Eine Weltreise als Schulfach
Reisen bildet, es erweitert den Horizont. Schade, dass es trotzdem kaum als Unterrichtsmittel für die Schule eingesetzt wird. Man muss ja nicht immer selbst reisen. Doch von Eindrücken und Problemen der ganzen Welt kann jeder lernen. Valentina und Matt Aversano-Dearborn haben ein Projekt ins Leben gerufen, das durch eine Reise unterrichtet.
Das Forum for Sustainable Visions in Action (Forum-ViA) integriert globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Schulunterricht. Ein Wissenschaftler-Paar geht für zwei Jahre auf Weltreise und lässt Schüler und Interessierte auf der ganzen Welt davon lernen. Zwei österreichische Schulklassen aus Retz und Wien und eine US-amerikanische aus Washington State haben im letzten Schuljahr schon davon profitiert, ab September ging das Bildungsabenteuer in die zweite Runde. BIORAMA hat mit den Weltreisenden gesprochen.
BIORAMA: Wie funktioniert euer Schulfach „Weltreise“ und welche Botschaften wollt ihr vermitteln?
Valentina: Wir wollen globales Lernen ermöglichen und die modernen Kommunikationsmittel sinnvoll dazu einsetzen. Durchs Reisen lernt man unglaublich viel und erweitert den eigenen Horizont. In unsere Erlebnisse auf der Reise binden wir unsere Partnerschulklassen alle paar Wochen ein – durch Quiz- oder Rechercheaufgaben, sogenannte „Challenges“, für die SchülerInnen. Über unsere Website (www.sustainability-adventure.org) können sie unsere Reise beobachten und beeinflussen, indem sie uns die Ergebnisse ihrer Recherchen schicken. Durch den regelmäßigen Austausch lernen sie nicht nur aus ihren Büchern, sondern von realen Problemen überall auf der Welt.
Matt: Wir wollen Alternativen zum konventionellen Denken aufzeigen und gleichzeitig vermitteln: Nichts ist schwarz-weiß. Außerdem zeigen viele Beispiele auf der ganzen Welt, dass Kooperationen Ideen manchmal weiterbringen als Konkurrenz. Das wichtigste daran ist jedenfalls das Zuhören und Mitdenken. Und dafür muss man nicht immer selbst reisen. Auch Gäste aufzunehmen, von anderen erzählen zu lassen und Dokus zu sehen kann entscheidende Eindrücke vermitteln. Oder man kann an unserem Schulfach „Weltreise“ teilnehmen und das „Nachhaltigkeits-Abenteuer“ als Schüler, Lehrer oder künftig auch als „Facebook-Follower“ selbst mitgestalten.
Wie nachhaltig seid ihr unterwegs? Könnt ihr zum Beispiel gänzlich auf Flugreisen verzichten?
Matt: Wir wollen nicht radikal sein und den Zeigefinger erheben, sondern eher die Frage nach Alternativen aufwerfen. Seit unserem Projektstart letzten September sind wir ohne Flugzeug gereist. Die Segelschiff-Reise zwischen Panama und Kolumbien hat uns ziemlich ins Überlegen gebracht, da sie sehr teuer war und Valentina schwer seekrank wurde. Über die Atlantiküberquerung von Kolumbien nach Europa haben wir daher nochmal lange nachgedacht, uns aber schließlich fürs Frachtschiff entschlossen. Das hat geklappt, weshalb wir auch für die Pazifiküberquerung das Frachtschiff nehmen werden. Wenn weiterhin alles nach Plan läuft, werden wir so in einem Jahr die Welt tatsächlich einmal ohne Flugzeug umrundet haben. Immer und für alle ist das aber natürlich keine Alternative.
Wie oft könnt ihr bio und fair essen?
Valentina: Das ist teilweise schon schwierig. Wir essen wenig Fleisch und wenn wir nicht selbst kochen, besuchen wir lokale Restaurants statt großer Ketten. Zum Einkaufen gehen wir auf Märkte, wenn es welche gibt. Wir versuchen uns bio zu ernähren, aber Bioprodukte sind in den meisten Ländern des globalen Südens oft noch kein Thema. „Bio“ ist in vielen Regionen auch für die (meist exportorientierten) Produzenten eine ökonomische Herausforderung: Der Anbau ist häufig arbeitsintensiver, die Zertifizierung für die Verhältnisse, z.B. in Lateinamerika, sehr teuer und die erzielten Preise zu niedrig. Da müsste der Handel mehr mitziehen, die Preise weniger drücken und auch Kosten für die Zertifizierung übernehmen, wie dies z.B. in der aktuellen „Make Chocolate Fair“-Kampagne von Südwind gefordert wird. Wir haben einige Bauern interviewt, die sich der Problematik von Pestiziden und Biodiversitätsverlust im Kontext mit konventioneller Landwirtschaft bewusst sind und gerne bio produzieren würden, es aber im aktuellen System nicht finanzieren können. Bei Fairtrade habe ich das Gefühl, es funktioniert oft leichter, da das Konzept ja gezielt auf die Verbesserung der ökonomischen Situation abzielt. Aber auch da gibt es Schwierigkeiten: In Kolumbien zum Beispiel lag der Fairtrade-Preis für Kaffee unter dem staatlich geregelten Preis für Kaffee. Dann macht es natürlich keinen Sinn, sich Fairtrade zertifizieren zu lassen.
Wie finanziert ihr diese ausgedehnte Reise?
Valentina: Wir leben von Ersparnissen – vier Jahre haben wir an der Uni gearbeitet, von den Gehältern wollen wir die zweijährige Reise finanzieren. Natürlich wollen wir so auch zeigen, dass man von wenig leben kann. Wir arbeiten immer wieder als Volunteers, nutzen Warmshower und Couchsurfing und setzen aufs langsames Reisen. Es ist viel machbar, wenn man nach Lösungen sucht. Aber zukünftig müssen wir auch das Fundraising für unseren Verein ausbauen, da die Mittel doch knapp sind.
Wie ist das Feedback aus eurem persönlichen Umfeld?
Valentina: Meist sehr positiv. Aber nicht nur. Ich glaube viele haben unser Projekt einfach als ausgedehnten Urlaub wahrgenommen und nicht verstanden, warum wir dafür unsere Jobs aufgeben. Seitdem es ein Vorstellungs-Video gibt, das das erste Projektjahr zusammenfasst, verstehen uns viele besser. Jetzt, wo wir auch schon ein Jahr mit vielen Schülerinnen und Schülern die Projekte gemeistert haben, werden die Erfolge auch sichtbar.
Was habt ihr für euch dazugelernt?
Matt: Für mich war die lösungsorientierte Einstellung vieler Menschen in Südamerika überraschend. Dort ist das System viel offener, die Leute sind kreativer bei der Suche nach Lösungen und lassen sich weniger einschränken als in Mitteleuropa, wo man in der Regel viel systemtreuer ist. Insgesamt habe ich viele spannende Projekte kennen gelernt und bin begeistert, dass schon so viel getan wird, überall auf der Welt.
Valentina: Vielleicht kommt das auch daher, dass bei uns mehr auf dem Spiel steht, wenn man sich aus dem Verdienstsystem ausklinkt. In Lateinamerika zählt die Gemeinschaft einfach viel mehr und der Einzelne hat zumindest weniger Materielles zu verlieren. Das schafft unkonventionelleres Denken. Aber auch in Österreich gibt es innovative Organisationen und Unternehmen. Wenn man sucht, findet man überall Bewegungen und Initiativen, was zu häufig fehlt ist allerdings die Unterstützung von großen Playern und Interessensgruppen. Mir fehlen die Balance der Interessen in der Gesellschaft und eine stärkere Gemeinwohlorientierung als Anreiz-System. Denn viel liegt an den Weichenstellungen für die Menschen und nicht am einzelnen Individuum.
Würdet ihr euch wünschen, dass die Menschen mehr reisen? Oder weniger?
Matt: Ich denke, Reisen ist wichtig und bildet. Trotzdem wäre es vielleicht notwendig, weniger zu reisen bzw. bewusster und dafür andere Wege zu wählen und die Eindrücke tiefgründiger wahrzunehmen. Weniger Kurzstrecken fliegen und den Jahresurlaub wenigstens als eine lange Reise verbringen, in der man mehr mitnehmen kann, zum Beispiel. Oder nähere Ziele wählen, die man auch mit dem Zug erreichen kann. Viele Menschen versuchen nämlich schon, nachhaltig zu leben, haben es aber schwer fürs Reisen nachhaltige Alternativen zu finden.
Valentina: Auf individueller Ebene wäre das sicher unser Appell: länger reisen, glokal handeln. Aber auf systemischer Ebene würde ich mir dafür eben langfristig auch Änderungen wünschen – das muss zum Beispiel von den Arbeitgebern ausgehen: Wenn die Mitarbeiter zeitlich flexibler wären und Sabbaticals, Bildungskarenzen und Fernarbeit mehr gefördert würden, wären auch nachhaltige Reisen leichter zu organisieren.
Seid ihr mit dem Projekt bislang zufrieden und wird es für nächstes Jahr Änderungen geben?
Valentina und Matt: Wir freuen uns wahnsinnig, dass unsere Idee jetzt Realität geworden ist und sind bisher sehr zufrieden. Wir haben unsere Schulklassen alle besucht und sind wirklich angetan von dem Feedback, das uns Schüler sowie Lehrer geben. Die Schulen werden auch unsere Partner bleiben für nächstes Jahr. Wir würden allerdings gerne das Netzwerk vergrößern und basteln an einem System, wie noch mehr Klassen eingebunden werden können, ohne dass es unsere begrenzten Kapazitäten sprengt. Weitere interessierte Lehrer können sich gerne bei uns melden: info(at)forum-via.org.
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