Eric Jarosinski im Interview – „It is the only terrible world we have“

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Eric Jarosiski war heute zu Besuch bei BIORAMA. Wir haben mit ihm über Gefährlichkeit von Wissenschaftlern geredet, und über Kompost als Teil einer kulturellen Einführung in Deutschland.  

Auch Twitter hat seine Prominenz. Zum Beispiel Eric Jarosinski. Der amerikanische Germanist, Ex-Professor und Autor steckt hinter dem Account @NeinQuarterly. Der Kurznachrichten-Aphoristiker mit 126.000 Followers ist gerade in Wien zu Besuch. Hier hält er einen Vortrag darüber, wie man Philosophie smartphonegerecht macht und besucht den Wiener Ball der Wissenschaften, auch wenn er sich selbst als intellektuell gescheitert bezeichnet. Bei der Gelegenheit verlosen wir 2×2 Tickets für den Ball am kommenden Samstag.

Bis vor nicht allzu langer Zeit, warst du Wissenschaftler. Welches Adjektiv beschreibt es am besten, ein Germanist in den USA zu sein?

Ich würde fast sagen „ganz normal“, weil ich so lange in dieser Germanisten-Welt war. Aber ich habe nie vergessen, dass die ja sehr im Abseits, außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung, stattfindet. Ich glaube, es ist ein großer Fehler, wenn man das vergisst. Leute, die in kleinen Disziplinen arbeiten, entwickeln oft Frust, weil sie nicht an das große Publikum kommen. Das sind dann gefährliche Typen.

Gefährlich?

Ja. Wenn man als Akademiker machtsüchtig ist wird man trotzdem nie an diese Macht kommen. Und dann wird man nie zufrieden sein. Da hinterlässt man auf seinem Weg dann automatisch viele Opfer. Also ich glaube, die meisten Germanisten macht das schrullig. Das trifft es vielleicht am besten. Oder weltfremd.

Das klingt auch wirklich sehr deutsch. Es kursiert im Internet (z.B. hier) ein viraler Text mit deutschen Begriffen, die auch im Englischen praktisch sein könnten. Fällt dir ein Germanismus ein, den du im Englischen gern verwenden würdest?

Das Wort„doch“ ist sehr nützlich. So ein Wort haben wir nicht. Die Franzosen mit ihrem „au contraire“ haben so etwas ähnliches, aber im Englischen fehlt das. Das wäre nützlich, auch weil es so knapp ist. Da gibt es aber bestimmt viele Sachen. Die langen Komposita zum Beispiel. Obwohl man sich oft über sie lustig macht. Die sind oft einfach viel kürzer als das, was man im Englischen sagen müsste um dasselbe auszudrücken. Deutsch wirkt durch seine langen Wörter sehr streng und schwierig. Dabei sind diese langen Worte das Ergebnis der Flexibilität der Sprache. Das ist etwas paradox, worunter Deutsch da etwas leidet in der Wahrnehmung.

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„Für die meisten ist das einfach ein etwas älterer, strenger Herr mit Monokel.“

Dein Avatar im Netz sieht noch immer aus wie Adorno mit Monokel. Stellst du dir dein Alter Ego insgesamt auch so vor?

Das hat damit zu tun, dass meine akademischen Interessen viel mit der Frankfurter Schule zu tun haben. Das ist sowas wie ein kleiner Hinweis darauf. Aber ich verstehe das nicht so, als wäre ich der kleine Twitter-Adorno. Da habe ich inzwischen eine eigene Stimme entwickelt und das ist auch wichtig so. Manchmal kommt eine Reaktion wie „Adorno hätte das nie gesagt“. Dann denke ich: ja, stimmt. Adorno interessierte sich ja auch nicht für die Dinge, für die ich mich interessiere. Das ist aber auch nicht so wichtig. Viele kennen Adorno kaum. Für die meisten ist das einfach ein etwas älterer, strenger Herr mit Monokel.

Funktioniert denn ein akademisches Name-Dropping mit Adorno, Benjamin, Kracauer, Horkheimer und Konsorten an einer amerikanischen Uni heutzutage, oder erntet man damit nur Augenrollen?

Das wäre schön, Augenrollen. Für viele, die tief im Theorie-Geschäft stecken, ist die Frankfurter Schule ein alter Hut. Das verstehe ich. Das ist sie ja für mich auch, irgendwie. Was mich interessiert, ist ja so eine Art der Auseinandersetzung der Kritischen Theorie mit dem Post-Strukturalismus, Derrida und so. Mir war da immer ein kritischer Umgang mit der Frankfurter Schule wichtig. Die ist ja schließlich auch an einen historischen Kontext gebunden. Das ist auch der Grund, warum mich gerade die Aphorismen so interessieren. Das sind eher literarische Texte, die sich meiner Meinung nach länger etwas bewahren, weil sie immer wieder neu gelesen werden müssen. Ich kam ja eigentlich aus der Literaturwissenschaft zur Theorie. Das hängt ja in den Staaten eng zusammen, zum Glück. Germanistik bedeutet in den Staaten ja auch Geschichtswissenschaft und Literaturwissenschaft. Die Vermischung kann natürlich zu Dilettantismus führen, aber ich habe immer versucht, meinen Dilettantismus zumindest produktiv zu betreiben.

À propos: Inzwischen lebst du in New York City. Das ist bekanntlich teuer und man müsste verdammt viele Aphorismen-Sammlungen schreiben, um sich das leisten zu können…

…nein, nein, nein. Ich habe eine sehr gute Alternative gefunden. Ich habe nämlich eine Freundin, die etwas Vernünftiges macht und die New Yorker Miete zahlt. Das ist der Deal. Sonst hätte ich in New York nichts zu suchen.

Ist New York denn auch ohne großes Einkommen lebenswert?

Ich habe mal mit einem Akademiker-Einkommen in New York gelebt, als ich in New Jersey an der Rutgers University gearbeitet habe, vor ein paar Jahren. Zwei Drittel von meinem Einkommen gingen damals in die Miete. Das war schon ziemlich schade. Ich würde sagen, die Stadt verliert dadurch an Charme, denn ich habe noch nie im Leben so viel an Geld gedacht wie damals. Geldsorgen waren allgegenwärtig. In New York fing mein Schuldenberg so richtig an. Eigentlich habe ich mir das nicht leisten können. Ob es sich trotzdem gelohnt hat … schwer zu sagen. Im Moment müsste ich nicht unbedingt in New York leben. Ich habe gerade zum ersten Mal einen Beruf, bei dem ich geografisch unabhängig bin. Ich kenne auch gar nicht so viele Leute in New York. Es ist nicht so, als wäre ich ständig mit spannenden New Yorker Literaten unterwegs. Ich führe leider kein wildes, elegantes New Yorker Stadtleben.

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Wir machen ja ein Nachhaltigkeitsmagazin. Unterscheiden sich eigentlich die Begriffe Nachhaltigkeit und Sustainability?

Also – vielleicht ist mein Eindruck auch völlig falsch – aber bei Nachhaltigkeit denkt man sofort an Umweltaspekte. Bei Sustainability denke ich viel eher auch an das Finanzielle. Ob ein Start-Up sustainable sein kann, ist zum Beispiel eine ganz wichtige finanzielle Frage. Der Begriff Sustainability ist da vielleicht weniger spezifisch als der Begriff Nachhaltigkeit. Im Unterricht für Deutsch als Fremdsprache ist Nachhaltigkeit jedenfalls in den letzten Jahren zum Thema geworden. Wenn man sich mit Deutsch beschäftigt, dann ist Nachhaltigkeit ein sehr wichtiger Begriff.

Für amerikanische Studierende ist es immer interessant, wie wichtig Umweltthemen für Europa allgemein und Deutschland im Speziellen sind. Wörter wie Altglas, Altpapier gehören zum Grundwortschatz wenn man Deutsch lernt. Wenn man als Amerikaner ein Jahr an einer deutschen Uni verbringt gehört es zur kulturellen Einführung, dass man mit Kompost zu tun hat. Das ist inzwischen natürlich auch in den Staaten Alltag, aber wir waren da sehr weit hinterher. Das war für uns lange Zeit exotisch.

Und findest du, Nachhaltigkeit ist ein gutes Thema, um daran seinen Weltschmerz aufzuhängen?

Daran habe ich eigentlich nie gedacht. Aber es könnte sein. Im Marketing für Nachhaltigkeit werden ja meistens schöne Bilder benutzt. Aber wenn man mit einem zynischen Publikum zu tun hat, dann kommen Heile-Welt-Bilder nicht wirklich an. Ich habe letztes Jahr mal etwas geschrieben. Da war der Tenor: Yes, it’s a terrible world, but it is the only terrible world we have.

Nihilistische Nachhaltigkeits-Kommunikation?

Naja also ich denke, dass der Begriff Bio zum Teil unter demselben leidet, unter dem auch der Begriff Gutmensch leidet. Diese Begriffe sprechen nicht jede Zielgruppe an.

Also müsste man über bestimmte Themen wie Umweltschutz zynischer sprechen, um bestimmte Zielgruppen anzusprechen?

Ja. Also das was ich mache, das spricht viele an, weil es sprachlich so düster und hoffnungslos daherkommt. Dabei es hat ja eigentlich viel mehr Ebenen. Zum Beispiel die Freude an der Formulierung, die Freude an der Übertreibung, am Witz. Es wäre auch beim Thema Nachhaltigkeit oder Bio vielleicht hilfreich, Leute auf einer anderen Ebene als mit schönen Umweltbildern abzuholen. Da gibt es ein Imageproblem. Das ist zumindest mein Eindruck.


Wer sich selbst einmal mit Eric Jarosinski unterhalten möchte, hat dazu vielleich beim Wiener Ball der Wissenschaften am Samstag, 31. Jänner, Gelegenheit. Dafür verlosen wir 2×2 Tickets. Teilnahmeschluss ist Mittwoch, der 27. Jänner.

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