Innere Kraft
Der Strom kommt nicht aus der Steckdose. Er kommt aus dem Klo.
Durch seinen hohen Stickstoffgehalt und die Elemente Kalium und Phosphor wurde Urin – einfach so oder in konzentrierter Form – bereits vor der Herstellung von Kunstdüngern zur Düngung genutzt. Der Rohstoff bietet aber auch viele Möglichkeiten der mehr oder weniger direkten Gewinnung von Strom, wie etwa über die Produktion von biologischem Ammonium oder Wasserstoff aus Urin. Aber nicht nur Urin, sondern das gesamte Schwarzwasser hat Potenzial zur Energiegewinnung.
Schwarzwasser aus der Toilette enthält neben Fäkalien im besten Fall nur Klopapier. Im Gegensatz zu Grauwasser, das aus den restlichen Bereichen im Haushalt wie der Dusche oder Spülmaschine kommt und nur leicht verschmutzt ist, enthält es viel mehr organische Stoffe, die für die Energieproduktion genutzt werden können. Aber auch mehr Bakterien und Medikamentenrückstände, weshalb die Reinigung auch aufwendiger ist.
Trennung zahlt sich aus
Bereits seit 2015 stellt Ioannis Ieropoulos seine an der Universität Bristol und dem Bristol Robotics Laboratory entwickelten »Pee Power«-Urinale dem Glastonbury Festival zur Verfügung. Mikrobielle Brennstoffzellen verwandeln schon in den Kabinen Urin in elektrische Energie. Eine solche Brennstoffzelle besteht jeweils aus einem keramischen Zylinder und zwei Kohlenstoffelektroden, die vom vorgereinigten Abwasser umspült werden. Die hinzugefügten Bakterien zersetzen die Kohlenhydrate und spalten dadurch Elektronen im Urin ab, die über die Elektroden in den Zylinder wandern, wodurch Energie freigesetzt wird.
Während des Festivals konnten durch die Verarbeitung von 400 Litern Urin 288 Wattstunden erzeugt werden. Diese Energie reicht aus, um ein Hotel mit 30 Zimmern eine Stunde lang zu beleuchten oder 57 Smartphones eine Stunde lang aufzuladen. Die Wiener Möbeldesignfirma Eoosn hat in Kooperation mit Eawag, einem Schweizer Wasserforschungsinstitut, und dem Badezimmerkeramikhersteller Laufen ebenfalls eine Urintrenntoilette entwickelt. Im Gegensatz zu den Festivalurinalen, die bisher nur für StehpinklerInnen genutzt werden konnten, ermöglicht diese auch die Benutzung im Sitzen.
Potenzial zum Biogas
Einen anderen Weg der Energiegewinnung durch Toilettenabwasser hat ein Forschungsteam am südkoreanischen Ulsan National Institute of Science and Technology eingeschlagen; um ihre Uni mit Energie zu versorgen, haben Professor Cho Jae-Weon und sein Team 2021 die ersten drei Toiletten auf dem Campus in Betrieb genommen, die Fäkalien in Biogas transformieren. Bei der Vakuumtoilette »BeeVi« wird der Toiletteninhalt in einen unterirdischen Tank gesaugt – dort zersetzen Mikroorganismen die Biomasse und erzeugen Methan. Mit diesem als Energiequelle können beispielsweise Brennstoffzellen zur Stromerzeugung oder Warmwasserboiler versorgt werden. Die ForscherInnen können so mit dem, was ein Mensch durchschnittlich täglich ausscheidet, 0,5 kWh Strom erzeugen. Das wiederum reicht, um ein Auto etwa 1,2 Kilometer weit fahren zu lassen.
Energiepotenzial von Urin
Aus Toilettenabwasser kann also auf unterschiedliche Art und Weise Energie »gewonnen« – streng genommen: anders nutzbar gemacht – werden. In einer 2021 veröffentlichten Studie untersuchte ein Team der Universität Bristol das Potenzial für die Integration von mikrobiellen Brennstoffzellen in Privathaushalten. Dabei wurden verschiedene Arten von Grauwasser und Schwarzwasser aus unterschiedlichen Bereichen im Haus getestet. Urin zeigte dabei das größte Potenzial als Brennstoff für die Stromerzeugung. Allerdings ist die Energieausbeute dieser Zellen noch zu gering, um den gesamten Energiebedarf eines Gebäudes zu decken. Die nicht konstant gleichbleibende Zusammensetzung des Rohstoffs und die Abnahme der Wirkungskraft von gelagertem Urin sind weitere Hürden.
Einsatzgebiete von mikrobiellen Brennstoffzellen
Bisher nutzen diese Technologie daher hauptsächlich Orte ohne eine stabile Stromversorgung oder sie wird zur Abwasserreinigung eingesetzt. In einem Feldversuch, der von der Bill and Melinda Gates Foundation finanziert wurde, hat man die Zellen 2017 beispielsweise in Schulen in Uganda und Kenia installiert. Dasselbe System wurde vom US-amerikanischen Unternehmen Aquacycl für das aus seiner Perspektive wahrscheinlichere Einsatzgebiet der Abwasserreinigung optimiert: Der gewonnene Strom wird in erster Linie für den Reinigungsprozess verwendet und ist in dieser Funktion auch schon bei produzierenden Unternehmen im Einsatz.
Kommunales Abwasser
Angesichts der relativ aufwendigen Trennung von Urin vom restlichen Schwarzwasser und der zumindest bisher noch verhältnismäßig geringen Stromproduktion der mikrobiellen Brennstoffzellen verspricht eine andere Technologie derzeit einen größeren Nutzen für die Kläranlagen der Gemeinden und Städte: Die Produktion von Biogas aus Schwarzwasser eignet sich dafür aufgrund der relativ hohen Konzentration an organischen Stoffen – Fäkalien und Toilettenpapier – gut. Durch eine anaerobe Behandlung, das heißt durch den Abbau des organischen Ausgangsmaterials mittels verschiedener Bakterienstämme unter Ausschluss von Sauerstoff, kann Faulgas, also Biogas aus Kläranlagen, gewonnen werden. Erst im zweiten Schritt wird dieses dann als Energieträger eingesetzt.
Abwasser und Energieversorgung zusammengedacht
Im Hamburger Stadtviertel Jenfelder Au wurden erstmals Abwasserentsorgung und Energieversorgung im urbanen Raum integriert bei einem Neubau umgesetzt. Laut Janne Rumpelt, Pressesprecherin von Hamburg Wasser, ist die Grundidee des »Hamburg Water Cycle« die getrennte Behandlung verschiedener Abwässer, die sogenannte Teilstrombehandlung.
Die Demonstrationsanlage in der Jenfelder Au soll wichtige Erfahrungen für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und -entsorgung liefern und ermöglicht außerdem eine gezielte Untersuchung einzelner Abwasserproben. Die Europäische Union hat den Bau der Abwasserstruktur aus den Mitteln des EU-Programms Life gefördert, das Projekte im Umwelt-, Natur- und Klimaschutz (mit)finanziert. Neben der wissenschaftlichen Unterstützung durch die Bauhaus-Universität Weimar besteht auch Erfahrungsaustausch etwa mit Abwasserentsorgern aus den Niederlanden und Schweden, die auch an Konzepten zur Energiegewinnung durch Abwasser tüfteln.
Strom und Wärme
Herkömmliche Toiletten verbrauchen sechs bis zehn Liter Wasser pro Spülgang. Das bedeutet nicht nur hohen Wasserverbrauch, sondern dadurch auch wieder hohen Reinigungsaufwand. Für die Biogasproduktion und damit Energiegewinnung sollte das Schwarzwasser möglichst konzentriert bleiben. Daher setzen Projekte wie der Hamburg Water Cycle auf Vakuumtoiletten, die nur etwa einen Liter Wasser benötigen.
Um den höheren Energieertrag des Schwarzwassers zu nutzen, wird das Abwasser der 835 Wohneinheiten der Jenfelder Au in der Folge getrennt den unterschiedlichen Kreisläufen zugeführt und aufbereitet. In einem Gärtank, einem sogenannten Fermenter, entsteht aus dem Schwarzwasser gemeinsam mit anderen Bioressourcen wie etwa Fettwasser Biogas, das in einem Blockheizkraftwerk vor Ort anschließend zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt wird. Durch diese Kraft-Wärme-Kopplung wird Energie produziert und gleichzeitig wird eine energieintensive Reinigung des Abwassers vermieden. Blockheizkraftwerke, die mit Gas betrieben werden, gelten als energieeffizienter als etwa Kohlekraftwerke – trotzdem können auch hier klimaschädliche CO2-Emissionen nicht gänzlich vermieden werden.
Konventionelle Abwassersysteme
In den international üblichen städtischen Abwassersystemen werden Schwarz- und Grauwasser nicht getrennt durch das Kanalsystem geleitet. Allerdings kann auch hier die Energie des Schwarzwassers genutzt werden. Rumpelt erklärt: »Faulgas wird auf vielen Kläranlagen weltweit produziert, so auch auf dem Klärwerk Hamburg. Der Unterschied ist, dass wir die Fäkalien in der Jenfelder Au – durch die getrennte Behandlung der Abwasserströme – direkt in den Fermenter leiten.« Bei anderen Kläranlagen, so auch auf dem zentralen Hamburger Klärwerk, komme das Schwarzwasser gemischt mit Grau- und Regenwasser an. Es wird in mehreren Stufen gereinigt. Der dabei entstehende Schlamm wird zur Faulgasproduktion in die Faulbehälter geleitet.
Von Stromverbrauchern zu Erzeugern
Laut der Technischen Universität Wien gehören Kläranlagen mitunter zu den größten Stromverbrauchern europäischer Gemeinden. In der gesamten EU wird für die Klärung des Abwassers im Mittel die Produktion von zwei großen Kraftwerken benötigt. Für das darin enthaltene organische Material berechneten die ForscherInnen ein Energiepotenzial von etwa 87.500 GWh pro Jahr. Nach Angaben von Eurostat haben private Haushalte 2020 insgesamt 713.738.669GWh Strom verbraucht. Das Potenzial entspricht also rund zwölf Prozent des Energiebedarfs der EU.
Kläranlagen würden damit von Energieverbrauchern zu Energieerzeugern werden, die nicht nur genug Energie für den Eigenbetrieb produzieren, sondern auch einen Teil ins Stromnetz einspeisen.
BIORAMA #80