterranen Völker der Antike war eine Vielzahl der Kräuter und Gewürze, die wir wie selbstverständlich in unsere Suppe streuen, schwer oder gar nicht verfügbar. Selbst Salz, mit dem wir heute jedes Jahr bei einer leichten Ahnung von Schnee in der Luft unsere Straßen würzen, war früher eine Kostbarkeit und wurde mit Gold aufgewogen. Daher ist die Idee naheliegend, aus dem Fisch, der zu dieser Zeit eine besonders wichtige Ernährungsgrundlage darstellte, auch ein Gewürz herzustellen. Vor allem kleinere Fische, wie Sardinen, Sprotten und Anchovis konnten so einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden. Die Enzyme in den Eingeweiden der Fisch sorgten dafür, dass das Eiweiß der Fische abgebaut wurde und die Fermentation unter der heißen Mittelmeersonne ihren Lauf nehmen konnte. Bei der Herstellung wurde durch Filtration eine klare Flüssigkeit mit angenehmen Geschmack und ein festerer Pressrückstand (genannt allec) mit zweifelhafter Qualität gewonnen. Mit letzterem durfte sich die arme Bevölkerung ihren ansonsten wohl eher geschmackslosen Getreidebrei etwas aufpeppen, während das klare garum sogar unter Angabe verschiedenster Reifegrade Höchstpreise bei der römischen Elite erzielte.
Heute wie damals beliebt
Das hochwertige Produkt kann mit den heutzutage in Asien beliebten Fischsaucen verglichen werden. Auch in Nizza wird nach wie vor eine fermentierte Fischsauce namens Pissalat hergestellt (peis salat = gesalzener Fisch), die sich womöglich aus dem antiken garum entwickelt hat. Auch in Süditalien wird nach wie vor eine aus Sardellen hergestellte Gewürzsauce namens Colatura di Alici verwendet. Nicht zuletzt war auch die beliebteste Gewürzsauce unserer Zeit, nämlich Ketchup, ursprünglich wohl eine auf Fisch basierende Sauce. Die Idee mit Zucker, Essig und den Tomaten war aber meiner Meinung dann doch keine so üble Idee.
Aber nun zurück zu den alten Italienern, also den Römern. Die sorgten dafür, dass neben Olivenöl auch garum das entfernteste Legionslager erreichte. Überreste der Produktionsstätten für die Sauce, also diese Becken voll stinkendem Fisch, konnten von Archäologen mittlerweile auch ans Tageslicht befördert werden. Sie befanden sich – welch Überraschung – außerhalb der Siedlungskerne. Große Produktionsstätten wurden in Südspanien und Nordafrika, also ehemaligen karthagischen Gebieten, gefunden, weshalb auch die Punier als Erfinder des garum in Frage kommen.
Erfolgreiche Geschäftsmänner, gewurmte Bürger
Doch nicht nur Hannibal hatte wohl Amphoren mit garum auf seinem Elefanten verstaut, auch der Vesuv versiegelte so manche Fischfabrik nahe Pompeji unter seinen Aschewolken 79 n. Chr. Aulus Umbricius Scaurus, dessen Haus man ausgrub, kann wohl als so etwas wie ein garum-Baron angesehen werden, der seinen Mosaik-Boden nicht mit Faunen, Helden oder Delphinen, sondern mit Amphoren seines Produktes schmückte. Ein gleichnamiger Scaurus, vielleicht der Sohn des einflussreichen Fischmannes, schaffte es übrigens bis zum Bürgermeister Pompejis – wenn das nicht nach Korruption stinkt…
Erst vor kurzem erschien übrigens eine neue Studie, die sich mit dem weit verbreiteten Parasitenbefall der römischen Bevölkerung befasste (Mitchell, Human parasites in the Roman World: health consequences of conquering an empire, 2016). Gerade die Römer, deren überlegene Konstruktionsleistungen, wie etwa die Aquädukte, frisches Wasser in die Städte spülten und neben Thermen sogar öffentliche Latrinen mit fließender Wasserspülung ermöglichten, sollen massiv von Parasiten- und Wurmbefall betroffen gewesen sein. Vielleicht war es keine so gute Idee, die Fäkalien aus den Städten in die Flüsse und in der Folge auf die Felder zu spülen. So kam es wohl zu einem Kreislauf, der die ausgeschiedenen Parasiten immer wieder zurück auf den Teller brachte. Auch die Liebe der Römer zum garum wird in der Studie thematisiert. Ja, Sie haben es sich vielleicht schon gedacht: Besonders verbreitet war der Fisch-Bandwurm.
Niklas Rafetseder ist Magister des Lehramtes Geschichte und Latein sowie Doktorand am Institut der Alten Geschichte in Wien. Seine Texte entführen in längst vergangene Zeiten und nehmen den Leser mit auf eine historische wie kulinarische Reise, auf der man erfährt, welche Speisen der große Dichter Homer seinen Helden servierte und auf welche Weise die Römer ihr Essen zubereiteten.
Teil 1: „Außerdem schmeckt es gut“ – Was uns Cato der Ältere über Kohl lehrt
Teil 2: Die Odyssee – oder wie man ein Schwein richtig brät
Teil 3: Brot, Spiele und politische Ziele
Teil 4: Kulinarische Spurensuche in Rom – Fast Food und Long Drinks